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geschrieben 2020 von Dan Prescot (Dan Prescot).
Veröffentlicht: 13.09.2020. Rubrik: Fantastisches


Realität - Training 10.1

Ich breche entzwei. Etwas Furchtbares zieht mich in die Tiefe. Resignation und Melancholie bemächtigen sich meinem Geist. Es gelingt mir nicht, mich daraus zu befreien. Mein ich fängt an sich aufzulösen. Die Verzweiflung ist so vollkommen, dass ich die Gegenwehr einstelle. Ich sehe keine Bilder, nur verwischte Eindrücke. Das Gefühl jedoch ist allumfassend. Dann, am dunkelsten Punkt, erscheint dies gelbe Licht. Flammt auf, wie eine Supernova. Drängt die Schwärze aus meiner Wahrnehmung. Wie eine Wassernymphe schwebt sie in einem unbekannten Fluidum. Ihre blonden Haare bewegen sich schwerelos in der nicht zu bestimmenden Strömung. Ihre Wärme gibt mir die Stärke zu bestehen. Gegen das unbekannte Grauen zu bestehen, dass mich attackiert. Wärme und Zuversicht erfüllen mich. Dann ruft sie nach mir.
„Laurent? Laurent…“
Ich erwache.
Aurora hat recht. Es zieht mich runter. Wieder dieses Gefühl des grenzenlosen Verlustes. Auch die Melancholie will nicht weichen. Mühsam kämpfe ich mich an die Oberfläche des Rationalen. Verdammt, ich kann ein Bild von ihr zeichnen, so genau kenne ich ihr Aussehen. Trotzdem ist sie mir noch nie in meinem Leben begegnet.
Neben mir vernehme ich die regelmäßigen Atemzüge von Aurora. Ich lausche dem leisen Rhythmus. Ein, aus, ein, aus….Dann bemerke ich ihren Duft. Wie damals im Zug, als ich sie ansprach. Es ist wie ein schwaches Bouquet aus Wildblumen. Ich habe immer noch die Augen geschlossen. Bemühe mich die kleinsten Hinweise aufzunehmen die sie mir liefert. Dann wird das Verlangen sie zu betrachten zu groß. Ich öffne die Augen und lasse meinen Kopf zur Seite rollen, um sie anzuschauen. Und blicke in die gebrochenen Augen von Aurora! Ein Schrei bricht aus mir hervor, gequält.
Ich erwache, erneut…
Der Rhythmus ihres Atems, ihr Geruch. Meine Augen aufreißend fahre ich herum. Aurora! Die hastige Bewegung hat auch sie aus dem Schlaf gerissen. Mit schreck-geweiteten Augen blickt sie mich an.

*

„Hell." Ich wende die oberste Karte auf dem Deck: Karo Dame.
„Hell." Herz Sieben.
„Dunkel." Kreuz 10.
„Hell." Karo Ass.
„Dunkel." Kreuz Bube.
„Hell." Herz König.
„Dunkel." Pik 9.
„Dunkel." Karo 8
„Dunkel.“ Pik Ass.
„Kreuz 7." Kreuz 7!
Das ist die beste Serie, die ich bisher hatte. Einige Karten finde ich mittlerweile direkt. Wie die Kreuz 7. Es ist kein Wissen, mehr ein Gefühl. Wie ein Verdacht, eine vage Ahnung. Das Gefühl kommt dem Hochgefühl, der Euphorie am nächsten.
Wider aller Vernunft hat die Idee etwas Anziehendes. Seit fast einer Woche übe ich mich in Präkognition. Die Erfolgsquote steigt. Höher als sie statistisch sein dürfte. Ich bemerke noch weitere Veränderungen. Es ist, als schärfe ich meine Sinne. Mir fallen Dinge auf, die ich sonst als selbstverständlich hingenommen habe. Kleinigkeiten. Verhaltensweisen von Personen ahne ich. In meiner Erinnerung sehe ich Details, die abweichen von den Gegebenheiten, sie variieren.
Natürlich nicht jedes Mal, aber es ist auffallend.
„Laurent, gestern Nacht…du hast mich erschreckt.“
Aurora reißt mich aus dem Gedankengang.
„Kann ich mir denken. Es war auch ganz schön gruselig.“
„Das ist nicht mehr normal. Solche Träume hat man nicht ohne Grund.“
„Welchen Grund sollte ich haben? Mir geht es doch gut.“
„Ich weiß es nicht, aber es beunruhig mich.“
„Okay. Ich sag dir was. Wenn es nicht besser wird, gehe ich in einer Woche mal zum Doc.“
„Bitte, es macht mir eine furchtbare Angst.“
Jetzt werde ich aufmerksam. In ihrem Gesicht kann ich die Angst sehen. Was an meinen Alpträumen kann ihr eine solche Angst einjagen?
„Hey, alles ist gut. Es sind nur Träume.“
Im gleichen Augenblick als ich es ausspreche weiß ich, dass es nicht wahr ist. Von dem letzten Traum habe ich ihr nichts erzählt, aber der hat sogar mich erschreckt. Ich stehe von Sessel auf, gehe zu ihr und nehme sie in die Arme. Sie vergräbt ihren Kopf an meiner Schulter. Nach kurzer Zeit merke ich wie sie sich etwas löst. Ich fahre mit meiner Hand über ihre Haare und verweile in ihrem Nacken. Ihre Arme die sie, wie zum Schutz vor sich angewinkelt hat, legen sich um mich und wandern meinen Rücken hoch. Sie dreht ihren Kopf zur Seite, lauscht einem Moment meinem Herzschlag.
„Bleib. Bitte bleib bei mir.“
„Ich bin hier. Ich bleibe doch.“
Dann hebt sie ihren Kopf, blickt mich an. Sie weint:
„Ich bleibe doch.“ Flüstre ich.
Ein zaghaftes Lächeln stiehlt sich in ihr Gesicht. Ihre dunklen Augen erhellen sich etwas, warten auf den Schwur meines Versprechens. Als meine Lippen, die Ihren berühren, schließt sie ihre Augen und weitere Tränen rinnen ihre Wangen entlang. Mit einem leisen Seufzer erzittert sie, schmiegt sich an mich. Vertraut sich mir völlig an. Ich kann fühlen wie Schranken fallen, die sie verletzlich machen. Ihre Hingabe ist bedingungslos.
Sollte ich gehen, würde ich mit dem Schwur auch sie brechen.

to be continued

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