Veröffentlicht: 07.09.2023. Rubrik: Abenteuerliches
Old Firegun VII (Western)
8. Kapitel
Emelie
Etwa ein Jahr nach den Ereignissen am Fort Pinkerton, hielt die Postkutsche vor dem Office und eine sehr attraktive Frau stieg aus.
Sie war schlank, trug ein marineblaues Kostüm, dass beinahe bis zum Boden gereichte und dazu halbhohe Schnürstiefel, mit Absatz, deren Spitzen gelackt waren.
Auf dem Kopf trug sie einen passenden Hut.
Ihr Gesicht war bis zum Kinn von einem transparenten, dunklen Netz bedeckt.
Nachdem der Postkutscher ihr Reisegepäck auf die Stufen vor dem Office abgestellt hatte, betrat sie dieses vorsichtig.
Henry Firegun saß hinter dem klobigen, massiven Schreibtisch und laß den Kurier.
Es machte den Eindruck, dass er diese Frau, die ins Office eingetreten war, gar nicht wahrnahm.
Aber wer unseren Marshal kannte, wusste zu genau, dass dieser äußerst wachsam war und sein Umfeld stets selbst aus dem schmalsten Augenwinkel erfasste.
Die Frau räusperte sich und warf das Netz über den Hut zurück.
Henry zuckte unmerklich zusammen, als hätte ihn ein Floh gepiesackt.
Das gab es doch nicht!
War das ein Geist vor ihm?
Die Frau hatte die selben Gesichtszüge wie damals Knife, nur eine Nuance fülliger.
"Wer sind sie?", fragte er. "Und wie kann ich Ihnen dienen, Misses?"
"Ich bin Emelie Knife, die Schwester von Immanuel Knife."
Ja, diese Ähnlichkeit mit dem Schurken war nicht zu verleugnen.
"Ich wollte den Mann persönlich kennenlernen, der dem schändlichen Treiben meines Zwillingsbruders ein Ende gesetzt hatte."
"Schändliches Treiben...?"
Henry überraschte diese Wortwahl, ließ dies doch auf einen positiven Besuch der Frau schließen.
"Ich bin übrigens der Marshal, der ihren Bruder gestellt und in einem fairen Duell besiegt hatte."
"Marshal Firegun?"
Sie legte eine alte Ausgabe des Kuriers auf den Tisch, mit der gesamten Geschichte, die nach dem Ende der Knife-Bande wie ein Lauffeuer in jeden Winkel des Ostens und des Westens vordrang.
Das Office wurde damals noch Wochen lang von Reportern belagert.
"Ja, der bin ich höchstselbst."
"Erzählen sie mir bitte alles über meinen Bruder und wie er sein Ende fand. Galt er doch als der schnellste Relvolverschwinger seine Zeit, mit dem es keiner aufnehmen konnte."
"Keiner hat es aber eben doch geschafft."
Henry musste über seine Antwort selbst schmunzeln.
Jetzt lächelte Emelie Knife zum ersten Mal, seit sie das Office aufsuchte.
"Wissen Sie Mister Firegun, wir Knifes sind recht wohlhabende Leute in New York. Mein Vater und ich besaßen eine Manufaktur für Allgebrauchsartikel und Spezialmesser. Wir stammten ursprünglich aus der Schweiz und da werden traditionell hochwertige Armee- und Jagdmesser produziert. Mein Vater hatte dieses Handwerk von der Pike auf gelernt und wollte, dass Immanuel später die Manufaktur weiterführt. Doch es entwickelte sich in eine völlig andere Richtung. Immanuel wurde von einer Jugendgang vereinnahmt, die die Straßen von New York unsicher machte. Auftragsmord, Erpressung, Raub und Totschlag wurde sehr schnell das Markenzeichen dieser Gang. Und sie lieferten sich blutige Straßenkämpfe mit verfeindeten Gangs. Immanuel wurde, da er diese Kämpfe am Längsten überdauert hatte, Anführer dieser Gang, welche bald 30 Mann zählte. Doch dann kam die Ernüchterung. Eine Gang italienischer Zuwanderer kaufte sich bei den Policeman mit Geld, Nutten und Whisky ein und diese Policeman legten Immanuels Gang einen Hinterhalt. Zwei Drittel seiner Leute fielen dieser Polizeiaktion zum Opfer. Noch in der selben Nacht floh Immanuel mit dem Rest seiner Gang in den Westen. Vater und ich sahen ihn nie wieder, hörten aber von den unerfreulichen Schandtaten der Knife-Bande. Unser Vater war tief verzweifelt und starb mit verbittertem Herzen. Nachdem ich nun in der Zeitung laß, dass Immanuel tot war, verkaufte ich die Manufaktur für gutes Geld und investierte bei der Union-Pazific-Railroad, für mich ein durchaus rentables Geschäft. Ich bin jetzt wahrlich frei von diesem Knife-Fluch, der unser ganzes bisheriges Leben bestimmte!"
Sie holte nach dieser Ansprache tief Luft.
"Wollen sie den Tod ihres Bruders nun rächen?"
"Natürlich nicht! Aber ich möchte gern die Stelle sehen, wo mein Bruder begraben ist."
"Hören sie Misses, ich begleite sie gern zum Grab ihres Bruders. Eins versichere ich ihnen als Marshal, Knife hatte die Wahl zwischen einem fairen Verfahren vor einem Bundesrichter und einem fairen Duell nach den Gesetzen des Westens. Er hatte sich für das Duell entschieden. Und egal wie das Duell ausgegangen ist, er war wegen Mordes und versuchtem Mord an einem Hilfssheriff von mir angeklagt worden. Die gesamte Expedition, die mit dem Tod ihres Bruders ein Ende fand, wurde von Cornel Jefferson von der Army unterstützt und begleitet."
"Ich weiß, dass Immanuel am Galgen aufgehangen worden wäre."
"Diejenigen Bandenmitglieder, die die Kavallerie in Gewahrsam genommen hatte, wurden je nach Schwere ihre Taten entweder aufgehängt oder schuften mit Ketten an den Füßen an der Realisierung der neuen Eisenbahnlinie vom atlantischen bis hin zum pazifischen Ozean."
Tränen kullerten über ihre Wangen.
Henry trat an Emelie Knife heran und gab ihr sein Taschentuch.
"Wir gehen jetzt rüber zu Morgensterns Gästehaus. Da können sie ein warmes Bad bekommen, essen und sich ausruhen. Haben sie geeignete Kleidung zum Reiten in ihrem Gepäck?"
Sie nickte.
"Denn mit dem Fummel, den sie jetzt tragen, wird das nichts!"
Er deutete auf ihr Kostüm.
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Henry und Emelie ritten im Morgengrauen, noch vor dem Hahnenschrei, los.
Emelie ritt auf Johnnys Pferd, denn der Hilfssheriff musste Henry im Office während dessen Abwesenheit vertreten.
Sie benötigten bald den ganzen Tag, trotz des straffen Ritts mit nur kurzen Rastpausen, ehe sie die ersten Ausläufer der Ozarks erreichten.
Henry bereitete ein Lager nebst Feuerstelle vor.
Nach einem knappen Abendessen legten sie sich hin.
Als der nächste Morgen dämmerte, bestiegen die Beiden den Bergkamm, der zu der Stelle führte, wo die enge Schlucht, die sich vom Fort Pinkerton hinauf zum Gipfel schlängelte, das Felsplateau erreichte.
Ein aufgeschütteter Steinhaufen zeigte Emelie, dass das die Stelle war, wo ihr Bruder begraben lag.
Sie fiel auf die Knie und betete.
"Vater, ich bitte dich, verzeihe meinem Bruder all seine Sünden und nimm ihn bitte in deiner Obhut auf. Ich danke dir für deine Güte."
Sie nahm ein kleines Etui aus ihrer Jackentasche und holte ein Klappmesser heraus.
"Das Messer hatte Vater für dich angefertigt, es sollte ein Geschenk für dich sein, wenn du heimkehrst. Immanuel und jetzt bist du heimgekehrt!"
Das Klappmesser hatte einen Griff aus weißem Horn und war reich mit Intarsien verziert.
Ein Messer von dieser Qualität bekam man jedenfalls nicht beim Gebrauchtwarenhändler.
Das war eine Sonderanfertigung, für die ein Trapper eine halbe Monatsausbeute an Fellen auf den Tisch legen musste.
Gute 200 Dollar wert.
Sie schob das Messer in das Etui zurück, nahm einen großen Stein vom Grabhügel herunter, legte das Messer in den entstandenen Hohlraum und setzte Stein zurück an die alte Stelle.
Dann entfernte sich Emelie vom Grab und ging zu Henry zurück, der mit respektvollem Abstand und trotzdem ganz in ihrer Nähe gewartet hatte.
Sie ließ sich sanft von ihm umarmen.
"Die Ehre meiner Familie ist wieder hergestellt. Immanuels Taten sind gesühnt und über den Namen Knife wird Gras wachsen."
"Sie könnten", stammelte Henry verlegen, "vorausgesetzt sie können sich ein Leben an meiner Seite vorstellen, auch den Namen Knöfler annehmen. Ich mache kein Geheimnis daraus, dass ich sie sehr gern zur Frau nehmen würde!"
Verlegen röteten sich Emelies Wangen und sie gab ihm einen zaghaften Kuss auf die Lippen.
"Na dann Henry, lass uns nach Hause reiten!"
"Na dann, auf nach Amerikanisch-Wahnsdorf. Da leben meine Landsleute. Da wartet man seit langer Zeit auf meine Rückkehr."
"Und was ist mit deinem Office in Kansas City?"
"Ach weißt du, Emelie, mit Johnny unserem Hilfssheriff hat die Stadt einen würdigen Nachfolger. Der Junge ist in ganz Ordnung!"
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Ja und wenn die Beiden nicht gestorben sind, dann leben die Knöflers glücklich und zufrieden und haben eine Schar Kinder um sich.
Ende