Veröffentlicht: 09.10.2019. Rubrik: Grusel und Horror
Feuer
„Nach meinem Tod möchte ich auf keinen Fall verbrannt werden!“, sagte die alte Elise zu ihrer einzigen Tochter Mechthild und ihrem Schwiegersohn Lothar. „Ich wünsche eine Erdbestattung! Es braucht gar kein aufwändiges Grab zu sein. Nehmt ein ganz einfaches, aber lasst mich hier in der Erde meiner geliebten Heimatstadt ruhen und übergebt mich nicht dem Feuer!“
Wenig später starb Elise. „Lothar, weißt du, ob Mutter außer uns noch anderen gesagt hat, dass sie nicht feuerbestattet werden will?“, fragte Mechthild ihren Mann.
„Nein, aber ich bin sicher, dass niemand außer uns davon weiß. Sie hatte doch zuletzt nur noch mit uns Kontakt.“
„Gut, dann brauchen wir uns nicht daran zu halten. Eine Feuerbestattung ist billiger. Wir erben ja Mutters Häuschen, und dessen Renovierung wird eine Menge kosten.“
Lothar stimmte ihr zu. „Am besten fände ich es, die Asche zu verstreuen. Das ist hierzulande leider nicht erlaubt. Aber wir wohnen ja direkt an der Grenze.“
Und so geschah es. Der Leichnam der alten Frau, die sich nicht mehr wehren konnte, wurde eingeäschert. Später fuhren Mechthild und Lothar ins Nachbarland und verstreuten die Asche. Erleichtert setzten sie sich danach wieder in ihr Auto, um nach Hause zu fahren.
Kaum hatten sie auf dem Rückweg wieder die Grenze überquert, als ein Unwetter losbrach. Der Sturm blies von hinten so stark, dass sich ihr Auto kaum noch unter Kontrolle halten ließ. „Glaubst du, dass Mutters Asche wieder hier herüber geweht werden kann?“, fragte Mechthild schaudernd. Ihr Mann antwortete nicht, weil er sich ganz aufs Fahren konzentrieren musste.
Der Sturm wurde zum Orkan, dazu blitzte und donnerte es in einem fort. „Wir können nicht mehr weiterfahren, Lothar! Dort hinten ist Mutters Häuschen. Es liegt zwar zwischen Bäumen, hat aber einen Blitzableiter. Gut, dass ich den Schlüssel dabeihabe.“
Die Eheleute flüchteten in das leere kleine Haus. Zur Ruhe kamen sie dort jedoch nicht. Zum einen hörten sie weiterhin das Heulen des Sturms und das Krachen des Donners, zum anderen war es ihnen, als spürten sie überall die Anwesenheit der Mutter.
Plötzlich flammte vor dem Fenster ein grelles Licht auf. Ein Blitz war in einen Baum geschlagen. Brennende Äste wurden vom Sturm auf das Haus geweht. Dann vernahmen Mechthild und Lothar eine Stimme. Es war die von Elise. Sie sang:
Erd war euch zu teuer,
darum nahmt ihr Feuer.
Seiner Hitze Beute
sollt auch ihr sein heute!
Einige Tage später berichteten die Medien, dass in einem ausgebrannten Haus zwei verkohlte Leichen gefunden worden seien. Die Ursache für den Brand sei rätselhaft. Er scheine von einem Baum neben dem Haus ausgegangen zu sein, den ein Blitz getroffen habe. Das könne aber nicht sein, denn in der gesamten Region habe es seit zwei Monaten kein Gewitter gegeben.