Veröffentlicht: 07.01.2025. Rubrik: Fantastisches
Materie 1 -Begegnung-
Die Sonne brennt vom Himmel und ich merke, dass ich viel zu warm angezogen bin. Bloß nicht schwitzen denke ich mir und überlege den Pulli auszuziehen. Ich habe natürlich noch eine Bluse untergezogen. Allerdings ist die weiß und der BH ist es eben nicht. Er ist nicht schwarz, aber das Grau sollte durch die Bluse deutlich zu erkennen sein. Ich denke, ich frage nachher Tina. „Bloß nicht schwitzen!“, murmle ich und bremse meine Schrittgeschwindigkeit um die Hälfte runter. Jemand kracht in mich rein und tritt schmerzhaft in meine linke Ferse.
„Au!“
„Tschuldige!“
„Hey, das tat echt weh.“
„Das wollte ich nicht. Du bist einfach stehengeblieben.“
„Bin ich nicht! Und außerdem warum schleichst du hinter mir her?“
„Hey, das tue ich nicht! Ich wollte an dir vorbei, aber wie du vielleicht selbst siehst, sind wir hier nicht allein.“
Er zeichnet mit seinem rechten Arm einen Halbkreis um sich herum und trifft mich leicht an der Schulter, streift mit seinen Fingerspitzen über meinen Busen.
Ich erstarre und schaue ihn mir genauer an. Im ersten Augenblick wirkt er eher unscheinbar und unsicher. Seine dunklen Haare sind eine Spur zu lang und scheinbar hastig in einen rechten Scheitel gezwungen. Eine gute Handbreit größer als ich, ein wenig schlaksig vielleicht. Ich bin mir nicht sicher. Er scheint sich kaschieren zu wollen. Himmel, jetzt wird er auch noch rot und schaut zum Boden. Gott wie süß, schüchtern ist er auch noch.
„Ich nehme mal an, das war jetzt auch keine Absicht, oder?“
„Ich, ähm...ähm, der Unterricht geht gleich los. Ich muss rein. Tschuldige.“
Er schlängelt sich an mir vorbei und weicht dabei einem anderen Mädchen aus, rempelt aber einen Jungen an.
„Ehy geht’s noch?“
„Sorry man, war keine Absicht.“
Seine Stimme klingt noch nach, als ich ihm irritiert nachschaue. Ein Timbre, das mir eine Gänsehaut verschafft. Die Stimmlage und Lautstärke sind nicht so auffällig, wie der Unterton der eindringlich mitschwingt, fast zwingend.
„Jules! Huhu träumst du?“
Tina habe ich nicht gesehen, als sie zu mir aufschließt umarmen wir uns kurz und gehen dann weiter zum Eingang der Schule.
„Was wollte denn der Loser?
„Ich weiß es nicht, wüsste es aber gerne.“
Tinas Augenbrauen hüpfen hoch.
„Wie jetzt, seit wann interessieren dich Streuner?“
„Kann ich dir nicht sagen, ich weiß es selbst nicht.
„Oh man, lass uns reingehen, bevor du dich noch verguckst.
„Sag schon kennst du ihn?“
„Ja, ich weiß, wer er ist. Das ist ein Einzelgänger. Lass bloß die Finger von dem. Einzelgänger sind komisch. Es gibt Gründe, warum niemand mit denen befreundet ist.“
Sie ist stehengeblieben und sucht meinen Blick.
„Versprich mir nichts Blödes anzustellen!“
„Ja doch! Nur weil ich wissen will, wer er ist, will ich noch lange nichts von ihm. Du machst mehr davon als ist. Sag schon, wer war das?“
„Das ist Adrian aus der C. Ich hoffe du weißt, was du tust.“
Hör schon auf. Ich will doch nur wissen, wer es ist.
Hilf mir lieber bei meinem Problem! Hätte nicht gedacht, dass es heute so warm wird. Es ist erst morgens und ich transpiriere schon.“
„Zieh doch dein Pulli aus, du hat doch eine Bluse unter!“
„Ja, doch den BH sieht man unter der Bluse.“
„Na, das will ich doch hoffen! Nur ein weiterer Hingucker!“
Wir lachen und gehen in die Klasse, zu der ersten Unterrichtsstunde. Als das Material auf dem Schultisch liegt, dreht Tina sich um und fängt an mit Jochen zu flirten. Meine Gedanken zieht es zu Adrian zurück. Immer wieder läuft die Szene vor meinem inneren Auge ab und endet mit seiner Berührung. Na klar, es war nur ein zufälliges, flüchtiges Streifen. Dennoch, meine Härchen richten sich bei dem Gedanken auf und mir wird wieder warm. Gerade als ich zur Toilette will, um meinen Pulli loszuwerden, kommt unser Englischlehrer in den Klassenraum.
Fortsetzung folgt...