Veröffentlicht: 22.04.2020. Rubrik: Fantastisches
Ein ganz normaler Tag
Neben mir schlägt ein grell leuchtendes Geschoss in eine Plastbetonmauer und ich hechte in Deckung. Rilke brüllt über den Funk, Sumo solle scheiße nochmal zusehen, dass er auf dieses verdammte Dach kommt. Schirmchen wirft sich neben mir flach auf den Boden und jagt einige Salven auf schattenhafte Bewegungen in der Dunkelheit. Es ist ein ganz normaler Tag.
„Haltet schön eure Köpfe unten, schließlich haben wir Alarmstufe Rot, wisst ihr?“, versucht Rilke die angespannte Stimmung etwas aufzulockern und erntet ein amüsiertes Glucksen von uns.
Das zieht immer, Alarmstufe Rot wurde schon vor Wochen ausgerufen, als es sich das erste Raumschiff der Krill im Orbit von Tesar 3 gemütlich machte. Inzwischen sind die Schiffe längst wieder verschwunden, aber sie haben etliche ihrer Truppen hier gelassen um diese Welt zu übernehmen und unsere Kolonie zu vernichten. Der Aufbau einer solchen Kolonie dauert verdammt lange und kostet vor allem viel, viel Geld. Keiner der führenden Konzerne lässt sich eine derartige Investition einfach von ein paar zu groß geratenen Heuschrecken zusammenschießen. Sie lassen lieber uns zusammenschießen, denn das ist für die Unternehmen deutlich billiger.
„In Position“, kommt Sumos Stimme über den Funk.
„Siehst du etwas?“, frage ich.
„Oh ja, das kann man so sagen“, kommt die fröhliche Antwort des Scharfschützen. In meinem Helmdisplay erscheint eine Nahaufnahme von Schirmchens Hintern und ich lache kurz auf.
„Er macht es schon wieder, oder?“, fragt sie resigniert zwischen zwei gezielten Schüssen auf einen heranstürmenden Krill.
„Ja, könnte sein...“, antworte ich möglichst neutral.
„Sumo, wenn du deine Schlitzaugen nicht von meinem Arsch lässt, werde ich sie dir eines Nachts ausstechen, du verdammter Hurensohn“, zischt Schirmchen in ihr Mikro.
„Hey, so etwas möchte ich in meinem Trupp nicht hören“, mischt sich Rilke mit gespielter Strenge ein.
„Hurensohn?“, wundere ich mich.
„Nein, Schlitzaugen.“ Rilke lädt nach und lehnt sich aus seiner Deckung um den nächsten Feind umzulegen.
„Tut mir leid, Schirmchen, kommt nicht mehr vor, ehrlich.“ Sumo versucht schuldbewusst zu klingen, aber sein breites Grinsen ist deutlich zu hören.
So reden wir während eines Gefechtes nur miteinander, wenn wir alle die Hosen voll haben. Schirmchen vielleicht nicht, denn sie ist wahrscheinlich das zähste Frontschwein der ganzen Truppe, aber der Rest von uns wäre jetzt wirklich lieber woanders.
Viele Zivilisten wundern sich über die verbreiteten Spitznamen unter uns Soldaten. Vermutlich sind sie so häufig bei uns, weil man diese Namen am Ende der fünfjährigen Dienstzeit einfach zurücklassen kann. Man legt sie ab und wird wieder zu dem Menschen, der man vor dem ganzen Irrsinn war.
Die Namen ergeben sich einfach irgendwie. Wenn ein stiernackiger Glatzkopf, der aussieht als könne er einen ausgewachsenen Alligator mit seinen bloßen Händen erwürgen, klassische Gedichtbände neben seiner Pritsche sammelt, heißt er schnell Rilke. Sumo ist einfach ein spindeldürrer Japaner, dem man es kaum zutrauen würde dieses riesige Präzisionsgewehr zu tragen. Und wenn man bei der Vorstellung einer neuen Munition, die sich nach dem Eindringen in einen Körper öffnet, um sich möglichst zerstörerisch durch dessen Eingeweide zu fräsen, entzückt „Oh, die sehen ja wie kleine Schirmchen aus“ ruft, darf man sich auch nicht wundern. Ich habe bisher noch keinen Spitznamen bekommen, ich fürchte, ich bin einfach zu langweilig und durchschnittlich.
Etwas fliegt kreischend über unsere Köpfe hinweg und reißt beunruhigend nah ein ein mannsgroßes Loch in die Wand einer Lagerhalle. Ich schalte auf Wärmesicht und verfolge eine rot pulsierende Signatur in der Luft. Sie führt zu einem Krill, der auf den Überresten eines ausgebrannten Schwebepanzers hockt und eine grotesk große Waffe bereits erneut in unsere Richtung schwenkt. Er selbst ist eher klein und ich frage mich, ob ich da ein Kind im Fadenkreuz habe. Ich zögere noch abzudrücken, als ein unsichtbarer Vorschlaghammer den Brustkorb der Gestalt zerreißt. Sumo hat nicht gezögert und ich empfinde eine seltsam beschämende Erleichterung darüber.
Niemand von uns ist stolz darauf, was wir hier tun und ebenso wenig interessiert uns dieser Planet, geschweige denn seine Zukunft. Meine Kameraden und ich sind in der Armee um uns erweiterte Bürgerrechte und eine dauerhafte Krankenversicherung zu verdienen, das ist alles. Wir machen den Krill noch nicht einmal einen Vorwurf, oder sind ihnen persönlich böse, wenn sie eine Invasion auf eine unserer Welten starten, denn wir machen es ja genauso oft mit den ihren. Menschen und Krill diskutieren schon sehr lange und ausdauernd über die Verteilung von Lebensraum. Es ist eine sehr lebendige Diskussion mit vielen tödlichen Argumenten.
„Vorrücken“, dröhnt Rilkes Stimme durch meinen Helm und ich setze mich in Bewegung. Schirmchen sichert die linke, ich die rechte Seite, Rilke passt auf, dass es vor uns zu keinen unliebsamen Überraschungen kommt und Sumo überwacht das Ganze von seinem Dach. So haben wir es gelernt und so ist für uns am sichersten. Wenn sich ein verzweifelter Krill im Eingang einer ausgebrannten Fabrikhalle versteckt hat und nun mit dem Mut der Verzweiflung über das nächstbeste Opfer herfällt, hat man allerdings trotzdem ein großes Problem.
Ich bin kein Nobelpreisträger und ganz generell kann man Soldatenlogik ruhigen Gewissens als eher hemdsärmelig bezeichnen. Die Lösung eines großen Problems besteht in aller Regel in einem großen Loch.
Ich reiße hektisch mein Gewehr hoch, aber sie wissen ja selber, wie es ist, wenn es mal schnell gehen muss. Bevor ich abdrücken kann, stößt sich der Krill vom Boden ab, fliegt mir entgegen und begräbt mich unter sich. Mit einer grünen Klaue schlägt er wuchtig auf mein Visier, aber es hält. Überhaupt müsste mein Gegner sich gar nicht so viel Mühe machen, denn unter seinem Gewicht bekomme ich schlichtweg keine Luft mehr. Mit einem Arm versuche ich mich vor seinen Schlägen zu schützen, mit dem anderen taste ich panisch durch den Schutt und suche... Ah, meine Hand schließt sich um etwas sehr hartes.
Die Armee rüstet ihre Leute wirklich gut aus, das muss man ihr schon lassen. Mein Gewehr schickt in einem Sekundenbruchteil einen ganzen Schwarm von induktionsgetriebenen Hochleistungsgeschossen auf eine Reise, deren Ende für das Ziel höchst unerfreuliche Folgen hat. Meine Pistole verschießt ein intelligentes Blei, das seine Dichte der Panzerung eines Gegners anpasst um möglichst viel Verwüstung in seinem Körper anzurichten. Mit meinem Messer könnte ich mich durch eine Felswand meißeln und anschließend noch sauber einen Fisch filetieren. Und worauf läuft es schließlich hinaus? Ob man nun eine sensorisch optimierte Kampfrüstung trägt, oder einen Lendenschurz, am Ende nimmt man einen Stein und schlägt ihn irgendeiner armen Sau auf den Kopf. In vielen tausend Jahren hat sich nichts geändert. Gar nichts.
Zweimal schmettere ich meinem Angreifer den Stein in das fremdartige Gesicht, ohne eine nennenswerte Wirkung zu erzielen. Beim dritten Mal höre ich endlich ein unappetitliches Knirschen und mit dem vierten Schlag dringt der Stein mitsamt meiner Hand tief in den gegnerischen Kopf. Milchig weißes Krillblut ergießt sich in einem Schwall über das Visier meines Helmes und mein Gegner erschlafft. Ich würde gern erleichtert aufatmen, bekomme aber noch immer keine Luft.
Rilke und Schirmchen haben mich erreicht und zerren den toten Krill mit vereinten Kräften von mir herunter. Ich sehe die beiden nur durch einen Schleier und nachdem ich wieder halbwegs zu Atem gekommen bin, versuche ich den zähen Schleim aus meinem Sichtfeld zu wischen.
„War ein guter Schlag, Junge“, meint Rilke anerkennend, nachdem er sich davon überzeugt hat, das ich noch alle wichtigen Extremitäten besitze. Auch Schirmchen mustert mich erst besorgt, aber dann grinst sie erleichtert und sagt schließlich:
„Ja, nicht übel... Cumshot“ Über den Funk höre ich Sumo zustimmend kichern.
Nicht gerade toll, aber wenigstens habe ich jetzt auch einen Namen, den ich ablegen kann, wenn dieser Wahnsinn für mich endlich vorbei ist. Immer vorausgesetzt ich überstehe noch weitere 851 Tage wie diesen, jedenfalls.