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geschrieben 2018 von Carl-Paul Hénry (Carl-Paul Hénry).
Veröffentlicht: 25.01.2018. Rubrik: Nachdenkliches


Ein Idol wechselt die Fronten

Frontenwechsel eines Idols

Gregor Gysi, Papst Franziskus und Donald Trump sitzen im Vorzimmer des Himmelssaales und warten auf ihre Anhörung. Zuerst Gregor. Der stürzt nach fünf Minuten aus dem Himmelssaal und ruft: „Ich muss noch mal zurück auf die Erde, was richtig stellen.“ Dann Franziskus. Nach zehn Minuten geht die Tür des Himmelssaales auf, der Papst kommt heraus und sagt: „Ich muss noch mal zurück auf die Erde, was richtig stellen.“ Dann Donald Trump. Fünf Minuten vergehen, zehn Minuten vergehen, eine viertel Stunde vergeht, aber nichts geschieht. Doch dann, nach einer halben Stunde, wird die Himmelssaaltür aufgerissen und Jesus stürzt heraus und ruft: „Ich muss noch mal zurück auf die Erde, was richtig stellen.“

In der Tat scheint es so, dass der Jesus zu Zeiten des Römischen Reiches ein völlig anderer war, als der in den englischen, amerikanischen und europäischen Imperien. Damals war er nichts anderes, als der Anwalt der Abgehängten, Verstoßenen, Aussätzigen, Gefangenen, Fremden, Geflüchteten, Vereinsamten und sogar der Prostituierten, die er ganz klar als Opfer der Männerwelt sah, wie es heute nicht anders ist. Er war die Lobby derer, die heute keine mehr haben. Er war entschiedener Gegner derer, die heute seinen Namen als Parteien, Kirchen, Organisationen und Privatmenschen vor sich hertragen. Wir müssen nur genau hinschauen, um das zu erkennen. Wir sollten die Bibel eben nicht als weihrauchgeschwängerte Schwarte und „präkommunionistisches“ Relikt, sondern als „Tagebuch eines Revoluzzers“ lesen und verstehen. Ich rede hier vom Neuen Testament, und dort wiederum von den vier Evangelien

Natürlich hat sich der historische Jesus nicht verändert und schon gar nicht so, wie es uns heute erscheint und auch gefällt. Während Jesus der Zimmermann wollte, dass wir seine Interessen und die seiner „Mandanten“ vertreten, benutzen und missbrauchen wir durch die Jahrhunderte bis dato Jesus für unsere ureigensten Interessen. Schließlich kann man mit der Bibel alles vertreten und untermauern: den Pazifismus („Selig sind die FRIEDFERTIGEN“), den Krieg mit seinen millionenfachen Morden („Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das SCHWERT“), und sogar seinen eigenen Egoismus und Narzissmus („Liebe deinen Nächsten, wie DICH SELBST“). Ja, es geht soweit, dass bestimmte „christliche“ Kreise und ebensolche Politiker und Politikerinnen, die von Jesus explizit geforderte Anwaltschaft für Fremde und Flüchtlinge mit einer völlig abstrusen und abenteuerlichen Bibelauslegung nicht nur in Frage stellen, sondern kategorisch ablehnen und in aller Welt mit ihrer „Botschaft des fünften Evangeliums“ mehr und mehr „im Christentum verwurzelte“ Menschen erreichen.

Nein, Jesus hat die Fronten nie gewechselt. Wir – Du und ich – haben ihn vielmehr (vermeintlich) auf unsere Seite gezogen und sind im Grunde nichts anderes als ein verblendeter Saulus, der meinte, er stünde auf Gottes Seite und dieser auf der Seinigen, bis Gott ihn vor Damaskus auf den Boden der Tatsachen, der Fakten, der Realität wirft und fragt: „Saulus, Saulus, warum verfolgst du MICH?“ Also Vorsicht vor Leuten, die felsenfest behaupten, sie würden Gott und/oder Christus verteidigen, im Namen Gottes bzw. Christi reden und in seinem Namen (= in seinem Sinne) handeln. Und das bitte gilt nicht nur für Christen, sondern auch für Muslime und Juden und alle anderen, die sich ansonsten auf einen Gott berufen und dabei nicht Halt machen vor Ausbeutung, Intrigen, Lügen, Hass, Ablehnung, Feuer, Sprengstoff, Vergewaltigung und dem „Heiligen Schwert des Krieges“.

Würden wir die Geschichte vom Vorzimmer des Himmelssaales „weiterspinnen“ und Jesus käme in unseren Tagen tatsächlich zurück auf die Erde, um „etwas richtig zu stellen“, dann würde er es in der Tat tun. Allerdings konträr zu dem, was Donald Trump und alle „Herrschenden“ aus Wirtschaft, Politik, Medien, Sport, Vergnügen und Unterhaltung sich vorstellen würden. Ich sehe ihn mit seiner „Peitsche“, wie er Gottesdienste stört und die Gebet- und Gesangbücher von den Bänken schleudert, ich sehe ihn an der Frankfurter Börse, wo er lautstark jede Zinspolitik und Spekulation mit fremden Geld verdammt, ich sehe ihn auf der Reeperbahn, wo er sich mit den Huren und den Zuhältern unterhält, sie umarmt und mit ihnen ein „Astra“ trinkt, ich sehe ihn - als nicht geladenen Gast - auf politischen Parteitagen, wo er den noblen Damen und Herren auf dem Podest sein „ihr Schlangenbrut und Otterngezücht“ entgegen schleudert, ich höre ihn das „Wort zum Sonntag“ (mit Perücke und falschem Bart) sprechen, was dem Programmdirektor seinen Posten kostet, ich sehe ihn als Spieler des „FC St. Pauli“ als Verteidiger auf dem Rasen mit der „Gage“ in Höhe eines Hartz IV Satzes und ich sehe ihn auf dem Bahnhof von Passau oder München, wo der den Fremden mit ihrem Glauben an einen fremden Gott - und vor allem deren Kindern - reicht und sagt, was sie ersehnen und vermissen.

Tja, wenn und würde. Doch dieser vermeintliche Konjunktiv ist – wenn wir (wieder einmal) ganz genau hinschauen und hinhören – eigentlich Fakt und Realität. Wir sehen es bloß nicht, wir wollen es auch gar nicht sehen; wir hören es bloß nicht und wollen es auch gar nicht hören. Vielmehr sind es für uns Spinner, links-grün Versiffte, Querköpfe, Träumer und Utopisten und Visionäre, die nicht ernst zu nehmen sind und unsere heile und erfolgreiche „brummende“ Gesellschaft nur zerstören wollen. Deshalb müssen sie ans Kreuz. Wussten Sie, lieber Leser und Leserin, das Jesus seit dem Jahre 33 unserer Zeitrechnung – also seit nun fast tatsächlich genau 2000 Jahren – täglich und stündlich (!) erneut gekreuzigt wurde und wird. Dies jedoch nicht in den Heiligen Messen der Kirchen weltweit, sondern vor unseren Augen in unserer Stadt.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Svenson am 30.01.2018:

Ja, so ist das, Carl-Paul, gern gelesen, alles korrekt. Das ist eine stimmige Zustandsbeschreibung. Aber, hast du eine Idee? Wie, denkst du, geht da was zu ändern?

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