Veröffentlicht: 21.06.2020. Rubrik: Unsortiert
Trulla
Der Tag, an dem in Thüringen und in der näheren Umgebung, die Welt untergehen sollte, begann mit einem strahlenden Morgen.
Auch die Leute in Suhl, um Suhl und um Suhl herum, machten solche Gesichter. Voller Erwartung gingen sie auf die Straße. Schließlich sollte es später einmal nicht heißen, man wäre nicht dabei gewesen.
Alle waren frohen Mutes und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
Und so saßen denn, an diesem denkwürdigen Tag im Herbst, an dem der Sommer überraschend zurückgekehrt war und man den Linksabbiegern Vorfahrt gewährte, die Pokornys, leicht bekleidet, in ihrem idyllischen Vorgärtchen, bei kaltem Holundertee und überflogen noch einmal die Gästeliste, während Trulla, völlig entspannt, in der Hängematte lag, wie Gott sie schuf, ohne das die Blicke der Nachbarn sie sonderlich beeindruckt hätten.
Nur wenn Harro über die Mauer wollte, zuckte sie kurz zusammen.
Trulla, war eine nubische Falbkatze, jedenfalls hielt sie sich dafür. In Wirklichkeit war sie eine gewöhnliche Hauskatze mit den Allüren einer Primadonna und dem steten Drang zur Theatralik. Ja, vielleicht früher einmal, als Jericho erbaut wurde, mag sie adelig gewesen sein, davon war aber heute, weiß Gott, nichts übrig geblieben.
Sie war hochnäsig eingebildet, stur wie ein Holzscheit, über die Maßen gefräßig, von den Nachbarn ob ihrer mangelnden Zurückhaltung jedweder Art von Gartensänger gegenüber, ungeliebt, und schließlich hatte sie ein Benehmen, dass die Pokornys, wenn Besuch kam, sie in Ketten legen mussten.
So ein Besuch stand heute nämlich an. Die Pokornys hatten zur Gartenparty geladen.
Für den Abend hatte man ein Catering Unternehmen mit dem Kalten Büfett beauftragt. Zum Höhepunkt des Abends wollte die Frau des Hauses, ihre Gäste dann mit einer „Rameloher Lachspastete auf marinierten roten Zwiebeln und Streifen grüner Paprika“, die sie bereits fertig in der Kühlung hatte, überraschen.
Die Stunden gingen dahin und allmählich begannen die Vorbereitungen.
Die Leute vom Catering stellten Tische und Stühle auf, packten das Geschirr und Besteck aus, brachten die leeren Kisten und Kästen in die Abstellkammer und sorgten dafür, dass die Getränke die richtige Temperatur bekamen.
In der Zwischenzeit hatten sich die Pokornys umgezogen. Das Büfett war angerichtet, nur in der Mitte war ein Platz für die Lachspastete freigelassen worden.
Es war 18.00 Uhr. In einer halben Stunde wurden die ersten Gäste erwartet.
Zeit für Frau Pokorny, ihre Lachspastete, aufzutragen.
Vorsorglich, wie immer bei solchen Anlässen, hatte man Trulla in die Abstellkammer gesperrt.
Sicher ist sicher.
Als Frau Pokorny dem Büfett den Rücken kehrte, sah sie plötzlich einen dunklen Schatten an sich vorbei huschen. Bevor sie reagieren konnte, war es schon passiert. Mit einem Riesensatz war Trulla auf dem Büfett gelandet, zielgenau, eine Handbreit vor der Lachspastete.
Frau Pokorny wollte schreien, nur versagte ihr die Stimme, als sie sah mit welcher Wollust dieses Mistvieh sich über die Pastete hermachte. Sie klatschte in die Hände. Trulla hielt das für Beifall und fraß weiter. Erst als Herr Pokorny mit der Gartenschere auf sie losging, suchte sie das Weite.
Trulla, die vor nichts zurückschreckte, hatte die in der Abstellkammer aufeinander geschichteten Kästen und Kisten genutzt, um aus dem hochgelegen, offen stehenden Fenster, dem Geruch nachzugehen, der ihr in die Nase stach.
Für Frau Pokorny wurde die Zeit knapp. Sie konnte die Lachspastete glatt streichen, mehr Zeit hatte sie nicht.
Schon kamen die ersten Gäste.
Nun, um es kurz zu machen. Die Party wurde ein voller Erfolg. Das Büfett bestaunt, die Gastgeber gelobt und die „Rameloher Lachspastete“ bejubelt.
Lange nach Mitternacht, die Pokornys hatten die letzten Gäste noch ein Stück des Weges begleitet, fanden sie, zurückgekehrt, vor der Haustür, auf der Treppe liegend, Trulla.
Alle Viere von sich gestreckt.
Zwar atmete sie noch, aber kaum wahrnehmbar.
In den Köpfen der Pokornys begann es zu rumoren.
Hatte Trulla sich vergiftet? War die Pastete, trotz der Kühlung, bei diesen mörderischen Temperaturen doch schlecht geworden? War es so, dann mussten die Nachbarn unbedingt von einer möglichen Vergiftung in Kenntnis gesetzt werden. Schlimmstenfalls bedurften sie ärztlicher Hilfe.
Die Pokornys teilten sich die Aufgaben. Während er die Gäste, einen nach dem anderen aus dem Bett klingelte, rief seine Frau den Tierarzt an, der wie gewöhnlich, nur die Sprachbox aktiviert hatte.
Sie bat um Hilfe und legte behutsam eine Decke um Trulla. An Schlaf war nicht zu denken.
Von weitem konnte man die ersten Sirenen hören. Als die Pokornys aus dem Fenster sahen, stand in unmittelbarer Nachbarschaft ein Unfallwagen.
Was für eine chaotische Nacht.
Kaum begannen sie über die Konsequenzen nachzudenken, da schellte es an der Tür.
Der Tierarzt.
Er untersuchte Trulla, stellte eine leichte Gehirnerschütterung fest und Prellungen an den Hinterbeinen. Sie wurde verarztet und bekam eiserne Bettruhe verordnet. Ansonsten?
Von Vergiftung keine Spur!
Erst am nächsten Morgen, als Frau Pokorny die Zeitung holte, fand sie eine Nachricht im Briefkasten. Ein Nachbar aus der Umgebung hatte beim Zurücksetze seines Wagens, versehentlich Trulla angefahren, sie auf die Treppe gelegt, und weil sich auf sein Klingeln keiner gemeldet habe, für alle Fälle schon mal den Tierarzt angerufen. Er bedauere sehr.
So löste sich alles in Wohlgefallen auf. Und in Suhl, um Suhl und um Suhl herum, ging alles seinen gewohnten Gang.
Die Pokornys saßen, leicht bekleidet, in ihrem idyllischen Vorgärtchen, bei kaltem Holundertee und schrieben Ablassbriefe an ihre Nachbarn, während Trulla in der Hängematte lag. Diesmal trug sie eine Halskette.
Aus Schmiedeeisen!
Harro lag auf der Mauer und feixte sich einen.
Friedrich Malinowski