Veröffentlicht: 23.03.2020. Rubrik: Lustiges
Nicki im Doppelpack
Vorwort: Diese Geschichte wurde schon um 2008 herum geschrieben; das genaue Jahr kann ich nicht mehr ermitteln. Ich habe sie jetzt stilistisch etwas bearbeitet (z.B. "Fake-Mail" statt des ursprünglichen Ausdrucks "Täuschungs-Mail"). Dass sie alt ist, hat den großen Vorteil, dass kein einziges Mal das Wort Corona in ihr vorkommt!
Endlich Feierabend! Aufatmend betrat Nicole, die als Sekretärin bei einer kleinen Firma arbeitete, ihre Wohnung. Gleich würde auch ihr Mann Klaus nach Hause kommen. Sie entschloss sich, vorher noch schnell eine E-Mail an ihre Freundin Coco zu senden, setzte sich an den PC und schrieb:
Hallo Coco!
Entschuldige bitte, dass ich dir noch immer nicht für das tolle Buch gedankt habe. Bei uns im Büro ist die Hölle los. Der Chef, dieser alte Esel, kommandiert uns ständig rum und hat selber von nix eine Ahnung. Am Wochenende rufe ich dich aber mal an! Für heute in aller Eile viele Grüße und DANKE,
Nicki
Ein Schlüssel drehte sich in der Wohnungstür. Nicole schickte die Mail ab, lief zur Tür und begrüßte Klaus mit einem stürmischen Kuss. Die beiden, die schon lange ein Paar waren und im Vorjahr geheiratet hatten, waren immer noch so verliebt ineinander wie am ersten Tag. Klaus arbeitete im Germanistischen Institut der Universität.
Plötzlich fiel Nicole ein, dass sie den PC noch nicht ausgeschaltet hatte. Sie ging ins Computerzimmer. Kurz darauf hörte Klaus einen Entsetzensschrei und eilte zu seiner Frau.
Nicole saß vor dem PC und starrte fassungslos auf den Bildschirm. Als Klaus ins Zimmer trat, winkte sie ihn zu sich heran und klammerte sich an ihn, während sie mit tränenerstickter Stimme sagte:
„Ich hatte eine Mail an Coco geschrieben, und jetzt sehe ich, dass ich in der Eile den verkehrten Empfängernamen eingegeben habe. Die Mail ist an meine Firma gegangen!“
„Ja und? Ist das denn so schlimm?“, fragte Klaus.
“Schlimm ist gar kein Ausdruck! Lies selber!“
Klaus beugte sich vor, um den Text besser sehen zu können. Dann sagte er: „Auweia“.
„Ich werde meine Stelle verlieren!“, weinte Nicole.
„Das wird nicht passieren“, tröstete er sie, obwohl er insgeheim selber besorgt war. „Gibt es bei euch niemanden, der die Mail löschen könnte, bevor der Chef sie sieht?“
Nicole schüttelte den Kopf. „Seine Wohnung liegt ja über dem Büro. Morgens kommt er als Erster und ruft die Mails ab. Manchmal geht er sogar spätabends noch mal rein.“
„Warte mal“, rief Klaus plötzlich, „ich hab den Text gerade noch einmal ganz genau gelesen. Ich glaube, du hattest Glück im Unglück.“
“Wie meinst du das?“
„Zufällig ist die Mail so formuliert, dass sie auch von mir stammen könnte. Zumal wir ja eine gemeinsame E-Mail-Adresse haben.“
„Aber du heißt doch nicht Nicki!“
„Könnte ich aber. Klaus kommt von Nikolaus, und deshalb könnte ich mich, wenn ich wollte, Nicki nennen. Auch Coco könnte der Spitzname eines Mannes sein. Und zum Glück hast du auch nicht ‚Liebe Coco‘ oder ‚deine Nicki‘ geschrieben. Der Text ist geschlechtsneutral.“
„Ach, Herr Germanistikprofessor“, fauchte Nicole gereizt, „glaubst du wirklich, dass mein Chef auf solche Spitzfindigkeiten kommt? Der versteht automatisch, wer die Mail geschrieben hat, und schmeißt mich raus.“
„Genau das will ich verhindern.“
Nicole schöpfte neue Hoffnung und schmiegte sich an ihn. „Aber wie?“
„Durch eine Fake-Mail. Nein, zwei Fake-Mails.“ Klaus grinste. „Geh mal in die Küche und mach dir eine heiße Schokolade, die beruhigt dich ja immer. Währenddessen entwerfe ich die Texte und zeige sie dir dann.“
*
Hallo Olli!
Leider bin ich noch immer nicht dazu gekommen, dir wegen des Termins zu schreiben. Bei uns im Büro ist die Hölle los. Der Chef, dieser alte Esel, kommandiert uns ständig rum und hat selber von nix eine Ahnung. Am Wochenende rufe ich dich aber mal an! Viele Grüße, auch von Nicole,
dein alter Kumpel Nicki
„Wer ist denn Olli?“, fragte Nicole, nachdem sie den Text auf dem Bildschirm gelesen hatte.
„Ein Phantom! In Wirklichkeit schicken wir die Mail ja an deine Firma. Damit dein Chef glaubt, auch die erste Mail sei von mir gewesen. Meinen eigenen Chef kennt er ja nicht, sodass mir selber nichts passieren kann. Aber damit die Täuschung perfekt wird, senden wir deiner Firma etwa eine halbe Stunde später noch ein Pseudo-Rundschreiben.“
„Ein was?“
„Eine Mail, die so aussieht wie ein Rundschreiben. In Wirklichkeit geht sie nur an deine Firma. Und aus technischen Gründen auch an uns selbst. Als Empfänger geben wir unsere eigene Mail-Adresse an und als Betreff ‚Rundschreiben‘. Die Adresse der Firma tippen wir ins Feld ‚Bcc‘. Dann bekommt sie eine solche Blindkopie und denkt, Scharen anderer Leute hätten ebenfalls dieses Rundschreiben erhalten.“
„Und was soll drinstehen?“, fragte Nicole mit gerunzelter Stirn.
„Lies!“ Stolz präsentierte Klaus den zweiten Textentwurf.
Sehr geehrte Empfänger dieses Rundschreibens,
leider war unser Computer defekt. Wie wir erfahren haben, wurden zum Beispiel E-Mails an die falschen Adressen verschickt oder verschwanden ganz. Jetzt ist der Schaden zum Glück wieder behoben. Für die Unannehmlichkeiten möchten wir uns hiermit entschuldigen.
Mit freundlichen Grüßen
Nicole und Nikolaus (Klaus) Lehmann
„Super!“ Nicole umarmte ihren Mann voller Bewunderung. „Jetzt schicken wir also zuerst die Olli-Mail an meine Firma und eine halbe Stunde später das angebliche Rundschreiben. Ach ja, die Mail für Coco muss ich nachträglich auch noch senden. “
*
Kurz vorm Schlafengehen stellte Nicole noch einmal den PC an. Nur eine einzige neue Mail wurde abgerufen. Als sie den Namen des Absenders las, stieß sie einen Schrei aus und rief ihren Mann.
„Klaus! Komm bitte! Es ist eine Mail von meinem Chef eingegangen! Lies du sie, ich bring’s nicht fertig...“
Der Herbeigerufene klickte auf den Namen, ließ seine Augen über den Text auf dem Bildschirm gleiten und las dann vor:
Hallo Frau Lehmann, Ihr Computer ist ja wieder in Ordnung. Denken Sie bitte morgen dran, unser Virenschutz-Abonnement zu verlängern, damit uns in der Firma nicht dasselbe passiert. Es läuft in drei Wochen ab! Ihnen und Ihrem Mann noch einen schönen Abend!
„Ich darf bleiben!“, jubelte Nicole, umarmte ihren Retter und tanzte mit ihm durch die ganze Wohnung.
„Eigentlich schreibt er doch ganz nett, dein Chef“, meinte Klaus. „Und dass er ein alter Esel ist, hat in diesem Fall sein Gutes. Sonst hätte er den Schwindel vielleicht doch durchschaut.“
„Nein“, protestierte Nicole, „der war so genial, den konnte niemand durchschauen! Du trägst deinen Namen zu Recht! Du bist genau so ein Wohltäter wie der heilige Nikolaus!“