Veröffentlicht: 19.05.2020. Rubrik: Menschliches
Warum eine Safarie-Tour bereits beim ersten Stopp zu Ende ging
Gerade geht die Sonne über den östlichen Horizont der Seringeti auf. Wir sind schon längst auf den Beinen – Kaffee getrunken, Proviant verstaut. Wir warten auf den Fahrer. Ach, da kommt er ja. Wir, das sind eine Tierärztin, ein Wildhüter und ich – Hobby-Fotografin. Über Sandpisten, in denen der Staub durch unsere Feuermaschine der bösen Geister nur so aufgewirbelt wird, geht es einfach geradeaus. Wir fallen von einem Schlagloch ins andere. Ich weiß nicht genau, ob wir auf einer Straße fahren oder doch direkt querfeldein. Mit einem Mal verlangsamt sich unser Auto deutlich. Der Motor ist aus. Es gibt nur noch Rollgeräusche bis wir zum Stehen kommen. Der Wildhüter hat dem Fahrer ein Zeichen gegeben. Vor uns läuft eine Elefantenherde. Ich stelle mich auf und versuche mehr zusehen. Da sind sie! Ein paar Elefantenkühe und ihre Jungen laufen vor uns. Ein Junges wird von seiner Mutter sanft mit dem Rüssel auf der Spur gehalten – immer wenn es ein wenig vom Weg abkommen möchte. Sie scheint zu sagen: „Hier geht’s lang.“ Oder: „Nicht so nah an die Bordsteinkante.“ Ach nein, das hatte ich zu meinen Kindern gesagt, als sie noch klein waren. Es ist kaum zu glauben, aber die Elefanten kommen näher auf uns zu. Die sanften, leisen Kolosse gingen an unserem Fahrzeug vorbei, als wären wir nicht da. Nun. Sie schauen nicht runter, sondern einfach geradeaus, wo der nächste Schritt sie hinführt. Als die Gruppe vorüber war, wollte der Fahrer gerade den Motor wieder anmachen, als ich sah, wie sich eine Elefantenkuh aus der Gruppe wandte. Hinter ihr - ihr Junges. Ich bemerkte, wie es seinen Rüssel um den Schwanz der Mutter wickelte. Gleichzeitig spürte ich, wie sich die Hand eines kleinen Jungen in sicherer Selbstverständlichkeit in die meine schob. Ich griff zu und schaute runter. Aber da war mein Sohn nicht. Ich rief: „Stopp! Nicht losfahren!“ „Was ist los?“ fragte die Ärztin. Ganz erschrocken gleich nach ihrem Koffer greifend, nach vorne schauend, ob wir ein Tier getroffen haben. „Ich würde gerne wissen, was die beiden machen. Warum weichen sie von der Gruppe ab?“ antwortete ich mit einer Gegenfrage „Der Junge bekommt Unterricht.“ Wie, Unterricht?“ „Seine Mutter bringt ihm Denken bei. Elefanten haben ein außerordentlich gutes Gedächtnis. Das haben sie nicht von allein. Die Alten bringen es den Jungen bei. Schauen Sie.“ sprach die Ärztin und der Wildhüter zeigte in die Richtun:. Die Elefantenkuh war hinter einer aus Büschen stehen geblieben, ihr Junges in die Trockenheit getrabt. Sie wartete darauf, dass er wieder zurück kam. „Warum? Wo hat sie ihn hingeschickt?“ fragte ich ganz aufgeregt. Ich überlegte, ob ich mich empöre. Sie kann doch ihr Junges nicht in die Wüste schicken!?! „Nur ein paar 100m in die Weite. Dort hat sie einen Ast versteckt. Diesen hat sie ihm vorher gezeigt, das Versteck auch. Dann sind sie mit den anderen weiter gezogen. Nun sind sie dorthin zurückgekehrt. Er sollte sich merken, wo der Ast geblieben ist. Jetzt muss er ihn zur Mutter bringen.“ erzählte der Wildhüter. „Wo bleibt er denn? Was ist, wenn ihm das nicht gelingt?“ fragte ich nervös. (Im Übrigen vergaß ich auch Fotos zu machen.) „Wie lange wartet die Mutter, bevor sie ihn suchen geht? Ich halte immer noch die Hand des Jungen fest. Spüre seinen Händedruck. Da raschelt was! Da hinten ist eine kleine Staubwolke. Hoffentlich ist es kein anderes Auto. Nein. Es ist der kleine Elefant mit einem Ast in den Rüssel gekrallt. Die Mutter ist schon unruhig auf- und abgegangen. Wollte schon den selben Weg in die Weite gehen. Aber da ist er. Ich atmete erleichtert auf und schaute auf meinen Sohn. Die Elefantenmama ist nun ganz ruhig. Außer ihr Rüssel. Der streicht von allen Seiten am kleinen Elefanten entlang. Dann machen sich beide schnellstens auf den Weg die anderen einzuholen. Den Ast hatte er fallen lassen. Brauchte er nicht mehr. Wir folgten der Herde. Sie war an einer Gruppe von drei riesigen Akazien stehen geblieben. Die Mutter mit der Erinnerungsübung holte ihrem Jungen die saftigsten Blätter von weit oben runter. Er hatte bestanden.
Die Beobachtung der Elefanten dauerte so lange dass wir nicht weiterfahren konnten, sondern zur Lodge umkehrten. Wir hatten ein Lächeln auf den Lippen. Die klugen Riesen zu beobachten, war ausreichend. Auf der Rückfahrt musste ich an meinen Sohn denken. Er war mittlerweile keine 7 Jahre mehr sondern schon 22 und tourte mit seinen Freunden durch Norwegen. Aber diesen Augenblick der tiefen Verbundenheit werde ich nie vergessen. in dem er selbstverständlich fordernd seine Hand in die meine schiebt. Wieviele Tage war es jeden Morgen mein erstes Leuchten des Tages, wenn ich ihn in den Kindergarten gebracht habe. Wie oft erzählte er mir beim Abholen, was er gespielt und wer ihn wie geärgert hat, während seine Hand in meiner ruhte!