Veröffentlicht: 23.10.2020. Rubrik: Lustiges
Oma Bernemann geht einkaufen
Jetzt musste Oma Bernemann sich aber wirklich sputen. In zwei Stunden kam ihr Enkel Gunnar aus dem Urlaub zurück und sie wollte ihn mit einem guten Essen willkommen heißen. Um ihn zu überraschen hatte sie seine Wohnung ordentlich geputzt. Oma Bernemann hatte geschrubbt und gewienert und, man konnte es wirklich nicht anders sagen, es war auch höchste Zeit dafür gewesen. Aber, dachte sie, dass konnte man verstehen, denn als Philosophiestudent im achtzehnten Semester, hatte Gunnar bestimmt schrecklich viel zu tun.
Lediglich einige getrocknete Pilze hatte sie in einer Keksdose gefunden. Einen hatte sie probiert, aber der Geschmack war mehr als gewöhnungsbedürftig gewesen. Tapfer hatte Oma Bernemann gekaut und geschluckt, aber toll war das nicht, es schmeckte irgendwie nach altem Sägemehl und fühlte sich im Mund auch genau so an. Für ihr legendäres Geschnetzeltes, das Gunnar so sehr schätzte, waren diese Pilze jedenfalls nicht geeignet und so fügte sie ihrer Einkaufsliste einen weiteren Posten hinzu, bevor sie den Mantel nahm und sich zackigen Schrittes auf zum Supermarkt machte.
Auf dem Weg, die Sonne schien seltsam grünlich heute, rauschte eine Straßenbahn an ihr vorbei. Und hörte gar nicht mehr auf damit vorbei zu rauschen. Wie lang war denn bitte diese Bahn, wunderte sich Oma Bernemann, als die Vorbeirauscherei auch nach zehn Minuten noch kein Ende gefunden hatte. Und das obwohl der Supermarkt nur drei Minuten entfernt war! Moderne Zeiten, da wunderte sie sich schon lange über gar nichts mehr und schüttelte den Kopf. Die Straßenbahnschienen, die jetzt plötzlich bedrückend unbenutzt dalagen schüttelten sich auch und Oma Bernemann war froh, als der Supermarkt vor ihr auftauchte.
Und das tat er wirklich. Die Schienen schlugen Wellen, der umgebene Asphalt folgte ihrem Beispiel und mit einem Mordsgetöse stiegen erst die rote Leuchtreklame und dann die automatischen Türen des Supermarktes vor ihr auf.
Mein lieber Schwan, dachte Oma Bernemann, nicht das ich es mal wieder mit den Betablockern übertrieben habe. Nun, einer gestandenen Frau wie ihr, da hatte sie schon viel seltsameres erlebt, war so schnell nichts zu viel und selbst die Geranien am Eingang, die ihr freundlich zuwinkten und ihren Namen skandierten brachten Oma Bernemann nicht aus der Fassung, denn eigentlich war das doch alles ganz nett, sie fühlte sich munter und beschwingt.
Mit einem Schmatzen, das in ihren Ohren nahezu obzön klang, schluckte der Einkaufswagen ihre Münze und schon ging es los und zwar sowas von los.
Wie zuvor die Straßenbahn rauschte Oma Bernemann durch die Reihen der Regale. Die Sachen sprangen, ja flogen geradezu wie von selbst, in ihren Wagen.
Als aus einer Tüte Gummibärchen laute Protestrufe ertönten hielt Oma Bernemann kurz inne und beugte sich vor.
„Scheiße, jetzt können wir wieder von vorne anfangen“, beschwerte sich ein orangenes Gummibärchen.
„Womit müsst ihr denn wieder von vorne anfangen?“, erkundigte sich Oma Bernemann unsicher.
„Na, mit dem zählen. Wir versuchen herauszufinden, wer hier in der Mehrheit ist. So demokratiemäßig, du weißt schon.“
„Und das ist wichtig?“ Oma Bernemann hatte sich noch nie sonderlich für Politik interessiert.
„Na ja, mir ja nicht so, ich bin da eher so liberal“, meldete sich ein gelbes Gummibärchen zu Wort.
„Natürlich ist das wichtig. Was wurde uns nicht alles versprochen und jetzt sitzen wir hier in dieser Tüte fest, da wurde es höchste Zeit für ein Plenum“, ereiferte sich ein grünes.
„Das konnte doch keiner wissen, ich schwöre euch, niemand hatte die Absicht eine Tüte zu errichten!“, rechtfertigte sich ein rotes.
Eines der wenigen blauen Bärchen mogelte sich nach vorne, warf sich in die Brust und plärrte:
„Dieses Bunte hier, das klappt doch nie und nimmer, das ist unnatür...“
„Fresse!“, kam es von einigen anderen und Oma Bernemann schüttelte den Kopf und schob ihren Wagen einfach weiter, denn das war ihr jetzt alles zu anstrengend und es gab Wichtigeres.
Fleisch zum Beispiel war wichtiger und frohgemut steuerte sie die Metzgertheke an. Die war einfach zu finden, denn ein großes Schild mit einem Schwein und einer kleineren Kuh stand daneben.
Die Lippen der Verkäuferin, die freundlich lächelnd hinter der Theke stand waren rot. Aber so was von rot, war denn das wirklich nötig? Solche Lippen hatten doch nur...
„Flittchen“, schnarrte es neben Oma Bernemann.
„Bitte?“, fragte sie irritiert und blickte neben sich. Das Schwein auf dem Schild lächelte ihr zu.
„Sie ist ein Flittchen, ja.“ Das Schwein nickte bekräftigend.
„Das habe ich auch gerade gedacht.“
„Ich weiß. Ich bin kein dummes Schwein, weißt du?“ Das Schwein zwinkerte ihr zu.
„Was darf es denn sein?“, fragte die Verkäuferin freundlich.
„Hmm, eigentlich wollte ich ja Schwein, aber vielleicht nehme ich doch lieber Rind.“ Oma Bernemann wusste nicht so recht, wie sie sich angesichts des freundlichen Schweines verhalten sollte. Hier konnte man viel falsch machen.
„Hey, jetzt aber mal vorsichtig, Oma Bernemann. Ich meine, muh mal, nur weil du das Frauenbild eines Schweins teilst, musst du doch nicht gleich alles über den Haufen werfen, was in deinen Rezepten steht“,meldete die Kuh sich zu Wort, die, da war Oma Bernemann sich sicher, gleich lauthals beschwören würde, keine dumme Kuh zu sein.
„Waaas daaarf eeeees deeeenn nuuuuuun seieieieieieinnnnnn?“, wiederholte die Verkäuferin und es klang irgendwie nicht ganz astrein in Oma Bernemanns Ohren, irgendwie gedehnt und übermäßig tief. Sie hätte sich lieber weiter mit dem Schwein unterhalten, das schien ihr nett zu sein und es war auf jeden Fall unkomplizierter als die Kuh und moralischer, als die Verkäuferin. Andererseits war das Schwein halt ein Schwein, ganz im Gegensatz zu der Kuh und erst recht im Gegensatz zu der schweinischen Kuh von Verkäuferin, die... Oma Bernemann spürte, dass sie sich hier in ihren Gedanken verhedderte und da lag bestimmt kein Segen drauf, dachte sie noch fahrig und kurz bevor sie zu einer Entscheidung gelangte stand sie auch schon plötzlich an der Kasse.
Die Waren fuhren über das Fließband, versanken in der kleinen Fuge kurz vor der Kassiererin und tauchten dann aus der hinteren Fuge wieder auf und Oma Bernemann konnte das alles ganz genau sehen, obwohl sie hinten doch gar keine Augen hatte. Darüber wunderte sie sich ein wenig, aber da klimperte schon Wechselgeld in ihre Hand und sie konnte diesen, ohnehin sehr seltsamen, Supermarkt endlich verlassen.
Auf dem Heimweg war ihr kurz etwas schwindelig geworden, aber ein galanter Laternenpfahl, ganz Kavalier der alten Schule, war rasch drei Meter zu ihr herüber geeilt und hatte sie gestützt. Oma Bernemann bedankte sich, der Laternenpfahl wünschte ihr noch einen schönen Tag und den würde sie haben, soviel war mal klar.