Veröffentlicht: 19.03.2018. Rubrik: Menschliches
Schwarz-weiß Denken
Es war ein sonniger Nachmittag im Frühling.
Die Knospen an den Bäumen und Sträuchern hatten sich schon zu kleinen Blättern entwickelt und gelegentlich schaffte es die Sonne schon, ein paar Blümchen aus der kühlen Erde zu locken.
Eben einer dieser Tage, an denen man am Himmel die Zugvögel sehen kann, wie sie in Reih- und Glied nach Hause fliegen und die Parks sich am Wochenende mit Familien füllen.
An eben so einem Tag, war er unterwegs zu seiner Freundin. Es war wie eine Teenagerbeziehung; Niemand wusste etwas davon.
Trotzdem schlenderte er fröhlich pfeifend zur Bushaltestelle. Aus der Ferne sah er, wie sich das Licht der Sonne auf den Glasscheiben des Wartehäuschens spiegelte und die vorbeifahrenden Autofahrer ärgerte.
An der Haltestelle angekommen, bemerkte er zwei Männer auf der Bank im Wartehäuschen. Er blieb ein Stückchen entfernt stehen und sah auf die Uhr. Noch 10 Minuten. In einer normalen Welt, Zeit genug um sich hinzusetzen. - Doch eine Normale Welt, gab es nicht.
Als der Bus schließlich kam und er hinter den Männern aus dem Häuschen Einstieg, starrten ihn die wenigen Fahrgäste im Bus an wie ein Tier im Zoo. Ganz nach hinten ging er, nach da, wo alle Leute wie er im Bus hin mussten und sonst niemand sitzen wollte.
Trotzdem erfreute er sich weiter an den warmen Sonnenstrahlen, die durch die staubigen Scheiben in den Bus fielen und ihm ins Gesicht schienen.
Er saß ganz alleine im hinteren Teil des Busses. Die vorne sitzenden Leute würdigen ihn keines Blickes. Wie gerne hätte er sich neben sie gesetzt und einem von seiner Freundin erzählt.
Als er aus dem Bus stieg, war es schon fast früher Abend und doch stand die Sonne noch ganz hoch und strahlte auf die Fassaden der Häuser dieses Viertels, die sich edel und prächtig gen Himmel reckten. Er nahm sich kurz Zeit, um die kunstvoll verzierten Fensterrahmen und die aufwendigen Absätze an den Hauswänden zu betrachten; So etwas gab es in seiner Gegend nicht. Und das würde es wohl auch nie.
Als er auf das Haus zuging, dass ihm so fremd war und doch irgendwie vertraut vorkam, sah er aus den Augenwinkeln Gardinen wackeln und Fenster, die einen Spalt geöffnet wurden. Aus dem kühlen Wind, der durch die Straße glitt, versuchte er Kraft für das zu schöpfen, dass er gleich hoffentlich nicht erleben musste.
Es war eine breite Straße mit wenig Verkehr. An den Rändern des Gehwegs gab kleine Brunnen aus denen man trinken konnte. Aber natürlich hingen die üblichen Schilder darüber: "Weiß"
Als er die Stufen zum Haus, in dem seine Freundin mit ihren Eltern wohnte, hinauf stieg, versuchte er sich vorzustellen wie es wohl wäre, auch in so einem Haus zu leben. Er könnte frei und unbeschwert durch die Straßen laufen, trinken woraus er wollte und im Bus sitzen wo er wollte. Aber das waren Träumereien. Niemals würde jemand wie er dieses Glück haben. Denn die Würfel für ihn waren in dem Moment gefallen, als er geboren wurde. Mit seiner Geburt war für ihn ein solches Leben automatisch unmöglich geworden. - Wie bei so Vielen.
Gerade als er am Ende der Treppe ankam, öffnete sich die Tür ruckartig, geradezu gewaltvoll. Dahinter stand seine Freundin, die von einem leicht ergrauten, gut gekleidetem Mann zurückgehalten wurde. Der Mann mochte um die fünfzig sein. Deutlich zeichnete sich der Knauf eines Revolvers an seinem weißen, makellosen Hemd ab. Seine Freundin sah ihn mit von Tränen gerötetem Gesicht an. Sie hatte den Mund weit aufgerissen und schrie aus vollem Hals. Sie trat und schlug auf den Mann ein, der wohl ihr Vater sein mochte. Die Sonne, die eben noch so freundlich geschienen hatte, beleuchtete die Szene nun eher chaotisch und ließ die kleinen Blessuren und Kratzer an ihren Armen sichtbar werden.
Ohne das um sich schlagende Mädchen, welches der Mann weiter zurück hielt zu beachten, schrie er nach draußen: "Merk dir eins du Sohn eines Hundes! : Du wirst dich nie wieder meiner Tochter nähern! Ansonsten wirst du dich nie wieder irgendjemandem nähern!"
Der Mann spuckte aus "Denn niemals werde ich eine Liebe zwischen meiner Tochter und einem Neger zulassen!" Dann schlug der Mann die Tür zu.
Er, der Neger, stand noch lange vor der Tür. Von drinnen waren die schluchzenden Schreie seiner Freundin zu hören, die lautstark protestierte. Gelegentlich war auch das helle klatschen von einer Hand, die auf eine Wange trifft zu hören. Dann hörte dass Schluchzen für eine Sekunde auf und begann von Neuem. Ein Neger war er... und einen Sohn eines Hundes hatte der Mann ihn genannt. Doch er rührte sich nicht. Er war nicht in der Lage mehr zu tun, als die geschlossene Tür an zu starren und zu atmen.
Das sollte es jetzt gewesen sein? In einer gerechten Welt, hätte er mit ihr glücklich werden können. Sie hätten zusammen studieren können, in ein kleines Haus am Stadtrand ziehen können. Sie hätten zwei Kinder bekommen können und sie zusammen groß ziehen können. Doch das war keine gerechte Welt. In dieser Welt konnte ein Mann mit Hemd und Revolver seiner Tochter die Liebe zu einem 'Neger' verbieten. In dieser Welt durften Farbige nicht dasselbe Wasser trinken wie Weiße. In dieser Welt konnten Farbige im Bus nicht vorne sitzen und mussten stehend auf den Bus warten.
Er nahm die Sonnenstrahlen kaum noch wahr, als er zurück zur Bushaltestelle ging. Er achtete nicht auf die kunstvollen Fensterrahmen oder die wunderschönen Absätze. Nicht einmal das schöne Bild der Sonnenstrahlen, die sich durch die frisch blühenden Bäume schlängelten und ein künstlerisches Muster auf der Straße bildeten beachtete er.
Das Einzige das er bewusst wahr nahm, war ein Schild über einem Trinkbrunnen: "Weiß".
Mit jedem Schritt in Richtung Haltestelle verlor er mehr den Glauben an die Menschen. Er verlor seinen Respekt vor ihnen und entwickelte Hass.
An der Haltestelle angekommen war er sich sicher, dass es keine guten Menschen auf dieser Erde geben konnte. Es gab keine Menschlichkeit mehr und es gab keine Gerechtigkeit mehr. Die Gerechtigkeit, von der alle immer sprachen, wurde Leuten wie ihm nicht zu Teil. Denn sie waren Farbig, und nicht weiß.
Als er in den Bus einstieg und sich nach hinten durchschob, vielen ihm die Blicke der Fahrgäste kaum mehr auf. Er blickte stur nach vorn, hinaus aus dem hinteren Fenster des Busses. In der Ferne sah er, wie die letzten Strahlen der Sonne langsam hinter den Häusern der Stadt verschwanden und mit Ihnen seine Hoffnung auf eine bessere Welt.
Er setzte sich in die Letzte Reihe. Er hätte sich auch in jede andere Reihe im hinteren Teil setzten können, denn außer ihm gab es nicht einen Menschen, der hinten sitzen musste.
In Gedanken über gut und böse schwelgend, bemerkte er den Jungen zunächst nicht. Ein Junge, der sich mit jedem Halt des Buses einen Platz weiter nach hinten setzte. Erst als der Kleine neben ihm saß, blickte er auf. Der Junge mochte 6 oder 7 Jahre alt sein, war weiß und hatte eine Tafel Schokolade in der Hand. Die Tatsache, dass das Kind weiß war, verblüffte ihn sehr. Er realisierte die Bedeutung dieser Situation zunächst überhaupt nicht. Während der Sprössling ein Stückchen Schokolade abbrach und es sich in den kleinen, von Schokolade verschmierten Mund schob, lächelte er. "Wollen sie auch ein Stück?" Fragte er ihn. Er, der gerade noch zwischen Hass und Trauer schwankte nickte nur unsicher. Er war so perplex, dass er garnicht merkte, dass ihm der Junge ein Stück seiner Schokolade in die Hand legte und ihn angrinste. Der Kleine sah ihm seine Benommenheit wohl an, denn er fragte: "Mögen sie dunkle Schokolade nicht?" Das Kind nahm das Stückchen aus seiner Hand und hielt es ihm erneut hin. "Leider habe ich keine andere Schokolade. Aber ich mag alle Sorten! Mir ist egal, ob schwarz oder weiß - ist doch das Selbe!"