Veröffentlicht: 25.01.2020. Rubrik: Menschliches
An die Familie
Eine 85-jährige Frau sitzt auf einer Bank vor dem Haus. Ein Platz an der Sonne. Vor ihr steht ein Tisch voll mit Schüsseln, Gemüse, Brettchen und scharfen Messern. Sie bereitet einen Salat mit Gemüse aus dem eigenen Garten zu. In der Bewegung innehaltend schaut sie sich um. Ihr Sohn und Enkel stehen am Grill, während der Enkel ihren 2-jährigen Urenkel ermahnt, nicht zu nah ans Feuer zu kommen. Ihre Tochter kommt gerade mit ihrem Mann an und beide winken ihr zu. Sie winkt zurück. Ihr Mann bringt frische Kartoffeln direkt aus dem Beet ins Haus. Ihre Schwiegertochter tritt heraus und nimmt sie entgegen. Es ist der 4. Sonntag im Mai und die Familie trifft sich. Sie denkt: Jetzt wäre ein guter Augenblick zu sterben. Aber vorher möchte ich wissen, warum? Wofür wurde ich geboren? Warum war ich auf der Welt? Dann riecht sie den Kaffee, den ihr Mann ihr gerade bringt und sich zu ihr setzt. Sie sieht ihren Enkel am Grill, hört ihre Schwiegertochter mit ihrer Tochter lachen, fühlt diesen Frieden in jedem Atemzug während sie von der Paprika nascht. Sie spürt die Hand ihres Sohnes auf ihrer Schulter, während er mit ihrem Mann spricht. In diesem Augenblick weiß sie es: für diese Familie! Für diese Menschen! Sie waren ihr jede Rücksicht, jeden Verzicht, jeden Kampf, jeden Schmerz wert.
Wenn ich so dieses Bild vor mir sehe, freue ich mich auf meinen 85. Geburtstag. Aber der ist jetzt noch nicht. Meine Kinder sind noch Kinder. Jetzt ist noch jede Entscheidung so zu treffen, dass sie für drei (vier oder fünf) Leben gut ist.