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geschrieben von Weißehex.
Veröffentlicht: 19.03.2018. Rubrik: Historisches


Das Findelkind

Diese Geschichte gehört zu einem Geschichtenkranz rund um "Matze, das Findelkind" (nicht chronologisch geschrieben. Matze taucht als Baby und als Jugendlicher auf sowie handeln einige Geschichten von seinen Adoptiveltern, noch ehe sie ihn bei sich aufnehmen):

Dazu gehören folgende, auch hier eingestellte Geschichten:
Matzes Mutter
Brigitte
Ergebnisse liegen vor
Hugos Freundin
Weihnachten mit Hugo


07. März 1960

Es war bitterlich kalt für einen Märzmorgen. Schwester Regina fror erbärmlich, als sie aus dem Nebengebäude, in dem die Schlafsäle der Ordensschwestern des Augustinerinnen-Klosters untergebracht waren, heraus trat und sich auf den langen Weg zum Hauptgebäude machte, in dem die 6-Uhr-Andacht abgehalten wurde. Eigentlich war noch über eine halbe Stunde Zeit, aber sie war gern die erste und verbrachte vor dem Altar noch eine kleine Weile ganz allein in stillem Gebet. Heute sollte sie jedoch nicht dazu kommen.
Sie wollte wie immer so nah wie möglich an der Klostermauer vorbei laufen und durch das stets abgeschlossene große Eisentor, das in der Mauer eingelassen war und zu dem sie einen Schlüssel in einer der großen Taschen ihrer Ordenstracht trug, einen Blick nach draußen werfen, teils um zu überprüfen, ob sich niemand unbefugterweise dort draußen herumtrieb, teils um einen Blick auf die noch schlafende Stadt hinter den Mauern zu erhaschen. Doch heute war sie noch weit vom Tor entfernt, als sie glaubte, jemanden von dort rufen zu hören. Vielleicht brauchte jemand ihre Hilfe? Während sie dem Tor näher kam, war es ihr, als würde sie auch ein Baby schreien hören – und eine leise Frauenstimme, die wohl beruhigend auf das Kleine einredete.
Als sie ihr Ziel erreichte, wurde ihre Vermutung bestätigt. Vor dem Tor stand eine junge Frau, die, soweit sie das in dem fahlen Licht des anbrechenden Tages erkennen konnte, von sehr schlanker Statur war. Sie trug ein Kopftuch, unter dem eine Strähne roten Haares hervorlugte und es sah aus, als würde sie ein weißes Bündel auf dem Arm halten, das kräftig strampelte und greinte. Offenbar war das Baby von Kopf bis Fuß in ein weißes Tuch gehüllt, sodass man das Köpfchen gar nicht sehen konnte. Die junge Frau schien erleichtert aufzuatmen, als sie Schwester Regina erblickte. Ob es wohl die Mutter war?
„Guten Morgen, Schwester Oberin“, sagte die Frau ehrerbietig.
„Guten Morgen“, erwiderte Schwester Regina, die zwar ahnte, was die junge Frau wollte, aber keineswegs die Absicht hatte, ihr die Sache auch noch zu erleichtern.
„Ich habe dieses Kind gefunden, Schwester Oberin.“
„Gefunden?“ Schwester Regina sah die junge Frau abschätzig an.
„Ja, Schwester Oberin. In der Nähe meiner Wohnung ist auch eine Kirche. Dort habe ich es heute morgen auf den Treppenstufen gefunden. Ich hatte Babyweinen gehört und wollte der Sache nachgehen. Das arme Ding! Ihr zieht doch hier Waisenkinder auf?“
Die Stimme der Frau hatte bei den letzten Worten einen fast flehenden Tonfall angenommen.
„Warum gibt sie nicht zu, dass sie die Mutter ist“, dachte Schwester Regina mürrisch. Als ob das einen Unterschied machen würde.
„Ja, wir nehmen Findelkinder auf“, sagte sie, während sie den Schlüssel aus ihrer Tasche holte und das große Eisentor aufschloss, das sich quietschend öffnete.
Die Frau hielt ihr das Bündel entgegen.
„Vergelt's Euch Gott, Schwester Oberin!“
Schwester Regina nahm das Bündel behutsam an sich und schlug das Tuch, das den Kopf des Babys verhüllte, sanft zur Seite. Ein feuerroter Schopf kam zum Vorschein und das Baby fing nun wieder kräftiger zu schreien an.
„Es ist ein Junge“, sagte die Frau. „Schaut, um den Hals hat er einen Zettel mit seinem Namen.“
Jetzt fiel auch Schwester Regina auf, dass um den Hals des Kindes ein langer Bindfaden hing, dessen beide Enden durch zwei Löcher eines Pappestückes gezogen und hinter dem Pappestück verknotet waren. Auf der Pappe stand in großer Schrift: „Er heißt Matze.“
„Und so haben Sie ihn gefunden?“
„Ja, genauso, Schwester Oberin.“
Die Frau knickste ehrerbietig. „Ich bin froh, dass ich ihn gefunden habe – bei der Kälte! Ich glaube, lange hat er noch nicht vor der Kirche gelegen.“
Schwester Regina musterte die Frau bei diesen Worten schweigend. Irrte sie sich, oder waren ihre Augen feucht?
„Ich muss zur Arbeit, Schwester Oberin. Ich danke Euch von ganzem Herzen. Ist es möglich, das Kind mal zu besuchen?“
„Natürlich, zu unseren Besuchszeiten und wenn Sie sich vorher angemeldet haben.“ Jetzt war Schwester Regina völlig überzeugt davon, die Mutter vor sich zu haben.
Die junge Frau warf noch einen Blick auf das Kind, das sich keineswegs beruhigt hatte und weiter aus Leibeskräften schrie. Dann bekreuzigte sie es.
„Behüt' dich Gott, kleiner Matze! Bleib gesund und werde glücklich!“ Dann versagte ihr die Stimme, sie wandte sich ab und lief davon. Schwester Regina sah ihr nach und wiegte das schreiende Kind in ihrem Arm leicht hin und her, um es ein wenig zu beruhigen.
„Sicher schreit er vor Hunger, ich werde ihm gleich die Babynahrung zubereiten “, dachte sie, „er hat wahrscheinlich noch überhaupt nichts bekommen.“
Sie hielt das schreiende Kind fest in ihren Armen und trug es zum Hauptgebäude hinüber.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Wutoka am 23.07.2018:

Hm, das Ende ist aber kein wirkliches Ende. Es wirkt, als fehle der Rest.




geschrieben von Weißehex am 24.07.2018:

Stimmt, es ist der Auftakt oder Prolog zu einer längeren Fortsetzungsgeschichte, die von Matze, dem Waisenkind und seinen Adoptiveltern handelt. Ich muss mir mal einen besseren Titel ausdenken und die einzelnen Teile darunter zusammenfassen, die ich bis jetzt geschrieben habe.




geschrieben von Weißehex am 24.07.2018:

Ich meine, einen Titel, unter dem dann die anderen einzelnen Titel aufgeführt sind. Ursprünglich hatte ich den Titel "Matze, das Waisenkind", doch weil einzelne Kapitel auch nur von den Adoptiveltern handeln, passt der nicht so ganz. Danke für deinen Kommentar!

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