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geschrieben 2019 von Nico Feder (Nico Feder).
Veröffentlicht: 12.10.2019. Rubrik: Unsortiert


Die Schule für höhere Töchter

Frau Manetova war sich schon immer darüber im Klaren gewesen: Bildung ist der Schlüssel zum Erfolg! Dementsprechend war diese Überzeugung auch die Achse ihres linearen Geschichtsbildes: Früher, ja früher, da reichte ein wenig Grundwissen vollkommen aus. Doch dann habe sich der Lauf der Welt eben geändert und heute sei eine Universität eine zwingende Voraussetzung für ein gutes Leben.
Daher war es auch nicht verwunderlich, dass sie in ihre hübsche Tochter Lilja alle ihre Hoffnungen und Ambitionen projizierte. Frau Manetova, aufgewachsen in einfachen Verhältnissen im eintönigen Grau sowjetischer Plattenbauten, hatte sich schon in frühen Jahren geschworen, dass sie eines Tages den Absprung in die bessere Gesellschaft jenseits des eisernen Vorhangs schaffen würde.

Tatsächlich hatte es Frau Manetova nach dessen Fall im von ihrer Generation blind bewunderten Westen weit gebracht: Ein beachtlicher Aufstieg, nicht nur zu einem soliden intellektuellen Status, sondern vor allem zu erstaunlichem Vermögen. Stolz über ihren Eintritt in die freie Welt, wünschte sie sich gerade für Lilja eine noch perspektivreichere Zukunft. Und für die Realisierung dieses anspruchsvollen Projektes hatte die Mutter weder Kosten, noch Mühen gescheut: Von klassischem Ballett, über Reitstunden, bis hin zu leichtem Konversationsunterricht in französischer Sprache, wurde Lilja in die bürgerliche Kultur Mitteleuropas eingeführt. Allein der Zugang zu den, wie sie Frau Manetova mit Achtung zu nennen pflegte, ‚höheren Kreisen‘ fehlte; ein unglücklicher Umstand, den Frau Manetova zutiefst bedauerte und Lilja daher zumindest zur Pflege der ‚guten Freundschaften‘ am privaten Gymnasium ermutigte.

Eines Tages war es dann an der Zeit, die gesäten Früchte zu ernten und das Ergebnis der langjährigen, gut bürgerlichen Erziehung zu begutachten. Doch beim Anblick ihrer Tochter beschlich Frau Manetova ein Gefühl des Unbehagens. Es war nicht so, dass Lilja nicht klug gewesen wäre. Aber irgendwie schien es, als hätte die junge Tochter heimlich eine kleine Hintertür zum paradiesischen Garten irdischer Genüsse geöffnet, um sich anderen, profaneren Interessen zu widmen. Zudem war Lilja eine Wucht der Natur: Groß, vielversprechend gebaut und mit dem Blick blütenreiner Unschuld. Lilja war der verbotene Traum einer stürmischen Jugend. Diese Verbindung aus blühender Sinnlichkeit und verborgener Eigenwilligkeit der Tochter bereiteten Frau Manetova zahlreiche schlaflose Nächte. Nicht zu vergessen die stechenden Kopfschmerzen! Und so entschied sie: Mehr Bücher, um den jugendlichen Willen auf die richtige Bahn zu lenken. Lilja sollte nicht irgendeine Universität besuchen, sondern eine mit wohlklingendem Namen. Die Fachrichtung war dabei irrelevant. Hauptsache eine Bildungseinrichtung mit viel Prestige galt es zu wählen. „Ich weiß genau, was für meine Tochter das Beste ist“, befahl sie Liljas Vater das Schweigen, der stumm den Blick auf seine Tochter gerichtet hatte. „Schließlich soll sie einmal gut heiraten“, schob Frau Manetova fauchend nach.
Sie war nach gründlicher Betrachtung ihrer Tochter zu dem Schluss gekommen, dass sie Lilja nur über eine geschickte Heirat in einem gesellschaftlich angesehenen Leben platzieren könnte. Doch wo sollte sie einen passenden und heiratswilligen Junggesellen finden? Weitere schlaflose Nächte folgten. Lilja musste dringend über den Umweg der Hochschule zumindest in die Nähe der gehobenen Kreise gebracht werden. „Nur wenn sie ordentlich studiert hat und gebildet ist, wird sich der Mann aus angemessener sozialer Schicht für sie interessieren.“, nickte Frau Manetova bestätigend ihrem alternden Spiegelbild zu, als sie endlich die Lösung gefunden hatte. Sie fühlte sich siegessicher. Und so stattete sie Lilja mit knappen Blusen und knielangen Stiftröcken aus und schickte sie an eine prestigereiche Hochschule im Ausland, um ihr die angepriesene, bessere Zukunft zu ermöglichen.

Lilja lachte und zog fort.

Ein Mann hatte sie schließlich wohl geheiratet. Angeblich ein schweizer Diplomat. Die Mutter sah Lilja nie wieder. Allein von Rotwein befleckte und gewölbte Ansichtskarten aus ferner Welt erinnerten noch an die einzige und geliebte Tochter.

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