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3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2009 von Roland Ehrlich.
Veröffentlicht: 02.05.2013. Rubrik: Unsortiert


Klischees

Der Wind pfeift gehörig durch die Straßen. Der Himmel, der zuvor noch bedeckt war, hat sich mittlerweile zu einem dunklen Grau zusammengezogen. Und schon denke Ich, die ersten Regentropfen auf meiner Haut gespürt zu haben. Tatsächlich. Es ist keine Einbildung. Zuerst nur ganz leicht, verstärken sich die Tropfen rasch zu einem handfesten Regen. Das ist normal. In dieser Gegend geht sowas von einer Minute auf die andere. So, als wolle der Wettergott hier ein Klischee bestätigen: Dies ist Schottland, da regnet es eben gerne, viel und heftig. Eine Annahme, der viele Menschen unterliegen. Dabei regnet es in Schottland weniger als in Rom. Jedenfalls im Jahresmittel der Niederschlagswerte. In Rom regnet es nicht so häufig, davor aber umso stärker. Der schottische Regen hingegen ist eher sanft. Hier in den Highlands genießt man es geradezu, im Regen draußen zu sein.

Auch Ich habe mich diesem Lebensgefühl bereits angepasst, seit Ich vor sechs Jahren aus Deutschland hierhergezogen bin. 'Wie kann man es sich nur antun, nach Schottland zu ziehen' wurde Ich damals kopfschüttelnd von meinen Freunden, Nachbarn und Bekannten in den nördlichen Teil Großbritanniens verabschiedet. 'Der ist schneller wieder hier, als er selber denkt' traute man mir nicht zu, in Schottland Fuß fassen zu können oder hier gar heimisch zu werden. Und nun bin Ich schon solange hier. Sechs Jahre. Und weg möchte Ich nicht mehr.

Selbst der größten Unart der Briten begegne Ich mit einem Lächeln. Kennen Sie typisch britische Waschbecken? Ja? Dann dürfte Ihnen bekannt sein, daß die Wasserhähne immer nur ein ganz kleines Stück in das Becken hineinreichen. So kurz sind sie. Und schwenkbar von links nach rechts sind sie natürlich auch nicht. Menschen, die sich mal eben auf die Schnelle die Haare an einem solchen Waschbecken waschen möchten, sollten also entweder gelenkig sein wie die Schlangenfrau im Zirkus, oder eine Zwei Millimeter Raspel Frisur haben. Alle anderen sollten die Möglichkeit, sich "mal eben so" den Kopf zu waschen, am besten gar nicht erst in Erwägung ziehen.

Nun trete Ich weder im Zirkus auf, noch habe Ich einen geschorenen Schädel. Meine Frisur ist eher so eine Art 68er Spätlese. Wenn Sie wissen, was Ich meine. Mit meinen langen Haaren, dem Bart und meiner kräftigen Statur bin Ich für viele Deutsche, die hier Urlaub machen, eher das Sinnbild des typischen Highlanders. Als ob alle Highlander so wären. Es gibt auch kleine, eher schmächtige Verteter dieser Spezies. Aber so ist es eben. Schottland ist ein Land voller Klischees. Zumindest aus der Sicht des neutralen Kontinentaleuropäers. Doch um den Touristen ein Motiv für ihre Digicams zu liefern, stelle Ich mich tatsächlich im Kilt hin, klemme mir eine Bagpipe unter den Arm und spiele "Scotland The Brave" und "Amazing Grace". Was glauben Sie, wieviele Emails Ich schon aus Deutschland bekommen habe von Urlaubern, die mich in den Highlands mit Schottenrock, Dudelsack und am besten noch einem Whisky in der Hand fotografiert haben und mir dann mittels der elektronischen Post ein, zwei Bilder haben zukommen lassen? Würde Ich die alle ausdrucken und sammeln, hätte Ich bestimmt schon einen Ordner so dick wie das Glasgower Telefonbuch voll.

Die Schotten sind kauzig und verschlossen. Die reden nicht viel, sehen einen eher geringschätzig an und sind froh, wenn sie ihre Ruhe haben. Auch so ein Klischee. Dabei sind sie gar nicht so, die Schotten. Gesellig sind sie, musikalisch und humorvoll. Ich kann ein Lied davon singen. Als Ich gerade mal einen Monat hier lebte, nahm mich mein Nachbar zu einem Ceilidh mit. Da trifft man sich am Samstag Abend im Dorfsaal, schwatzt, trinkt, singt und tanzt bis die Schwarte kracht. Eigentlich ist das nichts für mich, Ich bin von Natur aus eher zurückhaltend, abwartend. Doch plötzlich finde Ich mich mitten unter all den Highlandern johlend, hüpfend und einen Pint nach dem anderen hinabstürzend wieder. "Aye, du kannst doch singen" tadelt mich mein Nachbar, dem Ich unter dem Vorwand, eher unmusikalisch zu sein, zuvor klarzumachen versucht hatte, daß ein Ceilidh ganz bestimmt nicht die richtige Freizeitgestaltung für mich sei. Doch Angus, mein Nachbar, klopft mir nur auf die Schulter, schenkt mir einen Single Malt nach und zieht mich im nächsten Moment mit sich in die Saalmitte um mich wie eine Trophäe, die er irgendwo geschossen hat, den Dorfleuten zu präsentieren. Ob Ich will oder nicht - nun gehöre Ich dazu. Ich bin einer von Ihnen. Und damit das auch so bleibt, muß Ich all jene Sachen tun, die sie auch tun. Also saufen, rülpsen, furzen und sich nicht an zu kurz geratenen Wasserhähnen stören. Denn das würde ein echter Schotte wohl als Beleidigung seinem Land gegenüber auffassen.

So kommt es also, daß Ich selbst, der sonst Klischees mit einem Lächeln abtut, zu einem festen Bestandteil des Klischees über Schottland geworden bin. Ich bin sozusagen der Fleischgewordene Beweis dafür, daß Schottland genauso ist, wie die Menschen in Mitteleuropa es sich vorstellen. Doch bin Ich unglücklich darüber? Nein, als Gegenleistung dafür darf Ich schließlich hier leben. In diesem Land voller Klischees, die niemand besser bestätigen kann, als Ich.

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