Veröffentlicht: 23.04.2023. Rubrik: Menschliches
Ganz nüchtern betrachtet...
Zum ersten Mal in meinem Leben war ich nüchtern auf einer Party.
Vor ca. 4 Wochen war es zu viel. Zu viel Alkohol. Ich wachte auf und hatte das Gefühl, dass irgendwas mit meinem Gehirn nicht stimmte. Da war nicht nur diese undurchdringliche Wand des morgendlichen Katers in meinem Kopf, der jedes Funksignal sofort in bleierner Widerwärtigkeit verschluckte. Da war auch das Gefühl, dass etwas kaputt gegangen ist. Dass ein Teil meines verständigen Bewusstseins nicht mehr da ist, sondern stattdessen ein totes schwarzes Loch in meinem Kopf und dass es sich diesmal nicht erholen würde, sondern für immer weg ist, wie ein Meteoritenkrater, der sich eben auch nicht wieder von selbst mit Erde anfüllt, sondern als Narbe in der Natur zurückbleibt.
Endlich war die Angst groß genug, sodass der Respekt vor dem Alkohol sich in neuen Ausmaßen in mir erstarkte und es ein existenzielles Bedürfnis wurde, meinen Körper nicht mehr mit Alkohol zu vergären. Es war noch mehr. Im Verlauf des verkaterten Morgens, bestätigte sich mein unbestimmtes Angstgefühl. Irgendwie war ich motorisch ungeschickt, blieb mit einer Schulter am Türrahmen hängen, mein Gesicht war aufgedunsen und der alte wurzelbehandelte Zahn zog unangenehm in meinem Oberkiefer, sodass ich es bis zum Auge spüren konnte. Nach 2h kam ich zum ersten Mal in die Verlegenheit mit meinen Arbeitskollegen zu reden – wie peinlich mir das war – ich konnte die richtigen Worte einfach nicht finden. Mühsam reihte ich Satz an Satz und konnte doch meinen Gedanken nicht den Ausdruck, nicht die Konkretheit verleihen, die mir sonst so eigen war. Ich durchforstete mein Gehirn nach Fachjargon und verklickte mich in mir bekannten PC-Programmen derart wirr, als wäre ich ein Neuling in meinem Fachbereich. Es war schier beängstigend. Mehrmals im Tagesverlauf überprüfte ich in der Selfie-Kamera meines Handys mein Gesicht darauf, ob mein Mundwinkel hinge. Nein, es war kein Schlaganfall. Aber es war das Nervengift, dass an den gleichen Schnittschnellen meines Körpers zu meinem Geist angegriffen hatte, wie es wohl auch ein Schlaganfall tun würde. Es war Schluss. Das war die letzte Warnung meines Körpers…
In mir brannte etwas, schlug sich eine Schneise in mein Bewusstsein. Es war so vieles das nicht gut für mich war. Vielleicht war nun eine Wahrnehmungsstufe erreicht, die eine gute Basis für das kritische Betrachten und Bewenden so mancher gesellschaftlich konformer und doch fragwürdiger Angewohnheiten bereiten würde.
Seither sind nun genau 3 Wochen und 4 Tage vergangen. Das Ekelgefühl ist noch vorhanden und hat sich ausgeweitet. Selbst der Gedanke an betrunkene Menschen ist mit mittlerweile zuwider. Mein Körper ist mein Freund geworden. Die Absurdität die dem innewohnt, wenn man mit ein bisschen was an die 40 Lebensjahre zum ersten Mal anerkennt, dass der eigene Körper einem so nahe ist, wie sonst nichts auf der Welt, ist dabei unverkennbar.
Wie genau, und was, und in welcher Art und Weise, das soll hier unbeantwortet bleiben. Das muss dann wohl jeder für sich herausbekommen und erfahren.
Gestern war dann nun meine Feuertaufe. Eine Freundin feierte ihren Geburtstag und gleichzeitig auch ihre Einzugsparty. Wir waren schon oft jenseits von Gut und Böse und haben schon oft darüber gesprochen, dass die vorangegangenen Partys etwas eskaliert sind und dann haben wir, wie die meisten Menschen, so oft, unsere betrunkenen Verfehlungen als Lapsus bagatellisiert.
Die Party begann 19 Uhr. Eine Ungewissheit, fast schon Ängstlichkeit, im Bezug auf den Verlauf des Abends machte sich in mir breit, als sich die Tür öffnete und ich ihr um den Hals fiel und ihr zum Geburtstag gratulierte. Und von da an, wurde es dann auch schon interessant. Sie, meine Freundin, war großartig. Statt des üblichen Sekts oder Shots, bot sie mir eine Limo oder einen Eistee an. Anerkennend muss ich dabei hervorheben, dass sie das in einer Miene tat, die völlig ernsthaft war und vollkommen frei von Spott oder Genervtheit. Meine Entscheidung war für sie kein Anlass zur Diskussion, sondern wurde einfach als Ist-Zustand angenommen. Mit einem Eistee in der Hand machte ich mich dann daran, die anderen Partygäste kennenzulernen, die ausnahmslos Alkohol tranken. Dieser Kennenlernmoment, in dem man kurz die Distanz zum Anderen sehr spürbar wahrnimmt und sich entscheidet, ob man den Anderen nun mag oder nicht, schien nicht mehr zu existieren. Die Leute redeten einfach drauf los und banden mich in ihre Grüppchen mit ein. All diese Menschen kannten sich nicht besonders gut untereinander und hatten sich doch auffallend viel zu erzählen. Vor Allem erzählten sie viel von sich selbst. Es war, als würde der jeweils andere angeschickerte Gesprächspartner nur abwarten, bis er ebenfalls endlich mal ohne Punkt und Komma von sich erzählen könne und damit nur die ausgesprochene Lebensrealität des Anderen paraphrasieren würde. Mensch Nummer 1 sprach von sich. Daraufhin sprach Mensch Nummer 2 davon, wie ihm dies oder jenes ebenfalls schon mal passiert sei und das für ihn gewesen sei. Mensch Nummer 3 gesellte sich dazu, stieß freudig an, erfasste das Gesprächsthema um dann ebenfalls wieder nur von gleichem Problem in der eigenen Realität zu berichten.
Nun, so setzte sich das 3 Stunden lang weiter fort. Ich versuchte mein Glück und wollte Gespräche über zeitgeistige Themen anstreben, mich insgeheim auf einen echten Austausch und belebende Gespräche freuend, doch das trat leider nicht ein. Waren wir wirklich alle so egozentrisch, wenn wir besoffen waren? Rückblickend würde ich das bejahen. Wenn ich mir so die Gespräche und emotionale Unausgeglichenheit vor Augen führe, die so manch einem im Gedächtnis hängen geblieben sind von den vergangenen Partynächten, dann waren das die Gefühle erhitzter oder trauriger oder vor Freude überschäumender Gemüter die den Stein des Anstoßes gegeben haben. Haben Sie, nüchtern betrachtet, schon mal einen betrunkenen Menschen erlebt, der in der „Balance“ geblieben wäre oder auf sie vollkommen ausgeglichen gewirkt hat? Ich meine nicht gechillt oder gedämpft wie auf Gras oder so, sondern einfach präsent und in seinen Worten und Taten ausgeglichen. Ich jedenfalls nicht.
Das heißt, dass ich genau so, auch gewesen sein muss. Da verwundert es mich auch nicht mehr, wenn so manche Situation, die man sich rückblickend lieber erspart hätte, eigeninitiativ aus dem Suff heraus ins Leben gerufen wurde.
Nach etwas mehr als 3 Stunden verabschiedete ich mich von meiner Freundin und ihren Gästen. Das schien in deren Wahrnehmung aber irgendwie unterzugehen. Man sagte sich Tschüss und umarmte sich, aber ich merkte deutlich, dass die das im nächsten Moment vergaßen und sich wieder in voller Fahrt auf der Glückshormonausschüttungsautobahn befanden, wo sich das Serotonin und Dopamin, wie Busfahrer im Vorbeifahren, freundlich grüßten. Alles Andere war hinter einer Seifenblasenwand, die momentan noch zu dick war um zu platzen. Jene würde nämlich erst am nächsten Morgen, in einem dicken Brummschädel platzen und zerschmetternde Wellen übelkeitsbringender Schmerzen durch Kopf und Geist rauschen lassen.