Veröffentlicht: 20.10.2017. Rubrik: Persönliches
Timmi der Papagei.
Timmy der Papagei.
Diese wahre Geschichte beginnt vor etwa dreissig Jahren, als ein
kleiner Graupapagei zu uns kam. Timmy kam und siegte. Wir hatten gerade seit einigen wenigen Wochen unser neues Anwesen bezogen.
Die Zimmer waren hergerichtet, man fühlte sich wohl. Es gab einen Anbau am Haus, mit direktem Zugang vom Garten her, der ursprünglich als Wintergarten dienen sollte. Eine grosse Schirmpalme hatte hier schon ihren festen Standplatz eingenommen. Dieser Raum wurde einfach zu wenig genutzt. Allenfalls saßen wir am Wochenende dort, um gemütlich zu frühstücken. Das sollte sich aber bald ändern. Zu dieser Zeit fuhr ich täglich mit der Bahn einige Kilometer zu meiner Arbeitsstelle nach Hannover. Mitunter kam es vor, dass ich nach Dienstende einen kleinen
Stadtbummel machte. Es zog mich dabei immer wieder in ein Kaufhaus, wo es auch eine recht grosse Zooabteilung gab. Die Aquaristik interessierte mich nicht so sehr, aber die Ecke, wo ein heiteres Vogelzwitschern zu hören war, dort hin lenkte ich meine Schritte. Zurückgezogen in einer Ecke der riesigen Voliere hinter Glas, sah ich
einen kleinen Graupapagei sitzen. Ich hatte den Eindruck, als würde das rege Treiben der übrigen Bewohner dieser Voliere, dem grauen Vogel mit Rostbraunen Schwanzfedern garnichts ausmachen. Ich fragte beim Verkauspersonal nach, warum dieser Papagei denn keine Signalroten Schwanzfedern hat. Ich bekam zur Antwort, dass es sich um eine
zoologische Unterart der Graupapageien handeln würde. Ich dachte bei mir,...aha, dann ist es wohl der Grund, dass der Vogel für meine
Begriffe sehr preiswert angeboten wurde. Viele Wochen und Monate später stand für mich fest, dass dieser Vogel viel zu preiswert angeboten wurde. Insgeheim stellte ich mir schon vor, das dieser Papagei in einem geräumigen Heimbiotop, einem grossen Käfig, in der bis dahin wenig genutzten Veranda stehen könnte. Weil ich überhaupt keine richtigen Kenntnisse darüber hatte, welche Pflege solch einem Vogel zukommen muss, stand ich kurz darauf vor einem Regal in der
Buchabteilung. Ich wählte eine Lektüre aus, welche mir all diese Fragen beantworten konnte. Auf der Heimfahrt war ich bereits über viele Seiten hinweg in dieses Buch vertieft. Somit hatte ich schon einen sehr grossen Überblick gewonnen, und wusste über viele wichtige Details bescheid, in erster Linie die richtige Ernährung betreffend. Zu hause angekommen, musste ich jetzt Überzeugungsarbeit an den Tag legen, zumal es schon einen Vierbeiner im Haus gab, eine Schäferhündin, die ein schlimmer Schicksalsweg in das Tierheim geführt hatte. Zum Glück hatte sie sehr bald wieder volles Vertrauen und Zuneigung zu den Menschen entwickelt. Es dauerte nicht lange und mein kleiner Vogel vom Kaufhaus war willkommen,...schliesslich entfiel ja das Gassi gehen. Gleich am nächsten Tag machte ich den Kauf am Telefon perfekt, um abends das finanzielle erledigen zu können. Vorher musste jedoch noch das gesamte Zubehör bereitgestellt sein, solange sollte der Vogel noch im Kaufhaus verbleiben. Es waren nur zwei Tage. Der geräumige Vogelkäfig war inzwischen angeliefert, wobei ich mich bei der Innenausstattung sehr genau an die Vorgaben hielt. Die Sitzstangen waren Naturholz von unserem Apfelbaum, der nun in fast regelmässigen Abständen zur Erneuerung des Inventars, gestutzt wurde. Der Standplatz war so gewählt, dass der Vogel im Rücken eine Wand hatte, aber auch ein Blickfeld nach draussen auf die Strasse. Es war Freitag Abend, ich kam mit dem Zug an und wurde am Bahnhof mit dem Auto abgeholt, um schnell mit der lebenden Fracht im kleinen Transportbehälter zu hause zu sein. Es war nicht zu vermeiden, dass immer wieder ein recht lautes knurren aus dem Behälter zu hören war, trotz meines Bemühens, keine unnötigen Erschütterungen herbeizuführen. Nun war es soweit, der Vogel durfte seinen engen Raum
verlassen, ...und das geschah sogleich, aber mit sehr lautem Geschrei und ausgiebigem schütteln des Gefieders. Zunächst klammerte er sich angstvoll am Gitter fest, aber allmählich näherte er sich der oberen Sitzstange, um diese mit seinem Schnabel zu testen. Wir standen in einem gebührenden Abstand, um nicht gleich wieder ein lautes Geschrei heraufzubeschwören. Aus diesem Grund sahen wir lieber aus der Ferne zu, wie unser Timmy, so hiess er nun, sein Mobiliar mit dem Schnabel bearbeitet, indem er sämtliche Rinde von der Stange entfernte. Dies geschah in völliger Ruhe, und mit grossem Eifer. Mein schlaues Buch sagte mir, das jetzt die Phase der Eingewöhnung beginnt. Aber wie
lange diese Zeit dauert, darüber gab es keine Antwort. Wir durchlebten diese Zeit jedoch mit viel Langmut, und wagten nicht daran zu denken, dass aus diesem krummen Schnabel irgendwann einmal menschliche Laute zu hören sein könnten. Bislang war nur trällerndes pfeifen zu hören, was sich hier und da melodisch anhörte. Inzwischen durften wir uns aber schon dem Käfig nähern, denn es waren tägliche Handgriffe notwendig. Es lagen zu jeder Zeit artgerechte Leckereien bereit, die besten und teuersten Äpfel, Pinienkerne und Erdnüsse en gros. Der Teelöffel hatte ausgedient, denn nun nahm unser Timmy schon etwas aus der Hand,...was für ein grosser Erfolg. Wir waren ständig dabei, zu sprechen, wenn jemand in die Nähe von Timmy ging. Ich sagte immer die Worte,...na du Quatschkopf. Eines Tages, als man geruhsam im angrenzenden Wohnzimmer saß, die Schiebetür zur Veranda war geöffnet, lief uns ein Schauer über den Rücken. Wir hörten sehr deutlich
und in meinem Tonfall das Wort... Quatschsch, mit einem langgezogenen "sch". Verdutzt schaute man sich an, und wir zeigten nur stumm mit dem Daumen in Richtung Veranda. Das konnte nur der Vogel gewesen sein. War jetzt das Eis gebrochen? In der Tat, wir erlebten von jetzt ständig eine neue Überraschung. An das Wort Quatsch schloss sich in kürzester Zeit die weitere Silbe "Kopf" an. Wir hatten von nun an einen Quatschkopffff. Nach und nach zog uns der Vogel immer mehr in seinen Bann. Er hatte offenbar ein grosses Talent etwas nachzuahmen. So war sehr deutlich zu hören, wie der Knipser vom Lichtschalter betätigt wurde. Immer wenn man gegen Abend zu diesem Schalter griff, machte
Timmy schon das Geräusch. Wenn wir am Mittagstisch saßen, war deutlich zu hören, wenn es einem mal besonders gut geschmeckt hatte. Timmy schmatzte unaufhörlich. Reichten wir dem Vogel einen Leckerbissen, dann sagten wir dabei,..."Timmy auch". So war es kein
Wunder, dass unsereins es als Aufforderung sah, wenn diese zwei Wörter während des Frühstücks zu hören waren. Deshalb hielt ich immer ein Stück von meinem Frühstücksei zurück, aber es durfte nur das Weisse sein, das gelbe vom Ei war nichts für ihn, das landete umgehend
im hohen Bogen im Sand. Er plapperte nicht einfach aus langer Weile, nein, er hatte die Fähigkeit, situationsbedingt Dinge von sich zu geben. "Guttte Nacht Timmy schlaaf" war nur am Abend zu hören, wenn die Dunkelheit hereinbrach. Am Tag hatten wir diese Worte ja niemals gesagt. Das unglaublichste, wozu der Vogel fähig war, ...er rief unseren Hund im Sommer aus dem Garten ins Haus, wenn dieser in der Nähe der Veranda war. Er hatte ja immer gehört, wie ich den Hund gerufen hatte,...."Asta komm", und noch einen Pfiff hinzu fügte. Wir waren nicht schlecht erstaunt, dass sich der Hund von einem Papagei täuschen liess. Nur eines wollte unser Timmy nicht, man durfte ihm nicht an die Federn. Meine wiederholten Versuche, an seinem Köpfchen nach
Papageienart kraulen zu wollen, das wurde mir schmerzhaft heimgezahlt. So schmückte ich meinen Finger immer wieder mal, ohne Groll zu haben, mit einem Pflaster. Timmy hatte seinen Siegeszug gemacht. Timmy hatte zweifellos unsere gesamten Konversationen aufgeschnappt. Wenn wir einmal Besuch im Haus hatten, und im Wohnzimmer gredet wurde, war es nicht selten, dass plötzlich ein langgezogenes "jaaaa jaaaa" zu hören war. Unsere Gäste brachen dann in grosses Gelächter aus. Eines schönen Vormittags musste ich jedoch eine schlimme Beobachtung
machen, die mich fast lähmte. Der Vogel erbrach seine Nahrung aus dem Kropf und würgte und würgte. In Panik geraten holte ich sofort einen kleinen Transportkäfig aus dem Keller, liess den Vogel umsteigen, um auf dem schnellsten Weg zum Tierarzt zu gelangen. Die Ärztin rief uns gleich
in den Behandlungsraum. Ich stellte den kleinen Käfig auf den Tisch, wobei ich schon gefragt wurde, was dem Vogel denn fehlt. Ich erklärte meine Beobachtung. Frau Doktor schaute auf den Vogel,...sagte dann beiläufig, dass der Vogel aber gar keine Anzeichen von Unwohlsein zeigen würde. Sie setzte sich hinter ihren Schreibtisch, stützte ihr Kinn auf die aufgestellten Unterarme und legte ein paar Falten auf ihre Stirn. Nun erwartete ich eine schlimme Nachricht, aber nichts dergleichen geschah. Im Gegenteil, das Gesicht der Ärztin überzog sich mit einem lächeln. Der Papagei ist nicht krank, sagte sie nachdrücklich. Sie erklärte mir den Zusammenhang meiner Beobachtung. Der Vogel wollte mir
lediglich seine Sympathie bekunden, indem er mir vorbereitete Nahrung reichen wollte. Ich war offenbar dazu auserkoren, ein Verhälnis mit ihm einzugehen. Aber,....verstehen konnte ich es nicht, denn ich habe schliesslich keine Federn und auch keinen krummen Schnabel.
Es kam das Jahr 2010. Unser Timmy wurde plötzlich von einer offenbar schlimmen Krankheit heimgesucht. Schnellstens eingeleitete Laboruntersuchungen verliefen ergebnislos. Teure Notfallmedizin konnten wir ihm zuführen, aber es half nicht mehr. Am frühen Morgen ging ich mit schlimmer Erwartung in die Veranda, und konnte meinen Papagei nur noch leblos aus dem Käfig nehmen. Das erste mal nach Jahrzehnten durfte ich ihn berühren,....aber er war so kalt. Im Garten gibt es eine Stelle, da steht im Sommer eine Solitärpflanze auf einer roten Sandsteinplatte, mit der Inschrift Timmy.