geschrieben 2017 von Andreas Mettler (Metti).
Veröffentlicht: 08.10.2017. Rubrik: Satirisches
Mein Opa ist ein Nazi!
„Wir lieben bunte Vielfalt!“, gab der virtuelle Lehrer mit der monotonen Stimme vor.
„Wir lieben bunte Vielfalt!“, wiederholte die Schulklasse in der selben Tonlage.
„Es lebe die Meinungsfreiheit!“, die Stimme.
„Es lebe die Meinungsfreiheit!“, der Chor.
„Wir sind alles Individuen!“, die Stimme.
„Wir sind alles Individuen!“, der Chor.
„Was ist dein persönlicher Individualismus?“, frage die Stimme.
Mein Name erschien auf dem Display. „Ich habe ein Tattoo und einen Bart“, meine korrekte Antwort.
„Wir haben alle ein Tattoo und einen Bart“, wiederholte die Schulklasse.
Ich hatte gerade eine Kopfschmerztablette eingeworfen, als die Nachricht des anderen Jungen auf dem Display meines Smartphones erschien.
„Zocken bei dir?“
„Schwierig.“
„Wieso?“
„Mein Opa wohnt jetzt bei uns.“
„WTF?“
„Hat diese neue Partei gewählt und ist aus dem Pflegeheim geflogen.“
„OMG“
„Scheiße, mein Opa ist ein Nazi!“
„Trotzdem zocken?“
„Ok.“
Ich hatte gerade eine Tablette gegen mein Magengeschwür eingeworfen, als ich den anderen Jungen im Garten stehen sah.
„Wir lassen den Opa meistens hier draußen sitzen“, erklärte ich.
„Ok.“
„Wir wollen ja auch nichts mehr mit ihm zu tun haben.“
„Schau dir nur das Gesicht an!“
„Irgendwie zornig, oder?“
„Stinkwütend würd ich sagen.“
„Selber schuld. Wählt diese neue Partei und erzählt auch noch davon.“
„Die alten Leute wissen halt nicht, was geht und was nicht.“
„Die sind halt dumm. Haben nicht so eine Bildung bekommen wie wir.“
„Wisst ihr, Jungs. Ich habe einfach Angst“, bebte die Stimme von Opa.
Wir zuckten gleichzeitig mit den Schultern.
„Angst vor der neuen Welt, die alles gleichschaltet.“
„Wir sind alles Individuen!“, sagten wir.
„Angst vor der Digitalisierung, die alles stumpf und dumm macht.“
„Wie lieben bunte Vielfalt!“, unsere korrekte Antwort.
„Ja, und ich habe auch Angst vor den Fremden, die ohne Plan und Perspektive auf dem Gehweg stehen.“
„Es lebe die Meinungsfrei...“
Wir stockten.
„Nazischwein!“, platzte es aus uns heraus.
Wir nahmen beide ein Antidepressivum und gingen zocken.
Titelbild: stevepb / pixabay.com (public domain)