Veröffentlicht: 20.06.2020. Rubrik: Unsortiert
Das Wondraschek System
Frau Wondraschek, die in Castrop-Rauxel, zusammen mit ihrem Mann, in der Sensheimer Straße 17 eine kleine Zwei-Zimmerwohnung in der dritten Etage eines Mehrfamilienhauses bewohnte, holte eines Abends, die Dämmerung hatte schon eingesetzt, ihren Kleinwagen aus der Garage, verbrachte ihren Mann behutsam auf den Rücksitz, schaltete die Scheibenwischanlage an, den es hatte leicht zu regnen begonnen, schloss die Wagentür und fuhr auf die A 57 in Richtung Wuppertal-Ronsberg.
Unterwegs schaute Frau Wondraschek mehrmals in den Rüchspiegel nach ihrem Mann. Sie tat es ohne sonderliche Anteilnahme, es war mehr ein Routinevorgang. Ihr Mann war in seinem Alter schon so weit fortgeschritten, dass sie keinen rechten Gefallen mehr, an ihn zu finden wusste. Für sie war das Alter keine Investition in die Zukunft.
Sie fuhr verhalten, der Regen hatte zwar ausgesetzt, aber die Straße war immer noch gefährlich glatt. Nach einer knappen Stunde konnte man die gut beleuchtete Baustelle Holz-Büthgen, an der Nordrhein-Westfalens größte Zementaufbereitungsanlage steht, deutlich erkennen.
Sie stellte den Motor ab und fuhr die letzten Meter im Leerlauf. Sie wollte jegliches Aufsehen vermeiden. Dann half sie ihren Mann aus den Wagen, streichelte noch einmal seine Wange, drückte ihm ein Lunchpaket in die Hand und fuhr guter Dinge und eine Abkürzung nehmend nach Hause.
Sie stellte das Radio an, aber der Wetterbericht verhieß nichts Gutes.
Von ihren Mann hat sie nie wieder etwas gehört.
Ein Jahr später wurde die A 57 in Richtung Wuppertal-Ronsberg zum Deutschen Kulturerbe erhoben.