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5xhab ich gern gelesen
geschrieben 2014 von Svenson.
Veröffentlicht: 23.11.2016. Rubrik: Unsortiert


Christrosen

„Es wird durchgeblüht!“, donnerte vor vielen Jahren der Staudenzüchter Karl Förster mit Worten, die wie ein Befehl an die Natur klangen.
Niklas legt seine Gartenschere beiseite, greift zur kurzen Hacke und lockert ein wenig den Boden zwischen den kleinen Hortensien.
Er hat oft über diesen Satz nachgedacht. Weshalb soll durchgeblüht werden? Was meinte Förster? Der Mann war nicht so starrköpfig zu glauben, dass die Natur Befehle entgegen nimmt. Blüten haben ihre Zeit. Sie beginnt mit den Schneeglöckchen und endet bei den späten Astern. Im Spätherbst ist Schluss mit der Blütenpracht. Danach kommt die Kälte, fällt der Schnee, friert die Fauna ein.
Im Normalfall ist das so, denkt Niklas, freut sich einen Moment, lehnt seine Hacke hinter den großen Stein und greift zur Gießkanne.
Wenn er an das Motto des Staudenzüchters denkt, muss er lächeln.
Nein, denkt er, Förster war nicht so vermessen zu glauben, die Natur würde sich dem Menschen unterordnen. Dieser Anspruch ist reines Wunschdenken. Jedes Ding hat seine Zeit, es kommt, es geht, etwas Neues erscheint und verschwindet auch wieder. Förster wollte wahrscheinlich nur ein wenig Härte aus der Natur nehmen, diesen ständigen Wechsel aus Abbruch und Neubeginn mildern. Er wollte Übergänge schaffen, ein Stück Gleichmäßigkeit und Kontinuität in das Leben schütten. Blüten sind Leben, sie sind ein Zeichen im Winter. Immer muss etwas blühen, immer muss ein Stück Leben in die Welt scheinen. Das war Försters Sache und es ist auch die Sache von Niklas und Petra geworden. Sie hatten damals beschlossen, die Idee des alten Gärtners aufzunehmen und auf ihrer kleinen Parzelle umzusetzen.
Vom Frühlingsbeginn bis kurz vor dem Winter ist ein blühender Garten kein Problem. Erst im Herbst wird es spannend. Niklas und Petra hatten überlegt, welche Pflanzen auf die letzten Rosen und die späten Herbstastern folgen sollten. Hier gab es einige Möglichkeiten, doch viele davon, wie die Zaubernuss, der Seidelbast oder der Winterjasmin erwiesen sich als unsichere Kandidaten. Niklas entschied sich für einen echten und sicheren Winterblüher. Wenn die anderen Pflanzen Allüren bekamen, half die Christrose mit ihren weißen, porzellanartigen Blüten.
Sie leuchtet zuverlässig im Winter.
Niklas trinkt einen Schluck Mineralwasser, setzt sich auf die Bank und lässt seine Gedanken frei.
Er sieht ab und an hinüber zu den Spaziergängern, die an der Parzelle vorüber gehen. Sie haben ihre Ziele, betrachten den kleinen Garten oft und gespannt vom Weg aus. Nur wenn sie sich unbeobachtet fühlen, treten sie näher und freuen sich an den Pflanzen. Sie erkennen die spielerische Leichtigkeit der kleinen Anlage, freuen sich am Farbspiel der Blüten und fühlen eine besondere Ausstrahlung, eine Art freundliche und unaufdringliche Stimmung.
Die kleine Parzelle von Niklas und Petra ist stadtbekannt. Wenn Niklas am Garten arbeitet, freut er sich über Besuch, über Menschen, die ihn zu den Pflanzen fragen, mit ihm ein wenig fachsimpeln. Meist aber betrachten ihn die Leute nur aus der Ferne, halten unaufdringlichen Abstand.
Niklas und Petra haben eine ganz klare Arbeitsteilung. Niklas ist zuständig für die Pflege. Er trägt die Stauden herbei, topft um, entfernt abgeblühte Pflanzen und schafft sie zur privaten Gärtnerei. Im Garten ihres Reihenhauses haben die beiden ein kleines Gewächshaus, überdachte Frühbeete und einen Wintergarten eingerichtet. Hier zieht Niklas die Stauden heran, hier finden die abgeblühten Pflanzen Ruhe und Kraft bis zur nächsten Blüte.
Petra hat den kreativen Part übernommen. Sie entwickelt die Ideen, sie inspiriert Niklas. Petra braucht nicht einmal etwas zu sagen, sie verstehen sich blind, wie Menschen, die füreinander gemacht sind und ihre Zeit auf der Welt gemeinsam durchwandern.
Etwa zwei Stunden täglich sind Niklas und Petra am Werk. Meist arbeiten sie am Nachmittag im kleinen Garten, nach Arbeitsschluss, wenn Niklas Feierabend hat.
Im Sommer sitzen sie oft auf der Bank, Niklas öffnet einen Wein, schaut auf die steinerne Skulptur, die wie ein Wächter in dem kleinen Garten steht.
Diesen Stein hat er allein ausgesucht, Petra hat ihn, wie sonst auch immer, dazu inspiriert. Eigentlich besteht die Skulptur aus zwei Steinen, die wie durch eine Brücke miteinander verbunden sind. Steine, Skulptur, Pflanzen und die Bank bilden eine Einheit. Alles passt zueinander, gehört zueinander, so wie Niklas zu Petra.
Bevor die Dunkelheit naht, zündet Niklas ein Teelicht an. Er besitzt einen umfangreichen Vorrat von diesen großen Lichtern, die eine ganze Nacht über brennen, denn in ihrem gemeinsamen Garten soll es nie dunkel sein. Dann schaut Niklaus über die Anlage, verstaut sein Werkzeug hinter der Bank, verabschiedet sich von Petra und verlässt das Gelände, denn bei Anbruch der Dunkelheit werden die Friedhofstore verschlossen.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Metti am 05.12.2016:

Eine schöne kleine Geschichte. Eine stille Geschichte. In meinen eigenen Texten sind die Protagonisten ja eher plappertaschen. Über so stille Charaktere, die kein Wort miteinander sprechen, könnte ich gar nicht schreiben. Eine nette Idee zum Schluss. Pointe würde ich sie gar nicht nennen. Aber eine nette Idee.




geschrieben von Svenson am 11.03.2017:

Danke fürs Lesen und deinen Kommentar. Ich habe darüber nachgedacht, ob ewas Gemeinsames fortgesetzt werden kann, wenn der Partner nicht mehr greifbar ist. Ich denke, es funktioniert.




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 30.05.2020:

im Sommer sitzen sie oft auf der Bank ..? Er gräbt doch wohl nicht die Leiche dazu aus ..? (x) ich habe die Geschichte nicht nur gern gelesen, sondern auch verinnerlicht ...

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