Veröffentlicht: 27.04.2020. Rubrik: Fantastisches
Wie ich mich in einen Hund verwandelte
Wie ich mich in einen Hund
verwandelte
Es fing an mit dem Schlafen. Wann immer ich allein war, lehnte ich mich irgendwo an und döste vor mich hin. Als es anfing, sich zu häufen und ich es nicht mehr auf eine schlechte Nacht schieben konnte, googelte ich die Symptome für Narkolepsie. Fehlanzeige. Ich beschloss, mich vorübergehend als schlafsüchtig zu bezeichnen.
Dann kam das Fieber. Zumindest dachte ich damals, dass es ein Fieber war: Ich hatte niemals eine Temperatur unter 37,5 Grad. An manchen Tagen stieg sie sogar auf 39 an. Auch diesmal zog ich Doktor Google zu Rat, aber da ich sonst keine Auffälligkeiten zeigte, bis auf eine stetig laufende Nase, nahm ich an, eine Erkältung eingefangen zu haben.
Ganz im Widerspruch zu meinen vorherigen Beobachtungen konnte ich eines Tages sehr viel besser riechen. Ich wusste nun immer, was unsere Nachbarn aßen, wann unser Essen im Kühlschrank kaputt war und meinte sogar es erahnen zu können, wenn andere krank waren. Machte ich mir deshalb Sorgen? Nein, ich freute mich über meine neue
Superfähigkeit und machte mir einen Spaß daraus das Leben anderer Menschen zu erschnüffeln. Denn nichts anderes war es im Endeffekt.
Ein erneuter Tiefschlag und damit auch das erste Mal, dass ich einen echten Arzt aufsuchte, war als bei mir urplötzlich eine Rot-Grün-Sehschwäche auftrat. Auch der Optiker hatte darauf keine Lösung. Er meinte, dass ich mir vielleicht irgendwann den Kopf gestoßen hätte. Ich dagegen schob es auf mein fortschreitendes Alter. Aber erwähnte ich auch nur ein einziges Mal den Rest meiner Symptomatik? Nein, denn in meinen Augen - die nun alles gelb- und blaustichig sahen - gab es keinen Zusammenhang zwischen den seltsamen Entwicklungen, die über mich kamen.
Dann folgte eine ruhige Phase. Dachte ich zumindest. Doch ich irrte mich gewaltig. Denn gestern beim Rasieren in der Dusche konnte ich nicht mehr feststellen, wo meine Achselhaare aufhörten und meine Armhaare begannen. Es schien, als sei mir über den letzten Monat, der wohlgemerkt ein Wintermonat mit dicken Pullovern war, tatsächlich eine
Art Fell gewachsen. Ich beschloss, nach dem Wochenende ärztlichen Rat einzuholen. Doch ich wusste immer noch nicht, was mit mir geschah.
Heute kam dann der erschreckende Moment der Erkenntnis: Nicht nur war mein Fell über Nacht noch mehr gewachsen, nein, ich jagte heute tatsächlich unserer Katze hinterher. Zum Glück war ich noch zu langsam für sie, aber sollte ich den Gedanken, die ich in diesem Moment hatte Glauben schenken, wäre es dem armen Tier nicht gut ergangen, hätte ich es erwischt.
Jetzt sitze ich an meinem Computer und tippe diese Worte, zeitweise abgelenkt durch ein Eichhörnchen vor meinem Fenster. Meine Kleidung fühlt sich falsch an meiner Haut an, und mein äußeres Erscheinungsbild verändert sich. Auch innerlich tut mir alles weh, ich weiß, dass meine Knochen sich soeben neu anordnen und es wird immer schwerer zu tippen. Ich weiß nicht, wie viel Zeit mir als Mensch noch bleibt und wünschte ich hätte die vergangene Zeit anders investiert. Ich weiß auch nicht, wer dies jemals lesen wird, aber eines kann ich demjenigen mit Sicherheit sagen: Der Hund, der zusammen mit dem laufenden Computer in meinem Arbeitszimmer gefunden wird, ist ein netter Kerl, der eine liebe Familie sucht, die auf ihn aufpasst. Bitte behandelt ihn, als wäre er einst ein Mensch gewesen.