Veröffentlicht: 02.05.2013. Rubrik: Unsortiert
Lebenselexier
"Da bist du ja endlich."
"Ja sorry. Ich hatte noch etwas zu erledigen."
"Naja. Jetzt bist du ja da."
"Und? Wie sieht's aus?"
"Der Doc ist schon eine ganze Weile oben."
"Weiß man denn schon Genaueres? Eine erste Diagnose oder Einschätzung vielleicht?"
"Einschätzung? Was denn für eine Einschätzung?"
"Naja, ob er es nochmal packt, oder..."
"Oder ob er diesmal endlich das Zeitliche segnet? Wolltest du das sagen?"
"----------"
"Na komm schon. Darauf spekulierst du doch schon länger!"
"Jetzt hör aber auf. Du tust ja so, als ob Ich die größte Erbschleicherin unter der Sonne wäre."
"Ja vielleicht nicht?"
"Jetzt gehst du aber wirklich zu weit. Wer hat sich denn die letzten Jahre am meisten um ihn gekümmert? Das war ja wohl Ich."
"Pff, gekümmert nennst du das? Ja sicher, du hast ihm eine neue Pflegerin vermittelt. Und hast dich um seine Geschäfte gekümmert. Was ja wohl nicht ganz uneigennützig war. Aber unter 'kümmern' verstehe ich etwas anderes."
"Hätte Ich die Geschäfte vielleicht den Bach runtergehen lassen sollen? Damit das ganze Geld irgendwo versickert, wie? So weiß ich zumindest, wo das Geld ist und was damit ist."
"Ja natürlich. Hauptsache du weißt Bescheid."
"Eine sollte wenigstens den Überblick behalten. Aber dafür hast du ja keine Antenne. Wann warst du eigentlich zuletzt mal in einer Bank?"
"Ich mache online Banking."
"Ach so."
"Aber bitte, meine Damen - sie werden sich doch nicht streiten wollen."
"---------------"
"Von wollen kann keine Rede sein. Aber diese Person begreift einfach nicht..."
"Ich begreife schon. Ich bin nur nicht so geldgeil wie du."
"Bitte beruhigen Sie sich doch. Die Situation ist doch wirklich nicht dafür angetan, sich in die Wolle zu geraten."
"Ist ja schon gut. Ich habe ja auch gar nicht damit angefangen."
"Pah!"
"Möchten Sie denn gar nicht wissen, wie es dem Herrn Generaldirektor geht?"
"Aber natürlich. Wie geht es Onkel Neithard?"
"Ja, wie geht es ihm? Ist es schlimm?"
"Nunja, wie Sie sich vorstellen können, ist der Herr Generaldirektor sehr schwach. Sein Herz..."
"Was ist mit seinem Herz?"
"Sein Herz - ist zwar nicht schwächer als zuletzt, doch eine Besserung ist auch nicht eingetreten. Das war auch nicht zu erwarten. Wir werden auf mittlere Sicht wohl nicht an einer Operation vorbeikönnen."
"Aber bestand denn die Möglichkeit einer Herzoperation nicht schon länger?"
"Allerdings. Das tat es."
"Warum haben Sie ihn dann nicht längst operiert? Als sein Zustand vielleicht noch etwas stabiler war?"
"Aber Sie kennen doch ihren Onkel."
"Was soll das heißen?"
"Zunächst mal muß der Patient mit der OP einverstanden sein. Das war er aber nie. Er sagte immer, solange sein Herz ohne fremde Hilfe schlägt, willigt er in keine Operation ein."
"Und jetzt? Willigt er jetzt doch ein?"
"In der Tat. Seit heute lehnt er eine Operation nicht mehr kategorisch ab."
"Was hat ihn denn dazu bewogen?"
"Das fragen Sie ihn bitte selbst. Wenn er wieder aufgewacht ist. Im Moment schläft er nämlich. Guten Tag, meine Damen."
"Onkel. Onkel Neithard. Kannst Du mich hören?"
"Siehst du denn nicht, daß er immer noch schläft!?"
"Er hatte aber schon einmal leicht mit den Augenlidern gezuckt."
"Bestimmt als er deine Anwesenheit gespürt hat."
"Also wirklich. Duuu...ach ich weiß nicht."
"Sprich Dich ruhig aus."
"Du denkst wohl, mit deiner unnahbaren Art wärst du allen anderen überlegen, was? Dabei tust du doch nur so. Tief in dir drin bist du doch gar nicht so kühl und distanziert wie du immer tust."
"Hmm, das bedeutet im Umkehrschluß ja, daß du mir unterstellst, doch ein Herz zu haben. Das hätte Ich dir gar nicht zugetraut, schließlich hast du sonst doch nur den Blick für das Materielle."
"Du kannst mich mal mit deinem von-oben-herab-Getue. Ich weiß wenigstens, was Ich habe und woran Ich bin."
"Siehst du. Das meine Ich. Du denkst immer nur an Geld, Geld und nochmals Geld. Doch im Herzen bist du arm."
"Im Herzen ist du arm, im Herzen bist du arm. Häuser, Reisen, Schmuck kann ich mir von deinem sentimentalen Herzen nicht kaufen. Dazu braucht es schon etwas handfestes. Geld. Cash. Kohle. Monedas. Pinke-Pinke. Aber das wirst du ja im Leben nicht begreifen."
"Ich brauche kein Chalet in den Schweizer Alpen. Und keine Finca auf Mallorca. Oder eine Ranch am Strand von Malibu. Mir reicht auch ein einziges Auto, kein ganzer Fuhrpark. Und Schmuck haben eh' nur diejenigen nötig, die damit von ihren sonstigen, wie soll ich sagen, anatomischen Nachteilen ablenken müssen."
"Anatomische Nachteile? Welche anatomischen Nachteile denn bitteschön? Du willst doch nicht allen Ernstes behaupten, daß ich mich hinter dir verstecken müsste!? Sieh dich doch nur mal an. Was stellst du schon dar? Eine elegante Erscheinung sieht jedenfalls anders aus."
"Wie Ich schon sagte. Es kommt auf die inneren Werte an."
"Die inneren Werte, jaja. Die stereotype Antwort aller Nichtprivilegierten, die sich damit selbst Mut zusprechen wollen. Das sprichwörtliche Pfeifen im Walde."
"Wenn du das so siehst..."
"Ja, so sehe Ich das. Und Ich sehe es vollkommen richtig."
"Wie lange wird er denn noch schlafen?"
"Er ist krank. Schwer krank. Laß ihn doch schlafen, solange es geht."
"Ich hätte aber auch noch etwas anderes zu erledigen. Wofür habe Ich ihm eigentlich diese Pflegerin ins Haus geholt? Und wo steckt diese Person eigentlich?"
"Das frage Ich mich allerdings auch. Die hat man heute ja noch gar nicht zu Gesicht bekommen."
"--------------mmh--------------chhhhhhr-------------ahmmmmmmm---------------"
"Ich glaube, er kommt zu sich."
"Sei doch mal still."
"--------------mmmmmmmh-------------h-hallo-------------"
"Hallo Onkel Neithard. Na, aufgewacht?"
"Hallo Onkelchen."
"Da seid ihr ja. Das ist gut...Ich habe Euch nämlich etwas zu sagen."
"Was denn, Onkelchen? Worüber denn?"
"Nun laß ihn doch erstmal richtig zu Kräften kommen."
"Wo....wo ist Hildegard?"
"Hilde.."
"...gard?"
"Hildegard. Meine Frau."
"Deine Frau????????"
"Wie, deine Frau? Deine Frau hieß Lotte und ist schon seit elf Jahren tot."
"Ja, meine erste Frau hieß Lotte. Gott hab' sie selig."
"Deine erste Frau? Heißt das, du hast noch eine andere?"
"Natürlich. Würde Ich sonst nach ihr fragen?"
"Moment mal. Wenn mich meine Erinnerung nicht trügt, hieß doch diese Schwester, diese Pflegerin irgendwas mit H....."
"Du meinst....."
"Ja, Ich meine."
"Das darf doch nicht wahr sein."
"Onkel Neithard, du willst uns doch nicht sagen, daß diese Pflegerin deine...deine Frau ist!?"
"Onkel Neithaaard...!"
"Da sind sie ja. Meine beiden angeheirateten Nichten. Das ist aber lieb, daß ihr nach eurem kranken Onkel seht. Da freut sich mein Neidi doch bestimmt."
"Neidi????? Onkel Neithard, wie spricht diese Person über dich?"
"Warum denn? Das ist eben ihr Kosename für mich. Ich nenne sie ja auch mein Hildchen. Ist doch normal, daß sich zwei Eheleute auch Kosenamen geben."
"Natürlich nur privat, wisst ihr? Bei künftigen Sitzungen im Aufsichtsrat oder mit dem Vorstand reden wir uns natürlich nicht so an."
"Aufsichtsrat? Vorstand?"
"Was denkt ihr denn? Diese Frau ist mein Lebenselexier. Ihr verdanke Ich, daß Ich dem Tod nochmal von der Schippe springen konnte. Darum habe Ich sie aus Dankbarkeit geheiratet und als meine Alleinerbin eingesetzt."
"Allein...erbin...Wasser. Bitte ein Glas Wasser."
"Cognac."
"Siehst du Hildchen. Ich habe dir gleich gesagt, wie unterschiedlich die beiden sind. Während der einen Wasser reicht, muß es bei der anderen gleich wieder Alkohol sein. Sie sind zwar Zwillingsschwestern, doch ansonsten haben sie nichts gemeinsam."
"Außer, daß sie nun beide leer ausgehen."