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geschrieben 2019 von Cecilia (Cecilia).
Veröffentlicht: 24.01.2020. Rubrik: Fantastisches


Der Hocker in der Ecke

Der Hocker in der Ecke

Der Vorhang hob sich und auf die Bühne trat eine ganz in weiß gekleidete Frau, die ein Baby in den Armen hielt. Sie setzte das Mädchen ab und verließ die Bühne von der anderen Seite. Auf dem Namensschild um ihren Hals stand „Geburt”.
Während das Kind langsam älter und größer wurde, sammelten sich seitlich hinter der Bühne weitere Wesen wie die Frau. Sie alle trugen Namensschilder, beschrieben mit den verschiedenen Stationen im Leben eines Menschen.
Ganz hinten in der Ecke saß auf einem kleinen Hocker ein Skelett, das gerade ein Buch las. Es trug ein Frack und einen passenden Zylinder. Auf der Krawattennadel, die mit ihrem silbernen Schimmern der einzige Farbakzent in seiner Kleidung war, stand in großen, verschnörkelten Buchstaben „Tod”. Still saß er da und blätterte in seinem Buch.
Er bewegte sich zum ersten Mal, als ein kleines Mädchen namens „Kindheit” die Bühne betrat. Von ihrem bunten Kleid waren ein paar Blumen abgefallen. Der Tod erhob sich schweigend und sammelte die Blumen ein, dann kehrte er zu seinem Hocker zurück.
Aufmerksam geworden durch diese Bewegung sprach ihn ein Junge aus der Reihe an: „Willst du dich nicht einmal hinten anstellen, damit du genau wie wir geordnet zu deiner Zeit die Bühne betreten kannst?”
Das Skelett drehte sich um. Spöttisch sah er auf das Schild des Jungen. „Erste Liebe”. Leise, aber mit kräftiger Stimme antwortete er: „So einfach ist das bei mir nicht. Ich muss mich nicht anstellen. Ich kann ganz einfach, wann ich will auf die Bühne. So…” Er ging auf den Vorhang zu, der die Wartenden von der Bühne trennt. Langsam schob sich seine knochige Hand um den Stoff und öffnete ihn gerade soweit, dass das kleine Mädchen, das gerade auf dem Heimweg von der Schule war ihn sehen konnte, sollte sie in seine Richtung sehen.
In dem Moment, als der Tod seinen Kopf durch den Vorhang steckte, stolperte sie und fiel auf die Straße, auf der sich bereits ein großer Laster mit unheilvoller Geschwindigkeit näherte.
„Hör auf, ich glaube dir!”, rief der Junge.
Der Tod drehte sich wieder um. Am zufallenden Vorhang vorbei konnte man gerade noch sehen, wie der Laster eine Vollbremsung vor dem Mädchen hinlegte.
„Ich werde nicht eingreifen,” beschwichtigte der Tod die aufgebrachte Menge vor ihm, „solange ihr eure Arbeit gut macht. Sollte sie allerdings nach mir rufen, werde ich nicht anders können als die Bühne zu betreten.” Damit begab er sich zurück auf seinen Hocker.
Die Zeit verging und niemand wagte mehr ihn anzusprechen. Ungestört saß er dort, während der Junge die Bühne betrat, wieder verließ und andere nachrückten.
Das Mädchen auf der Bühne wuchs auf, sie wurde erwachsen und studierte schließlich.
Doch dann geschah etwas, mit dem niemand gerechnet hatte: Der nächste in der Reihe fehlte. Das Mädchen war fast fertig mit studieren und derjenige, der für ihren Beruf verantwortlich war stand noch nicht hinter dem Vorhang.
Unter den restlichen Wesen entstand Panik. Doch bevor die Situation zu eskalieren drohte erhob sich der Tod. „Hört auf,” sprach er mit lauter, machtvoller Stimme. „Seid jetzt leise und geht zurück auf eure Positionen. Euer Verhalten nützt ihr gar nichts. Einer von euch geht jetzt los und besorgt und einen Ersatzspieler. Solange der eigentliche Beruf noch fehlt, wird sie einen anderen annehmen müssen. Wenn ihr niemanden findet, seid ihr daran schuld, wenn sie arbeitslos wird.”
Die Wesen schwiegen und eines huschte los, um einen Ersatz zu finden. Kurz darauf kam es zurück. Der Ersatzspieler betrat sofort die Bühne und der Tod setzte sich beruhigt wieder zurück auf seinen Hocker.
Doch die Ruhe währte nicht lange. Der Tod richtete sich auf, er hörte, wie jemand seinen Namen rief. Auch die andern hörten es und sahen ihn geschockt an, während er wie von unsichtbaren Fäden auf die Bühne gezogen wurde. Hilflos warf er einen Blick auf die Menge zurück, einige von ihnen weinten. Traurig dachte er an den halbfertigen Blumenkranz neben seinem Hocker. So hatte er das nicht geplant. Er glitt durch den Vorhang auf die Bühne.
Da fasste ihn eine zarte Hand an der Schulter und zog ihn zurück. Plötzlich waren die unsichtbaren Fäden verschwunden. Der Tod wandte sich um und erblickte ein schmales Mädchen, das das Wort „Haustier” auf einem Halsband trug. „Noch nicht,” flüsterte es ihm zu, während es in Gestalt eines Hundes auf die Bühne sprang und auf die junge Frau zurannte.
Mit einem erleichterten Seufzer kehrte der Tod zu seinem Hocker zurück. Er hatte ihn noch nicht ganz erreicht, als von hinten ein Mann in Anzug nach vorne rannte. Auf seinem Namensschild stand „Traumberuf”.
„Entschuldigung für die Verspätung,” keuchte er, als er an dem Skelett vorbeilief.
„Entschuldige dich bei ihr, nicht bei mir,” murmelte der Tod erschöpft, während er sich auf den Hocker fallen ließ.
Nach dieser Aufregung geschah nichts mehr. Die Wesen betraten eines nach dem anderen in ihrer Reihenfolge die Bühne und die Schlange wurde kürzer.
Zum Schluss saß der Tod alleine da. Er las noch ein Kapitel in seinem Buch, dann streckte er sich, erhob sich von dem Hocker in der Ecke, steckte das Buch in die Innentasche seines Fracks und betrat langsam die Bühne.
Dort saß die Frau in einem Schaukelstuhl und laß. Sie war mittlerweile alt geworden. Ihre grauen Haare rahmten ihr von Falten geziertes müdes Gesicht, dessen Augen jedoch von einem glücklichen Leben sprachen. Dann schlug auch sie ihr Buch zu und legte es weg.
Sie stand auf und blickte den Tod direkt an. „Ich habe auf dich gewartet,” sagte sie mit einem Lächeln.
Wortlos, aber ihr Lächeln erwidernd ging er auf sie zu und setzte den fertigen Blumenkranz auf ihren Kopf.
Die alte Frau strich vorsichtig über die Blumen und flüsterte: „Ich erinnere mich an die.” Dann ergriff sie die knöcherne Hand, die der Tod ihr entgegenstreckte und zum ersten Mal im gesamten Stück wandte sie sich zum Publikum, aus dem ihr ihre Eltern stolz entgegenblickten.
Sie nickte dem Tod neben ihr zu und zusammen schritten sie die Treppe an der Vorderseite der Bühne hinab.
Dann fiel der Vorhang.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Dan Prescot am 24.01.2020:

Sehr schön und mit viel Gefühl verfasst. Toll.

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