geschrieben 2019 von Karsten Harms (K.Harms).
Veröffentlicht: 13.10.2019. Rubrik: Märchenhaftes
Furchtlos
„Have you ever been alone at night,
thougt you heard footsteps behind
and turned around and no one’s there?“
Iron Maiden – Fear of the dark
Furchtlosigkeit – sie wird das zentrale Thema der vorliegenden Geschichte sein.
Doch bevor diese moderne Mär mit den drei klassischen Worten Es war einmal ... ihren Anfang nimmt, möchte der Verfasser ebendieser das Wort an die geneigten Leser und Leserinnen richten und ihnen folgende Fragen stellen: Sind Sie des nachts schon einmal schweißgebadet von einem Albdruck erwacht, der Sie dermaßen geängstigt hat, dass Sie, nachdem Sie Morpheus’ Umarmung entkommen sind, sofort das Licht eingeschaltet haben, um sicher zu gehen, dass die Welt noch immer so beschaffen ist, wie Sie sie kennen?
Hatten Sie schon einmal das Gefühl, dass Ihnen, während Sie spät abends nach Hause gehen, jemand folgt? Zum Beispiel eine Gestalt, die Hut und Mantel trägt und von der Sie annehmen, dass diese Ihre schlimmsten Ängste wahr werden lässt?
Saßen Sie schon einmal vor dem Fernsehbildschirm und haben die Katastrophenmeldungen, die täglich über den Äther gehen, verfolgt und befürchtet, dass jemand den roten Knopf drückt, damit das kriegerische Vorspiel, das die Menschheit betreibt, beendet und ihr auf diese Weise den nuklearen Gnadenfick verpasst?
Haben Sie nach einer gescheiterten Beziehung schon einmal die Befürchtung gehegt, dass Sie nie wieder einer Person begegnen werden, die Ihre Gefühle erwidert? Hatten Sie dann Angst, dass Sie von nun an alleine durchs Leben gehen müssen und eines Tages einsam und verlassen Abschied von Ihrem trivialen Dasein nehmen werden?
Oder haben Sie schon einmal angenommen, dass, wenn Ihr Kind nicht zum vereinbarten Zeitpunkt in die heimischen vier Wände einkehrt, diesem etwas zugestoßen sein könnte?
Sollten Sie auch nur eine dieser Fragen mit einem Ja beantwortet haben, dann sind Sie mit der Protagonistin der vorliegenden Geschichte bereits bestens vertraut.
Ihr Name lautet Furcht. Sie zählt zur Familie der sieben Grundgefühle, die jeder Mensch, unabhängig von Hautfarbe, Geschlecht und kulturellem Hintergrund, von Geburt an in sich trägt.
Die sechs anderen tragen die Namen Freude, Wut, Ekel, Verachtung, Trauer und Überraschung. Dies sei aber nur der Vollständigkeit halber erwähnt, denn die meisten Geschwister der Furcht spielen in der folgenden Erzählung lediglich eine untergeordnete Rolle.
Nun denn, liebe Leserinnen und Leser. Lasst uns dieses Märchen endlich auf die altbekannte Weise beginnen…
Es war einmal…
…ein dunkles Zimmer, in dem zwei kleine Bettchen standen. In diesen lagen zwei Kinder, die immer, wenn ein Nachtmahr ihren Schlaf störte, der Furcht begegneten. Diese labte sich an den Ängsten der Kinder, wenn sie in den dunkelsten Stunden erwachten, mit ihren zittrigen Stimmchen nach ihren Erzeugern riefen und nach elterlichem Trost verlangten.
Nachdem die Eltern ihrer erzieherischen Pflicht nachgekommen waren und die Kinder wieder friedlich schlummerten, ließ sich die Furcht für gewöhnlich in einem Schaukelstuhl am Fenster nieder und wippte auf diesem, eine fröhliche Melodie summend, vor und zurück.
In Augenblicken wie diesen war für die anthropromorphe Personifizierung der Furcht, die von den menschlichen Sinnen natürlich nicht wahrgenommen werden konnte, alles in bester Ordnung. Denn der Schreckensschrei eines Kindes, das verzweifelte Wimmern eines Delinquenten, der den Galgen fürchtet oder der Laut des Entsetzens, der einem Menschen entfleucht, wenn er unerwartet auf eine verstümmelte Leiche stößt, stellten für die Furcht das Äquivalent zu einem schmackhaften Mahl dar.
In der Nacht, in welcher unsere Geschichte ihren Anfang nimmt, war die Furcht satt und zufrieden. Ja, im Grunde war sie mehr als zufrieden. Sie freute sich.
Der heitere Gemütszustand der Furcht sollte jedoch nicht von Dauer sein, denn die Tatsache, dass sie sich freute, rief eine ihrer Schwestern auf den Plan, deren liebliches Antlitz plötzlich vor dem Fenster erschien, durch das die Furcht in die Nacht hinausblickte.
Wäre die Furcht eine auf Kohlenstoff basierende Lebensform gewesen, hätte ihr Herz in diesem Moment einen Schlag lang ausgesetzt, denn sie rechnete partout nicht damit, dass sie an diesem Ort und zu dieser Stunde der Personifizierung der Freude begegnen würde.
Die Freude schenkte ihrer überraschten Schwester ein Lächeln und sagte mit einer engelsgleichen Stimme: „Hallo Schwesterherz.“
„Grundgütiger!“ stieß die Furcht hervor. „Musst du dich denn so an mich heranschleichen?“
Bevor die Freude zu einer Antwort ansetzte, trat sie durch die Hausmauer aus massivem Stein, die für sie nicht mehr Substanz hatte als ein flüchtiger Nebel.
„Entschuldige bitte. Es lag mir fern, dich zu erschrecken.“
„Pah! Erschrecken! Ich bin die Furcht, du kannst mich nicht erschrecken.“
„Wie du meinst“, entgegnete die Freude, die genau wusste, welche Hebel sie betätigen musste, um ihre Schwester in helle Aufregung zu versetzen.
Im Anschluss an ihre Äußerung näherte sie sich den beiden Bettchen und begutachtete die schlafenden Kinder.
„Ach sind die süß“, sagte sie.
„Du hättest sie vor einer halben Stunde sehen sollen“, erwiderte die Furcht. „Rotz und Wasser haben die Blagen geheult.“
Die Freude strich über die Stirn eines der Kinder und sagte: „Dann scheinen sie dich mittlerweile gut zu kennen.“
„Alles und jeder kennt mich. Im Gegensatz zu dir.“
Mit diesen Worten sprach die Furcht die Wahrheit. Es waren in der Tat mehr Lebewesen mit ihr, als mit der Freude bekannt. Und die Furcht wurde nicht müde, dies immer wieder zu erwähnen. Sie prahlte gerne damit, dass früher oder später jedes Lebewesen ihre Bekanntschaft machte.
„Meinst du?“, hakte die Freude nach.
„Das meine ich nicht, es ist so.“
„Was, wenn ich dir sagen würde, dass ich kürzlich einem Jungen begegnet bin, der dich nicht kennt.“
„Dann würde ich entgegnen, dass du eine Lügnerin bist.“
„Komm mit“, sagte die Freude und ging durch die Hauswand nach draußen.
„Wohin?“
Der Kopf der Freude glitt zurück durch den gemauerten Stein und sagte: „Das wirst du schon sehen. Und jetzt folge mir.“
Die Furcht seufzte und tat wie ihr geheißen.
Nur Augenblicke später fanden sich die Furcht und ihre Schwester auf einer kahlen Ebene wieder.
„Wo sind wir?“, wollte die Furcht wissen.
„Sieh nur“, sagte die Freude und deutete auf einen knorrigen Baum, der seine kahlen Äste wie tote Finger gen Firmament streckte. Unter dem Baum loderte ein Feuer und es saßen acht Gestalten um dieses herum.
Seite an Seite traten die beiden Gefühle näher. Und als die Furcht nah genug war, um die Personen um das Feuer genauer in Augenschein nehmen zu können, spürte sie Entsetzen in sich aufsteigen. Somit begegnete sie sich quasi selbst.
„Aber das…“, stieß sie hervor.
„Ja“, bestätigte die Freude.
„Und er spricht zu ihnen“, stellte die Furcht fest.
„In der Tat. Und weißt du, was das Verrückte ist?“
„Er erhält Antwort.“
„Ja, aber nicht von den toten Zungen der Leichen, die er von dem Ast dort gepflückt hat. Die Antworten entstehen in seinem Kopf.“
„Er ist also irre.“
„Das ist ja wohl eindeutig, findest du nicht?“
„Wer ist er?“
Die Freude berichtete ihrer Schwester, dass der Junge, der sich am Feuer angeregt mit sieben modernden Kadavern unterhielt, die kürzlich an eben jenem Baum aufgeknüpft und schon von ein paar hungrigen Raben angepickt worden waren, aus einem kleinen Dorf in der Nähe stammte. Sein Vater hatte ihn verstoßen, nachdem der hiesige Küster ihn vergeblich das Fürchten hatte lehren wollen. Seitdem befand sich der Junge auf Wanderschaft und ließ keine Gelegenheit aus, jenes Gefühl kennenzulernen, das die meisten Menschen für den Rest ihres Lebens gerne ad acta gelegt hätten.
Der Junge plauderte mit den Leichen bis in den frühen Morgen. Dann legte er sich hin und schlief ein paar Stunden.
Ein Fuhrmann, der ihm tags zuvor erklärt hatte, dass er unter dem Galgenbaum zweifellos die Furcht kennenlernen würde, weckte ihn mittels eines leichten Tritts in die Rippen.
Und dann geschah etwas, was die beiden Gefühle schaudern ließ. Der Fuhrmann beschimpfte den Jungen, weil dieser die Leichen vom Ast genommen und sie ums Feuer drapiert hatte. Allerdings machte sich der Junge nichts aus dem beleidigenden Tadel des Fuhrmannes, da er nur jene Worte vernahm, die er hören wollte. Und so glaubte er, dass ihm der Fuhrmann von einem nahegelegenen Königreich berichtete, wo ein Monarch regierte, der mit seiner Frau eine bildschöne Tochter gezeugt hatte, die jener wackere Recke zum Weib bekommen sollte, der es schaffte, in drei aufeinanderfolgenden Nächten in einem Spukschloss auszuharren.
Diese nie wirklich ausgesprochene Information war für den Jungen Grund genug, dem Fuhrmann umgehend den Rücken zu kehren und seinem persönlichen Wahn zu folgen.
Die Furcht und die Freude blieben dem Jungen auf den Fersen und sahen einige Tage später mit an, wie er in einem Dorf einen ihm unbekannten Mann und dessen Tochter ansprach, die er für den König und die Prinzessin hielt. Er teilte den beiden mit, dass es ihm keine Probleme bereite, drei Nächte in dem verwunschenen Gemäuer zu verbringen und er auf diese Weise nur zu gern die Hand der holden Maid gewönne.
Der Mann, den diese Aussage zunächst verwirrte und dann verärgerte, teilte dem Jungen mit, dass er gefälligst Land gewinnen solle, doch auch hier hörte der Heranwachsende nur das, was er hören wollte - dass der König ihm gestattete, drei Dinge mit in das Schloss zu nehmen, um seinen Aufenthalt dort erträglich zu gestalten.
Der Junge bat um ein Feuer, eine Drehbank und eine Schnitzbank mit Messer. Der Mann forderte den Jungen erneut auf, zu verschwinden, dieses Mal allerdings lauter. Dann verneigte sich der Jungspund, bedankte sich und ging seines Weges.
Während ihm die Furcht und die Freude folgten, richtete Erstere das Wort an ihre Schwester: „Irgendetwas hält ihn von mir fern.“
„Es ist der Wahnsinn. Er hat sich in sein Hirn gefressen und vergiftet seinen Verstand.“
„Du meinst, das was davon übrig ist. Hm“, brummte die Furcht nachdenklich, „ich frage mich, was er macht, wenn er herausfindet, dass es hier weit und breit kein Schloss gibt, in dem er nächtigen kann?“
„Na, sieh doch, er quartiert sich in dem leerstehenden Haus dort ein.“
Die Freude deutete auf ein Bauwerk mit schiefen Mauern und löchrigem Dach. Die beiden Gefühle betraten das Haus und die Freude rümpfte die Nase.
„Riechst du das?“, fragte sie die Furcht.
„Ja, es riecht nach Tod.“
„Den Jungen scheint es nicht zu stören.“
„Wundert mich nicht“, erwiderte die Furcht.
In der folgenden Nacht behielten die Furcht und die Freude den Jungen genau im Auge. Zunächst verhielt er sich nicht ungewöhnlich. Den alten Kamin entzündete er mit dem im Wahn erbetenen Feuer und machte sich anschließend über seine spartanischen Vorräte her.
Doch dann schnipste der Wahnsinn mit den Fingern, indem er den Burschen glauben ließ, dass eine schwarze Katze, die soeben die Stube betreten hatte, das Wort an ihn richtete.
Sie sagte: „Hast du auch Mäuse?“
Die Katze war real, die Frage, die sie stellte, war es nicht.
Der Junge verneinte und entgegnete, dass sie sich gefälligst welche fangen solle, wenn sie Hunger habe.
„Nicht nötig“, sagte die Katze. „Ich fresse einfach dein Mahl, wenn ich mit dir fertig bin.“
„Willst du mir drohen?“ Die Stimme des Burschen klang zornig.
Die Katze fauchte einmal. Und in der Wahrnehmung des Jungen sprangen aus den flackernden Schatten, welche das Feuer im Kamin an die Wände warf, weitere Katzen, die ihm wild fauchend entgegenstrebten.
Der Junge stürmte dem einzig realen Vertreter feloiden Ursprungs entgegen, packte ihn, als dieser zu fliehen versuchte, am Schwanz und schleuderte ihn dreimal hintereinander gegen die Wand. Knochen brachen und Blut spritzte. Der Junge warf den leblosen Körper der Katze zu Boden. Und als sie dort aufschlug, kehrten die übrigen Katzen in die Schatten zurück.
Am Morgen danach suchte der Junge das Haus des vermeintlichen Königs auf, klopfte dort an die Tür und prahlte, nachdem ihm geöffnet worden war, damit, dass er die erste Nacht gut überstanden habe.
Der Vater des Mädchens, für die das Herz des Burschen schlug, teilte ihm erneut mit, dass er sich zum Teufel scheren solle, doch der Junge hörte nur wieder das, was der Wahnsinn zuließ.
In der zweiten Nacht saß der Junge wieder in der zugigen Stube und wärmte sich an dem imaginären Feuer im Kamin. Mit der Zeit wurden seine Lider schwerer und ihm fielen die Augen zu.
„Sieht so aus, als ob heute Nacht keine Katze um ihr Leben fürchten muss“, sagte die Freude. Während sie den Jungen betrachtete, sagte sie: „Ich frage mich welch schauerliche Träume ein furchtloser Verstand webt?“
„Lass uns nachsehen“, sagte die Furcht.
Die beiden betraten den Traum des Jungen. Die Räumlichkeit, von der er träumte, war identisch mit der, in welcher sein umnachteter Körper lag.
„Nicht sehr spektakulär, wenn du mich fragst“, sagte die Furcht.
Der Junge saß wie auch in der wachenden Welt vor dem Kamin. Er blickte gen Decke, als ein Geräusch ertönte. Ruß rieselte von oben in die Flammen. Diesem folgte der Unterleib eines Menschen, der krachend auf dem Boden landete und das Feuer erstickte.
„Seltsam“, sagte der Junge. „Ein halber Mann. Da fehlt doch noch eine Hälfte.“
Und wie aufs Stichwort fiel die obere Hälfte des Mannes den Kamin hinab und verband sich geschwind mit der unteren.
Dem ersten Mann folgten weitere. Insgesamt waren es elf an der Zahl, und sie zogen sich Knochen aus ihren Körpern, die sie wie Kegel auf den Boden stellten. Zwei von ihnen entfernten sich die Schädel, was ihre mit Hirn, Augen, Zungen und Zähnen gefüllten Häupter wie halbvolle Säcke auf ihren Schultern ruhen ließ. Dann begannen sie zu kegeln.
Der Junge wandte sich an einen der Männer und fragte, ob er mitspielen könne. Der Mann entgegnete, dass dies in der Tat möglich sei, sofern er genug Taler bei sich habe. Der Bursche erwiderte, dass es ihm an Talern nicht mangele. Dem fügte er hinzu, dass die Schädel nicht recht rund seien und er dies eilig beheben wolle.
Er nahm die Schädel und begab sich zu der erträumten Drehbank, um die Gebeine rund zu drechseln.
Die Eigentümer der Schädel erhoben Einspruch, aber niemand verstand sie, da es ihnen Schwierigkeiten bereitete, ohne Kiefer gerade Sätze zu formulieren.
Dann kegelten sie die ganze Nacht und der Junge gewann eine Partie nach der anderen. Der Furcht und der Freude wurde diese Glückssträhne schließlich zu langweilig und sie verließen seine Traumwelt.
In den frühen Morgenstunden erwachte der Bursche und suchte abermals das Haus des Mannes und seiner Tochter auf, um ihnen mitzuteilen, dass er die zweite Nacht überstanden habe und morgen um diese Zeit wiederkommen wolle, um die Hand der holden Maid entgegenzunehmen.
In der dritten Nacht streifte der Junge durch das verfallene Haus. Die Furcht und die Freude folgten ihm.
„Das wird kein gutes Ende nehmen“, ließ sich die Freude vernehmen.
„Allerdings nicht“, bestätigte die Furcht.
Der Bursche gelangte an eine bis dato verschlossene Tür im oberen Stockwerk. Aus der Tasche seiner löchrigen Beinkleider holte er einen rostigen Dietrich hervor. Der Wahnsinn suggerierte ihm, dass dieser das Messer der Schnitzbank sei, die er vom König erbeten hatte. Er öffnete die Tür und betrat das Zimmer.
Das Licht des vollen Mondes schien durch ein Fenster und verlieh dem dort stehenden Bett einen gespenstischen Schimmer.
Das Bett war nicht leer. Die Leiche eines alten Greises lag in diesem.
„Guten Abend“, sagte der Junge zu dem Toten.
Der vom Wahnsinn geküsste Bursche glaubte, dass der Kadaver den Kopf in seine Richtung drehe und darüber klagte, dass ihm kalt sei.
„So lass mich dich wärmen“, sagte der Junge, stieg ins Bett und schmiegte sich an den kalten, starren Leichnam.
„Grundgütiger“, stießen die Furcht und die Freude unisono hervor.
„Ich muss hier raus“, fügte die Freude hinzu.
„Aber erst nach mir“, sagte die Furcht und raubte ihrer Schwester den Vortritt.
Am nächsten Morgen begab sich der Junge wieder zum Haus des Mannes, den er drei Tage zuvor als Majestät tituliert hatte. Seine Tochter öffnete die Tür. Sie hielt einen Eimer in Händen, in welchem sich zahlreiche Gründlinge in kaltem Wasser räkelten, doch sie erschien ihm so schön und lieblich wie immer.
Die Furcht und die Freude wohnten dieser Szenerie bei und waren sich einig darüber, dass es jetzt ernst werden würde.
Der Bursche teilte dem Mädchen mit, dass er nun ihre Hand gewonnen habe und er mit ihr noch am selben Tag die Hochzeit feiern und die Ehe vollziehen wolle.
Er griff nach ihrer Hand, doch sie versuchte sich seiner uncharmanten Avancen zu erwehren, indem sie von ihm wich. Sie hätte gern nach ihrem Vater gerufen, doch dieser weilte gerade beim örtlichen Küfer, um ein neues Fass zu bestellen. Als der Eindringling nicht von ihr abließ, schleuderte sie ihm den Inhalt ihres Eimers entgegen.
Das kalte Wasser und die glitschigen Gründlinge, die sich nun unter seiner zerschlissenen Tunika wanden, ließen den Jungen zu Boden gehen und Zeter und Mordio schreien.
Nachdem auch der letzte Gründling seine Kleidung verlassen hatte, stand der Bursche langsam auf und sah sich um. In diesem Moment wurde er zum ersten Mal in seinem Leben mit der Realität konfrontiert. Und diese jagte ihm einen eisigen Schauer über den Rücken.
„Verschwinde!“, rief das Mädchen und warf die Tür zu.
Da legte die Furcht ihre klamme Hand auf die Schulter des Jungen, richtete das Wort an ihn und sprach: „Willkommen in meiner Welt.“