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geschrieben 2020 von die Juditha.
Veröffentlicht: 01.04.2020. Rubrik: Kinder und Jugend


Die Brücke am Ende der Siedlung

Auf der anderen Seite der Straße ist sie. Die Brücke, die aus unserer Siedlung in die benachbarte führt. Ich höre die Stimme meiner Mutter: „Gehe niemals über diese Brücke. Wenn doch, sprühen wir dich erst mit Wasser ab, bevor du ins Haus kommst.“ Aber – vielleicht auch gerade deshalb – sie reizt mich. Ich gehe wie jeden Morgen an ihr vorbei auf der größtmöglichen Runde, die ich gehen darf. So gerne möchte ich mal sie mal überqueren. Dafür werden Brücken doch gebaut, oder? Sie ist eine Verbindung. Diese Verbindung ist bei uns verpönt. Wer sich traut über diese Brücke zu gehen, gilt als waghalsig und waghalsig als unbeliebt. Unsere Siedlung ist sehr ordentlich, aufgeräumt. Die Leute verhalten sich aufgeräumt. In den Gärten haben alle Rasen die gleiche Höhe. Samstag Morgen 09:00 Uhr wird Rasen gemäht. Der Nachbar wird darauf angesprochen, wenn er spät dran ist. Die Gärten liegen immer hinter dem Haus. Von oben betrachtet sieht unsere Siedlung wie ein Bild im Kaleidoskop aus. Außen die Straßen in grau, dann die weißen Häuser mit ihren roten Spitzdächern, dann die grünen Gärten. In letzteren befinden sich ein gepflegtes Trampolin und ein blauer Pool immer so im rechten Winkel angelegt, dass sie wie weiter geschoben wirken. Ordnung gibt uns Sicherheit. „Wenn alles seinen Platz hat, brauche ich nichts suchen und muss mir auch nicht überlegen, wo ich es hintue und nichts liegt einfach nur rum, die Flächen sind frei.“ sagt meine Mutter immer. Ich bin mir nicht sicher, ob ich hier rein passe. Ich weiß noch nicht wie sonst, aber dieses Leben erscheint mir zu klein. Morgen gehe ich über diese Brücke. Bei dem Gedanken schlägt mein Herz bis zum Hals. Dennoch... diesmal wirklich!

Heute gehe ich die Runde anderherum. Dann bin ich schneller bei der Brücke. Vor den Stufen stehend kommt sie mir gewaltig hoch vor. Sie wirkt so unüberwindlich! „Ich dreh um. Nein. Guckt jemand? Nein. Also los.“ Einmal tief durchgeatmet und die Stufen hoch gegangen. Ich weiß nicht, ob ich 20 oder 100 Stufen nach oben gehe. Jede Stufe kommt mir vor, als würde ich sie fünfmal nehmen. Mein Herz pocht wie wild gegen die Rippen. Mit schlotternden Knien gehe ich weiter. „Ich bin so eine schlechte Tochter. Meine Mutter wird so enttäuscht sein.“ Ich muss weiter gehen. Oben angekommen blicke ich in die Tiefe. „Oh Gott, wenn die Nachbarn mich sehen!“ Ich krieg keine Luft mehr! Doch ich atme noch. Ein Güterzug donnert die Schienen unter mir entlang. Die Brück wackelt. Ich klammere mich an einen Mast und schreie. Mir meiner Situation wieder bewusst lass ich den Mast los und gehe weiter. Die Treppe auf der anderen Seite wieder runter. Dann renne ich. So schnell mich die Beine tragen können. Kann nicht mehr aufhören. Nehme die dreckigen Geschäfte, die leerstehenden und halbverfallenen Bürogebäude, die lauten Autos, die staubigen Menschen kaum wahr. Will ich auch nicht. Nicht meine Welt. Ich renne weiter. Ich weiß nicht mehr wie, aber auf einmal stehe ich am Ufer eines Flusses. Hier ist es still. Ich stehe still. Gleichmäßig atme ich aus und ein. Dann blicke ich in die Augen eines Reihers. Er steht genau neben mir und schaut mich an. Mit ganz ruhigem Blick. „Hast du denn gar keine Angst?“ wundere ich mich. Er antwortet nicht. Er schaut weg und wartet weiter auf seinen nächsten Fisch. Am Fluss entlang gehe ich weiter. Die Gegend hat was unberührtes – wildes. Gleichzeitig sah ich auf der anderen Seite Neubauten. In Reihen oder im rechten Winkel zueinander stehend glänzen sie so schön neu. Ich habe mich beruhigt. Entspannt gehe ich weiter und komme auf eine Wagenburg zu. Achherje! Das Herzrasen ist wieder da. Bestimmt 10 grellbunt bemalte Wagen stehen mehr oder weniger im Kreis auf einer schlammigen Fläche. Holzverschläge krumm und schief irgendwie aneinander gezimmert, befinden sich in der Mitte. Kinder mit dreckigen Gesichtern spielen Kleckerburgen bauen. Mir wird schlecht. So viel Dreck, Matsch und Chaos. Ich staune. Ich erstarre. Im ersten Bauwagen öffnet sich die Tür und ein sagenhaft gutaussehender Junge in meinem Alter steigt in Gummistiefel und springt von der obersten Stufe seiner Holztreppe zum Bauwagen in den Matsch. Seine ganze Hose ist nun matschbraun besprenkelt. „Wenn das meine Mutter sehen könnte! Sie würde in Ohnmacht fallen oder einen Tobsuchtsanfall bekommen... Schöne Wagen. Die Bemalung macht ja Sinn!“ Während ich all das denke, bewege ich mich keinen Millimeter und starre weiter auf die Bauwagen. Der junge Mann kommt auf mich zu und fragt: „Geht es dir gut? Kann ich dir helfen?“ Das löst mich aus meiner Erstarrung: „Äh. Nein.“ stammele ich: „Schöne Bilder auf den Bauwagen.“ „Danke. Die habe ich gemalt. Mir war langweilig.“ „Sie erzählen eine Geschichte.“ „Ach ja? Soll ich dich rumführen und du erzählst mir die Geschichte, die du siehst?“ „Ja. Sehr gern.“ Ich musste lächeln. Die ganze Zeit über, Konnte nicht anders.

Um mehrere Erlebnisse sowie einer Verabredung reicher und mit deutlich leichterem Schritt kehrte ich zurück. Es sind doch nur 20 Stufen, die die Brücke nach oben führen.

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