geschrieben 2023 von hier: Fenrick (Fenrick).
Veröffentlicht: 19.07.2023. Rubrik: Unsortiert
Wenn „Guter Rat“ unbezahlbar ist
- Gibt dir das Leben eine Zitrone, mach Limonade daraus! -
„Was für eine trostspendende Floskel soll das denn sein?“, fragte er sich jedes Mal; immer dann, wenn sie ihn wieder zu bedrohen suchten – diese verdammten Flashbacks –, die ihn herunterzogen und wie kleine Dämonen grinsend auf sein Selbstwertgefühl einhämmerten. Und nicht nur, weil er Zitronensaft zutiefst verabscheute, bekam er doch jedes Mal Gänsehaut, begleitet von erhöhter Speichelproduktion, wenn er sich jenen sauren Geschmack auch nur vorstellte!
Nein, diese Art Floskeln empfand er nicht als Lebenshilfe, sondern eher als esoterische Belanglosigkeit!
„Mist!, lange kann das so nicht mehr weitergehen!“, sagte sich Ernest in lichten Momenten – Momente, die selten geworden waren... Ernest, so nannte er sich gerne. Immer dann, wenn sie ihn wieder zu vereinnahmen drohten – seine piesackenden kleinen Widersacher. Wohl, weil er hoffte, so sein Selbstwert zu stärken und sie dadurch verjagen zu können.
„Warum schreibst du nicht? Das machen andere doch auch!“
So versuchte Frederik, ein Freund, Ernests trostlosem Dasein Leben einzuhauchen.
„Was soll ich schreiben, ein Kochbuch – wie all die anderen überflüssigen Existenzen auch?“
„Oh, mein Gott, das ist ja schlimmer, als erwartet!“, dachte sein Freund in diesem Moment. Warum er nicht aussprach, was er gerade dachte? Vielleicht wollte er einfach nicht, dass sein Freund gänzlich abkippt in Selbstmitleid. Was tatsächlich in ihm vorging nach dieser Reaktion seines Freundes, ist nicht überliefert.
Das eine aber wissen wir:
Schreiben? Das war noch nie wirklich Ernests Ding. Lesen? Um Himmels willen, damit hätten man ihn jagen können. Eines aber das konnte er wirklich gut: Wenn andere ihren Psychiater aufsuchten, nahm er sich ein Blatt Paper, einen seiner sieben Kugelschreiber und schrieb. Er schrieb – und schrieb sich alles von der Leber. Auch, wenn er Monate später nicht mal mehr seinen eigenen Text begriff – egal!
Jeder der sieben Wochentage hatte seinen eigenen Stift. Alle hatten sie eine andere Farbe; so, wie jeder der markierten Wochentage in seinem Kalender – Montag bis Sonntag. Warum nur diese Mühe mit dem Kalender ...
Nach zwei Wochen
Ernests Festnetz-Telefon klingelt. Er ließ sich nie dazu verleiten, gänzlich auf mobil umzusteigen. „Man weiß ja nie...“ So war stets sein Motto.
„Komisch, ich kann mir nicht erklären, warum er nicht ans Telefon geht“, denkt Frederik – am anderen Ende der Leitung – laut vor sich hin. Wochenlang wird ihn dieser Moment nicht mehr loslassen ...
Zweieinhalb Monate sind vergangen –
es ist Sonnabend, der 29. Februar, 11 Uhr 45
„Immer dann, wenn’s gerade nicht passt.“
Frederik war just mitten beim Portionieren seiner Kaffeemenge – er verabscheut Pads, enthalten sie doch mehr Werbung, als Kaffee – da klingelte es an seiner Tür:
Er öffnete, doch niemand, den er sah. Missmutig, über dieses überflüssige Unterbrechen seiner Kaffee-Vorfreude, zog Frederik die Tür wieder zu; derart schwungvoll, dass sie beinahe von selbst ins Schloss klinkte.
Plötzlich – gerade noch rechtzeitig gelang es ihm, die Tür zu bremsen –, da bemerkte er einen zu Boden gefallenen Brief. Er muss zusammengerollt zwischen Klinke und Türrahmen gesteckt haben. Sofort erkannte Frederik, wer als Verfasser des Inhaltes einzig infrage käme...
Er verspürte leichte Nervosität. Irgendwie mochte er das Couvert auch gar nicht öffnen, doch der Drang, es tun zu ‚müssen’ war stärker als jede Scheu.
Beinahe nur flüsternd, die Stimmbänder brüchig anklingend, las er die Zeilen seines Freundes:
„Es tut mir im Herzen weh, wenn ich mir vorstelle, wie Du dich gerade fühlen musst, beim Lesen meiner Zeilen. Besonders wegen den letzten Wochen. Sie waren... Mist... verdammt, diese Entfernung zwischen uns – Du fehlst mir!
Aber sieh es mal so: Endlich habe ich, hier wo ich jetzt bin, Stoff für mehr als eine Story und brauche kein Kochbuch schreiben. Vor allem aber ist mir hier eines ganz sicher: ZEIT! Und außerdem, Du weißt ja, welche Bestandsdauer man Unkraut nachsagt (grins) ...“
„Diese schonungslose Selbstironie versetzt erst recht einen Stich.“
Es schien, als wollte Ernest gar sich selbst trösten, jedenfalls mindestens ebenso wie seinen Freund.
Beim Lesen des Wortes „Zeit“ allerdings atmete Frederik tief in sich hinein. In seinem Atmen lag das Gefühl von: JA, endlich! Denn auch er kennt jene Momente – Momente, wenn alles kämpfen nur noch relativ ist.
Irgendwie schien Ernest endlich angekommen!