Veröffentlicht: 27.05.2020. Rubrik: Menschliches
Auf zu neuen Ufern!
Burkhard überprüfte den Sitz seiner Krawatte und strich sein Sakko glatt, atmete einmal tief durch und öffnete dann die Tür. Seichter Jazz und Stimmengewirr brandeten ihm aus dem Saal entgegen. Er schritt gespielt lässig über das edle Parkett und lächelte so unverkrampft, wie möglich. Ein Kellner, dessen Anzug wohl gut und gerne das dreifache von seinem eigenen gekostet hatte, wandelte mit einem Tablett voller Champagnergläser durch die Feiernden und Burkhard griff dankbar zu. Hier konnte etwas Alkohol nicht schaden.
„Burkhard, ich dachte schon du kommst gar nicht mehr.“ Joachim stand mit einem sehr beleibten Herren neben dem Buffet. Er entschuldigte sich lächelnd bei seinem Gesprächspartner und schlenderte zu Burkhard herüber.
„Hallo Joachim, ich habe doch versprochen zu kommen, obwohl ich wirklich nicht weiß, was das hier soll.“
„Na, dann ist ja gut, dass wenigstens ich weiß, was das hier soll. Mensch Burkhard, hier ist das ganz große Geld versammelt und wartet nur auf uns. Komm, wir gehen mal raus, ich habe Neuigkeiten. Fantastische Neuigkeiten.“ Sie gingen hinaus und bleiben einige Meter vor dem Eingang stehen. Joachim platzte fast vor Begeisterung.
„Hast du den Typen gesehen, mit dem ich gerade gesprochen habe?“
„Ja, der Knabe ist schließlich schwer zu übersehen. Wer ist das?“
„Das ist August Riedmüller.“
„Der Börsenmagnat?“
„Genau der. Riedmüller ist sehr, sehr interessiert an unserer Forschung und möchte bei uns investieren. Das ist der Wahnsinn, oder?“ Joachim klang so aufgekratzt, dass Burkhart hellhörig wurde.
„Von wie viel Geld hat er denn gesprochen?“
Joachim nannte einen Betrag und Burkhard zuckte zusammen. Es stimmte, das war der Wahnsinn.
„Das eröffnet uns ganz neue Möglichkeiten. Wir könnten nach all den mageren Jahren und der ganzen Arbeit endlich richtig durchstarten! Mensch Burkhard, das ist das große Los, die Chance auf die wir seit Jahren warten. Für uns bedeutet dieses Geld: Auf zu neuen Ufern! Karibischen Ufern zum Beispiel.“
„Warum will der soviel Geld in unsere kleine Firma stecken, Joachim? Wir sind gut, keine Frage, aber bei Halmig könnte er doch viel mehr für sich rausschlagen, oder nicht?“
Joachim verzog bei der Erwähnung ihres großen Konkurrenten das Gesicht und winkte ab.
„Das stimmt schon, wollte er ja ursprünglich auch.“
„Und warum hat er es dann nicht getan?“, erkundigte sich Burkhard.
„Naja, sagen wir mal so, Riedmüller ist in gewissen Belangen etwas... altmodisch.“
„Was soll das denn heißen?“ Burkhard schwante etwas.
„Er wollte bei Halmig eine Menge Kohle reinbuttern, hat dann aber Wind davon gekriegt, dass Halmig schwul ist. Tja, da war die Sache für Riedmüller erledigt, denn da steht er nicht so drauf.“
„Das macht ihn jetzt nicht unbedingt sympathisch.“
„Denk doch mal nach, das ist nun wirklich nicht unser Problem, Burkhard, oder? Ich meine, willst du denn ewig so weiter machen, wie bisher?", fragte Joachim beschwörend.
Wollte Burkhard das? Nein, ganz sicher nicht. Sich immer nur von einer Förderung zur nächsten hangeln. Nie wissen, ob in ein paar Wochen Schluss ist und dann an irgendeiner Uni langweilige Vorträge halten müsssen, anstatt zu forschen? Nein, er wollte ganz bestimmt nicht so weiter machen, wie bisher. Joachim hatte recht, vor ihnen lag eine glänzende Zukunft. Mit diesem Geld könnten sie endlich expandieren.
"Großartig." Burkhart lächelte und atmete tief ein.
"Riedmüller hat beste Kontakte zu einem großen Unternehmen aus der Rüstung. Hast du eine Ahnung, was die für riesige Aufträge vergeben? Selbst für eine kleine Firma wie uns sind da Millionen drin. Millionen, Burkhard!" Joachim klang begeistert.
„Rüstung?", fragte Burkhard überrascht.
„Ach Mensch, jetzt schau mich nicht so an, ich weiß auch das,das irgendwie scheiße ist, aber denk mal an die viele Kohle. Denk an die Möglichkeiten, die sich uns damit bieten.“
Burkhard wollte immer Forscher sein. Forschen bedeutete für ihn immer Dinge zu entwickeln, die das Leben sicherer machten. Dinge, die Menschen halfen und die Welt verbesserten. Ihre Entwicklungen sollten genau das tun und mit Riedmüllers Finanzspritze würden sie das sogar schon sehr bald schaffen. Andererseits wären sie dann auch von ihm abhängig. Ihre Technik, verbaut in einem Panzer, einer Rakete, oder in was auch immer? In vier Monaten wurde Burkhard Vater. Mit diesem Geld könnten sie in eine größere Wohnung ziehen. Er würde seiner kleinen Familie wirklich etwas bieten können. Dieses Geld wäre der Beweis dafür, dass sich schlussendlich doch alles gelohnt hatte und er jemand war, der wirklich etwas konnte. Jemand, an dessen Fähigkeiten andere glaubten. Mit Riedmüllers Geld könnten sie mindestens zwei neue Leute einstellen. Gute Leute. Auch die laufenden Kredite wären mit einem Schlag erledigt. Er hätte endlich mehr Zeit für Katja, die ohnehin viel zu kurz kam und gerade jetzt in der Schwangerschaft viel mehr Unterstützung von ihm brauchte.
Expandieren, Wohlstand, mehr Zeit, Sicherheit, Familie, Baby, Katja, Wohnung, durchstarten, großes Los, abbezahlte Schulden, Möglichkeiten, glänzende Zukunft... Waffen.
Er wurde aus seinen rotierenden Gedanken gerissen, als die Tür zum Festsaal geöffnet wurde und Riedmüller suchend nach draußen blickte. Als er Burkhard und Joachim sah, trat er heraus und kam langsam auf sie zu.
„Tut mir leid, wahrscheinlich wirst du mich dafür hassen“, flüsterte Burkhard leise.
Riedmüller grinste breit und hob begrüßend die Arme.
„Ah, da sind ja die aufstrebenden Herren Ingenieure, wir sollten...“
„Wofür denn?“, flüsterte Joachim verwundert.
„Dafür.“ Burkhard legte Joachim unvermittelt einen Arm um die Schulter, zog ihn an sich und küsste ihn mit gespielter Leidenschaft auf den Mund. Riedmüller verstummte abrupt und blickte einen Moment abfällig auf die Szene, bevor er auf dem Absatz kehrt machte und die Saaltür krachend hinter ihm ins Schloss fiel.
Joachim machte sich los, spuckte angewidert aus und fluchte leise.
„Musste das jetzt wirklich sein, Burkhard?"
"Ja, das musste sein", antwortete dieser und wischte sich ebenfalls über die Lippen.
Joachim seufzte und blickte betrübt zu Boden. Nach einigen Sekunden kicherte er leise und schüttelte den Kopf.
„Ich gehe dann mal wieder rein und sehe, ob ich... friedlichere Investoren finde, okay?“
„Hasst du mich jetzt?“, rief Burkhard ihm nach.
„Ich hasse dich zwar nicht, Burkhard, aber ich muss dir leider sagen, du küsst echt ganz furchtbar“, antwortete Joachim über die Schulter und öffnete die Tür zum Saal.