Veröffentlicht: 17.10.2021. Rubrik: Menschliches
Der Wunsch des Busches mit den so schönen weißen Blüten
Der Wunsch des Busches mit den so schönen weißen Blüten (Eine Kurzgeschichte vom 17.10.21)
Als wir hier zwischen den Bergen einzogen, war das meiste Grün im Garten regelmäßig gepflegt worden, wegen der geringeren Sonneneinstrahlung als im Flachland immer gut geschnitten und im höher am Berghang stehenden Nachbarhaus wohnte schon längere Zeit niemand mehr, so dass es dort langsam verwilderte. Zum Verkauf war es angeboten, doch wahrscheinlich völlig überteuert. Fremde Leute kamen aber immer am Wochenende des Weges. Einige klingelten bei uns, ob man dieses schöne Grundstück daneben erwerben könne, das abgewrackte Gebäude müsse man ja eh zunächst abreißen. Kein Problem! Wem gehöre es denn?
Seit einigen Jahren nun wohnt ein alleinstehender Zahnarzt aus der Stadt in seiner neuen Villa auf diesem Stück Berghang mit herrlicher Aussicht in die grüne Landschaft. Das entspanne ihn so wunderbar, wenn er ´mal zu Hause sei, meint er zufrieden. »Alles selbst erarbeitet!«, betont er auch immer wieder, wenn fremde Leute hier vorbeiwandern und seinen Garten bei ihm persönlich über die bauchhohe Hecke hinweg loben. Oft sonntags, wenn er einem dort knieendem Mann erklärt, was dieser heute und nächsten Sonntag oder auch schon am Samstag zu tun habe, während er dann bei gutem Wind paragliden oder bei Sonnenschein mit seinem schicken Cabrio über Straßen der Gegend segeln würde. Golfen sei wirklich nichts für ihn. Zu viele Kollegen dort am Platz!
Und genau an solch einem sonnigen Tag entdeckte ich erst, dass die Holzrollläden zweier Fenster zweier Zimmer im Erdgeschoss unseres alten Hauses von oben herab mit Schimmel überzogen waren. Sogar die Hausaußenwände darüber waren schwarzgrün gefleckt und hinter einem großen Kleiderschrank fand ich verärgert das gleiche Grün. Selbstverständlich beobachtete ich diesen Tag den weiteren Sonnenlauf erstmalig genau: Es wurden viele neue Büsche und Bäume auf dem Nachbargrundstück gepflanzt, deren Wuchs ich über die Jahre hinweg jedoch nicht so recht verfolgte. Und diese Fenster erhielten tagsüber kein Licht mehr, nur spärliches der Abendsonne.
Unser Haus liegt ja tiefer. Der nahe Wald ist zu hoch gewachsen. Der höherliegende und bereits baumartige Busch mit den so schönen weißen Blüten raubt uns zusätzlich noch etwa zwei Stunden die abendliche Wärme im Sommer! Da freuen sich die Schimmelpilze mit ihren frei fliegenden Sporen! Was sollte ich tun? Den netten Zahnarzt bitten? Also wegen des für diese Seite unseres Hauses untragbaren Teils seines sich stets vergrößernden Grünzeugs?!
Nachdem ich gerade seinen wuchernden Busch mit den so schönen weißen Blüten heckenhoch kürzer geschnitten hatte, raschelte eine gekrümmte Gestalt fluchend an anderer Stelle durch die dichte Hecke zu mir hindurch, bis ich sie nicht überrascht erkannte.
Was mir da einfiele? Das sei seine Sonstwie! Ich sagte, doch nur so hoch wie übrige Hecke... Auf seinem Grundstück! Eindeutig! Ich solle unseren Grenzstein... Also wirklich! Nur wegen des sich ausbreitenden Schimmels am... Nein! Sein Sonstwie sei sein schönster Baum! Und ich dachte, neben dem zahllosen anderen und von seiner Villa weit entfernten Grünzeug. Ich habe das nur deshalb zurückgeschnitten, weil in unseren unteren Zimmern der Schimmel... Das interessiere ihn doch nicht! Fragen hätte ich ihn vorher... Aber ist denn das so schlimm, wenn ich nur diesen einzigen... Das sei sein Grundstück, sein Sonstwie! Und er bestehe... Doch wirklich nur wegen der nötigen Abendsonne! Es gibt tagsüber wegen Ihres uralten riesigen Kastanienbaums eh kein... Nein, so jedenfalls ginge das nicht! Ihn zu fragen sei doch das Mindeste, was er verlangen... Also noch einmal! Wegen des eindeutig erkennbaren starken Schimmelbefalls habe ich wirklich nur diesen...! Nein, das habe er von mir nicht gedacht. Wir seien doch immer so gut miteinander ausgekommen. Da dachte aber ich sofort an seine neue Holzgarage mit den Dachwasserableitungen direkt in unser Grundstück hinunter und diese ewigen Pfützen auf dem Weg an dieser Hausseite. Vielleicht sollte ich ihm dies jetzt einmal so richtig... Ob ich denn nicht wüsste, dass seine Sonstwie eine besondere... Nein, deshalb wirft sie trotzdem leider mittlerweile einen schädlichen Schatten auf... Entschuldigen, das solle ich mich wenigstens... Na, gut! Entschuldigung! Wegen des Schimmels und des Schattens habe ich doch nur... Das interessiere ihn doch nicht, aus welchem Grund ich... Nochmal von mir zum Mitschreiben: Ihr Sonstwie, nur dieser zum Baum aufblähte Busch, behindert wegen seines Ausmaßes... Nein, keine Zeit! Er müsse jetzt arbeiten. Und da läuft er davon, diesmal auf dem richtigen Weg hinaus. Ach so, arbeiten müsse er jetzt. Der Ärmste! Ich dagegen habe nur Spaß! Ja, dann! Ab zum Schreibtisch!
Ich packe meine Gartenscheren wieder in den Keller, räume die abgeschnittenen Zweige sauber weg, freue mich plötzlich, den netten Zahnarzt nicht vorher gefragt zu haben, weil ich ja seine Antwort ahnte, und sehe ihn doch tatsächlich mit der kopfschüttelnden Nachbarin der anderen Straßenseite mit seinen Armen fuchtelnd und deutend über mich schimpfen, als ich kurz aus meinem Fenster blicke, während ich lächelnd das Schreiben dieser Kurzgeschichte beendet habe.
Aber der Busch mit den so schönen weißen Blüten will ja leider wieder ein noch schönerer Baum werden. Das ist sein ganzer Wunsch! Na ja, ´mal sehen, was ich Gutes für uns beide tun könnte.