geschrieben 2025 von Matthias Stilke (CaptainX).
Veröffentlicht: 30.03.2025. Rubrik: Fantastisches
Eine Bombenidee
Eine Bombenidee
Benjamin Crane und seine Freunde waren bereits seit einigen Wochen zur Ergänzung der Crew an Bord der SIEGLINDE, einem kleinen Vargr-Raumfrachter, der in einer - nicht ganz legalen - Transportmission unterwegs war. Der Rest der Besatzung bestand aus Vargr: Den Eigner, ein arroganter Schnösel, der zwar kein Charisma, dafür aber einen mächtigen Vater im Rücken hatte; den Kapitän des Schiffes, ein alter und außergewöhnlich umgänglicher Vargr und einigen weiteren Crewmitgliedern.
Vargr sind eine humanoide Spezies, die äußerlich Terranischen Hunden gleichen. Sie sind etwas kleiner als Menschen, intelligent und verfügen über einen (wen wundert es) überlegenen Geruchssinn. Vargr leben in Rudelstrukturen, die weit komplexer sind als das menschliche Familienpendant.
Ihre Namen sind für Menschen extreme Zungenbrecher. Es war üblich, im interkulturellen Kontakt Vargr mit ihren Berufen oder Funktionen anzusprechen. Der Kapitän ließ sich mit Berater anreden - sein Chef und Eigner des Schiffes wurde Prinz genannt, weil er der Sohn eines mächtigen Warlords in diesem Teil der Vargr-Weiten war.
Ihre Fahrt führte sie kreuz und quer durch den Subsektor. Nach einem kleinen Gefecht mit einem unbekannten Schiff mussten sie auf Sahlem, einer kleinen Grenzwelt, sozusagen notlanden, in der Hoffnung, ihre Verfolger dadurch abzuschütteln.
***
Das Schiff glitt sanft durch die dünne Atmosphäre des Planeten. Sahlem war eine mittelgroße Welt mit einem hohen Wasseranteil und einer durch Pilzsporen verunreinigten Atmosphäre. Das war nicht weiter tragisch, denn sie war auch so dünn, dass Menschen und Vargr sowieso einen Raumanzug tragen müssten. Das galt nicht für die Sahlemer. Diese hatten sich seit tausenden Jahren, als ein Überbleibsel der Dunklen Zeit, den klimatischen Verhältnissen des Planeten angepasst.
Der Raumhafen und die angeschlossene Scoutbasis lagen weit abseits der Bevölkerungszentren auf dem kleinsten Kontinent, den die Einheimischen Deare nannten. Er wurde von einem Sahlemer-Staatskonzern betrieben, wobei der IISS (Imperial Interstellar Scout Service, eine Imperiale Forschungsinstitution) hin und wieder technische Unterstützung bot.
Sie landeten auf den zugewiesenen Platz und baten um Treibstoffversorgung. Viel war hier nicht los: Ein großer Kauffahrer wurde gerade beladen, zwei Frei- bzw. Fernhändlerschiffe warteten auf Abfertigung. Einige nagelneue Scoutschiffe standen auf einen gesonderten Feld. Das war wohl ein Teil der örtlichen IISS-Flotte.
Sie warteten.
Nach der Landung auf einem Imperialen Raumhafen war es üblich, dass die Raumhafenverwaltung einen Mitarbeiter zum Schiff schickte, um Serviceangelegenheiten zu besprechen. Sahlem Interstellar Spaceport sandte jedoch einen Fahrzeugkonvoi, der verdächtig nach Militär aussah: Schwere Radchassis, erdige Tarnfarben und aufmontierte Automatikwaffen!
»Hm.«, machte Ben: »Was wird das denn? Schiffsinspektion?«
Berater fixierte die näher kommenden Fahrzeuge durch das Cockpitfenster und meinte dann: »Benjamin. Das hat nicht unbedingt etwas zu sagen. Sahlem ist ein autoritär regierte Welt. Es ist nicht ungewöhnlich, wenn die örtlichen Machthaber ihre Stärke präsentieren. Gleichwohl: Wenn sie unseren Laderaum inspizieren wollen, müssen wir schnell weg von hier.« Er dachte da an die acht Container voller fabrikneuer Automatikgewehre aus Imperialer Produktion.
Da sprach der Diplomat aus dem alten Vargr. Ben konnte sich dem aber nicht so wirklich anschließen. Ihm schien der Aufwand für so eine alberne Geste unangemessen hoch.
Der Konvoi näherte sich. Berater stand auf. »Ben. Es wird Zeit, dass wir die Raumanzüge anlegen und unsere Gäste begrüßen. Begleiten sie mich?«
»Natürlich, Berater. Thora, würdest du bitte auf der Brücke bleiben und ein Auge auf diese Leute haben?«
Sie nickte. »Sollen Scott und Tracy die Geschütztürme besetzen?«
Ben sah den Vargr an, der darauf antwortete: »Ja. Und bereiten sie vorsichtshalber einen Notstart vor.«
Im Gang vor der Brücken hingen die Raumanzüge bereit. Mit geübten Griffen zogen Ben und Berater die stabilen Overalls an, verriegelten den Helm am Metallkragen und schalteten die Sauerstoffversorgung ein. Als die Statusleuchten grün anzeigten, nickten die beiden sich zu und kletterten den zentralen Schacht nach unten.
Berater schaltete sein Intercom ein: »Ben. Überlassen sie mir bitte das Reden. Ich hatte zwar noch nie mit Sahlemern zu tun, habe aber bestimmt mehr Erfahrung mit Fremdweltlern als sie.«
Ben nickte. Das stimmte wohl, aber selbst wenn es nicht so wäre, hätte er sich nicht um diese zweifelhafte Ehre gerissen. Er machte sich aber über etwas anderes Sorgen: Wenn sie sich hier herausschießen mussten, wäre ihre Mission kaum noch durchführbar und sie würden irgendwo für längere Zeit untertauchen müssen.
»Und falls sie noch eine Waffe dabei haben - lassen sie diese im Schiff. Das macht keinen guten Eindruck.«, fügte Berater noch hinzu. Ben antwortete nicht. Er trug seinen uralten Trommelrevolver unsichtbar in seiner rechten Beintasche. Falls die Diplomatie versagen sollte, wollte er nicht nackt dastehen.
Sie betraten die Schleuse, der Druckausgleich wurde hergestellt und sie stiegen die Gangway hinab. Die Radfahrzeuge hatten sich inzwischen im Halbkreis vor der Schleuse aufgestellt - die Waffen drohend auf das Schiff gerichtet. Aus dem einen Vehikel entstieg ein Sahlemer in einem schlichten, dunkelblauen Overall.
Die Bewohner von Sahlem waren humanoid, aber mit 150 Zentimeter Körpergröße erheblich kleiner als Mensch oder Vargr. Jahrtausende lang hat die Evolution ihre Körper an das örtliche Klima angepasst. Sie haben einen großen Torso und Kopf, aber relativ kurze Arme und Beine.
Der Sahlemer in Blau fixierte Ben und Berater aus sicherer Entfernung und wartete auf seine Eskorte. Aus jedem der übrigen vier Fahrzeuge stieg ein Sahlemer in braun-grauer Uniform und einer Kopfbedeckung, die an Baretts erinnerten. In ihren kleinen Händen hielten sie Projektilgewehre, die für ihre Körpergröße viel zu lang waren. Ben bezweifelte, dass diese Typen ihre Waffen abfeuern konnten, ohne sich dabei selber zu verletzen. Der Blaue wartete bis sich die vier Braunen an seinen Flanken positioniert hatten und gemeinsam gingen sie dann im Gleichschritt auf die Beiden zu.
Eigentlich sah das Ganze recht lustig aus, aber die Sahlemer Behörden waren nicht für ihren Humor bekannt. Ben zweifelte ebenfalls keine Sekunde daran, dass die vier Soldaten - oder was immer sie repräsentierten - auf einen Wink vom Blauen das Feuer eröffnen und dann erst Fragen stellen würden.
Zwei Meter vor Berater blieb die Prozession stehen und der Blaue sah zu dem Vargr hoch: »Ergebene Grüße. Mein Name ist Tschdong Gong. Ich bin Subkommissar der Sahlemer Handelsmission. Ich biete ihnen meine Dienste.« Er sprach ein ausgezeichnetes anglic. Seine Stimme war allerdings überraschend hell. Ob dies nun ein Effekt der Atmosphäre war oder an der Sahlemer Sprachanatomie lag, wusste Ben nicht.
»Ich grüße sie.«, sagte Berater mit einer leichten Verbeugung: »Mein Name ist Koenggkfuzengh. Ich bin der Kapitän von diesem Schiff. Das hier ist Crane, mein Pilot.« Schondingdon, oder wie der hieß, schenkte Benjamin keinerlei beachtung.
»Darf ich mich über ihre Reiseroute erkundigen?«
'Nein, das darfst du nicht! Du arroganter Wicht!', dachte Ben.
»Natürlich dürfen sie.«, sagte Berater höflich: »Unsere Route führt uns nach Harula und dann den Streifen entlang in Richtung Aramej.«, log er, um ihre Spuren zu verwischen. Er hatte sich zwar noch nicht final über den weiteren Kurs festgelegt, jedoch wollte er keinesfalls den Imperialen Militärstützpunkten auf Aramej und Cal zu nahe kommen und somit blieb nur der Weg über Athana.
Gong machte einen desinteressierten Eindruck: »Sehr schade, Kapitän. Ich hatte gehofft, dass ihr nächstes Ziel Athana wäre.«
Benjamin horchte auf. Was sollte denn das nun wieder?
Berater lies sich nichts anmerken: »Subkommissar, leider habe ich bei meinem Flugplan keinen Spielraum. Ich benötige nur Treibstoff.«
Der Blaue schien nicht wirklich zugehört zu haben: »Uns fehlt es an Vielem hier. Ich habe noch nicht einmal genügend Leute, um alle Schiffe kontrollieren zu können. Unsere Tanks sind leer - es wird sicherlich noch mehrere Tage dauern, bis sich dieser Zustand ändert.«
Berater sah den Kommissar einen Moment schweigend an und sagte dann: »Ich werde meinen Flugplan noch einmal überarbeiten und sehen, was sich machen lässt.«
»Sehr gut, Kapitän.«, sagte der Blaue und fügte dann noch mit einem schmalzigen Grinsen hinzu: »Ich wusste, dass wir uns verstehen.« Er gab seine Eskorte ein Zeichen und die Gruppe zog im Gleichschritt in Richtung Fahrzeuge ab.
Als sie abfuhren, stand Berater noch immer unbeweglich da und sah ihnen nach. Ben gesellte sich zu ihm und half beim Hinterhersehen: »Was sollte das denn nun?«
»Der Sahlemer erpresst uns!«, sagte der Vargr düster: »Er ahnt zumindest, dass mit unserer Ladung und Flugplan etwas nicht stimmt.«
»Und?« Benjamin verstand immer noch nicht.
»Er möchte, dass wir nach Athana fliegen.« Nun sah Berater Ben an: »Der Hinweis auf fehlendes Personal und Treibstoff! Wenn wir uns weigern, gibt es keinen Treibstoff, aber mit Sicherheit eine umfangreiche Schiffskontrolle.«
Benjamin sah wieder zum Fahrzeugkonvoi, der nun fast das Terminalgebäude erreicht hatte und pfiff anerkennend: »Dieser kleine Gauner! Und was jetzt?«
Berater zuckte mit den Leffzen: »Ich denke, wir haben keine Wahl. Immerhin: Er konnte ja nicht wissen, dass wir tatsächlich nach Athana wollten. Aber es gefällt mir nicht, in irgendein übles Geschäft der Sahlemer Regierung oder einer seiner Lakaien hinein gezogen zu werden.«
Ben schürzte die Lippen: »Vielleicht kann uns der IISS helfen?«
Berater schüttelte den Kopf: »Ich glaube kaum, dass sie für uns eine Klaue krumm machen - wenn sie nicht schon da mit den Sahlemern gemeinsame Sache machen. Und wenn nicht: Der Kommissar wird uns bestimmt denunzieren, falls wir den IISS informieren.«
Nach einer kleinen Pause sagte er noch: »Narro wird im Dreieck springen!« und seufzte.
Ben war nicht dabei, als Berater seinem Herrn die neue Lage erklärte. Man benötigte aber nicht viel Fantasie dafür, dass Prinz ... sagen wir mal: recht ungehalten über diese Angelegenheit war. Schließlich musste Narro sich aber damit abfinden.
Die Doppelsonnen gingen so langsam unter und es begann eine lange vierzehnstündige Nacht. Berater kontaktierte Handelskommissar Gong; unmittelbar danach tauchten Tankfahrzeuge auf und Gong kündigte sein baldiges Erscheinen mit einer Eskorte von acht Bewaffneten und einem großen Metallcontainer an, zum schnellstmöglichen Transport nach Athana. Berater und Technikerin beaufsichtigten die Betankung der SIEGLINDE. Benjamin hatte gerade nichts zu tun, also gesellte er sich zu den beiden Vargr.
Ben konnte Berater seinen Ärger ansehen: »Was halten sie davon?«
Die Augen des alten Vargr verengten sich zu Schlitzen: »Ich wusste, dass die Sahlemer nicht vertrauenswürdig sind, aber damit habe ich nicht gerechnet. Ob sie nun etwas gegen uns in ihrer Hand haben oder nicht - sie können uns eine Menge Ärger bereiten.«
»Den Kommissar und seine Bodyguards nach Athana bringen? Wozu braucht er da uns?«
Berater schüttelte den Kopf: »Nein. Es geht um den Container. Ich fürchte, er benutzt uns als Kurier, als Schmuggler zum Transport illegaler Waren.«
Ben dachte an ihre eigene Situation und musste lächeln: »Meinen sie wirklich?«
»Natürlich. Und wertvoll noch dazu. Deshalb auch die vielen Sicherheitsleute.« Berater entging Ben's Sarkasmus völlig. Immerhin war ihre eigene Mission nicht gerade … vereinbar mit geltendem Imperialen Recht.
»Wertvoll? Auf Sahlem? Da fällt mir nur Narkothika ein.«, sagte Benjamin.
»Wie bitte?«
»Drogen. Rauschgift, Hirngriller. Bewustseinsveränderne Drogen. Lesen sie mal die Systemdaten dieser Welt.« Sahlem's Flora bringt eine Reihe natürlicher Opiate hervor, die Grundbestandteile vieler Medikamente sind. Die Regierung macht gute Geschäfte mit Imperialen Pharmakonzernen. Es war aber ein offenes Geheimnis, dass die staatliche Handelsmission den Subsektor mit halluzinogenen Drogen versorgte.
Der alte Vargr zeigte in Richtung Terminalgebäude. Eine beleuchtete Fahrzeugkolonne näherte sich: »Da kommen sie.« Dann sprach er ins Intercom: »Scott? Unsere Passagiere sind da. Die Laderampe bitte runter.«
Gelbe Warnleuchten drehten sich und langsam öffnete sich die Rampe. Zu Technikerin sagte er auf vargr: »Hol' den Stapeltransporter und sichere den Container.«
»Ja, Kapitän.«
An Benjamin gerichtet: »Ben, sie müssen leider etwas zusammenrücken. Gong beansprucht für sich und seine Leute vier Kabinen.«
»Habe ich mir schon so gedacht.«, sagte Ben: »Scott zieht zu mir und Thora teilt sich eine Kabine mit Tracy. Ist ja nur für eine Woche.«
»Hoffentlich.«
Derweil hielten die Fahrzeuge, zwei Personen- und ein Lasttransporter vor der SIEGLINDE. Gong stieg mit einem Begleiter aus. Neben seiner landläufigen Waffe trug dieser einen großen und anscheinend schweren Metallkoffer. Technikerin nahm den Container auf die Gabel ihres Transporters und fuhr diesen vorsichtig in den Laderaum der SIEGLINDE. Thora nahm Gong's Sicherheitspersonal in Empfang und machte sie mit den Lokalitäten des Schiffes vertraut.
An Berater gerichtet sagte Gong: »Ich habe hier meine Lebensversicherung.« Er zog aus seiner Beintasche einen kleinen schwarzen Kasten: »Wenn ich eine bestimmte Schalterkombination auf dieser Box drückte, geht meine kleine Bombe hier hoch.« Er zeigte mit der Box auf den Metallkasten seines Begleiters. »Ich werde sie elektromagnetisch in meiner Kabine mit ihrem Schiff verbinden, so dass sie nicht entfernt werden kann, ohne zu explodieren.« Er lächelte böse: »Wenn die Box meine Vitalwerte nicht mehr registriert, geht sie hoch. Wenn ich weiter als einer Hundertstel Astraleinheit von der Box entfernt bin, geht sie hoch.«
Er setzte wieder sein widerliches Grinsen auf: »Also: Es hat keinen Sinn, mich zu hintergehen, Vargr. Zeigen sie mir jetzt meine Kabine.«
Berater war einigermaßen sprachlos. Als sie den Kommissar zu seiner Kabine geleitet hatten, ging er und Benjamin zum Laderraum, um den Container zu begutachten. Technikerin hatte den Behälter vorschriftsmäßig gesichert. Zwei von Gongs Wachen hinderte die Beiden allerdings am Näherkommen und Herumschnüffeln.
Der alte Vargr war stinksauer und schimpfte und fluchte unablässig vor sich hin. Am Ende sagte er zu Ben: »Es wird mir ein großes Vergnügen sein, diese Leute auf Athana mit einem Fußtritt aus dem Schiff zu werfen. Ab liebsten noch während des Fluges!« Benjamin nahm sich vor, ihm dafür persönlich die Schleuse zu öffnen.
Er konnte Berater gut verstehen: Der gesamte erzwungene Transport war schon ein starkes Stück, aber dann auch noch eine ferngesteuerte Bombe an Bord nehmen zu müssen, war der Gipfel! Aber zugegeben: Es bot den Sahlemern ein Höchstmaß an Sicherheit.
Sie hatten keinen Zweifel darüber, dass es sich nicht um eine Bombe handelte. Als ehemalige Söldnerin meinte Tracy, Größe und Gewicht des Behälters deuteten mindestens auf eine mittlere Sprengkraft hin. Aber egal, wo diese Bombe im Schiff explodieren würde: Der Schaden wäre immens und ein Totalverlust wahrscheinlich.
Der Start und Flug zum Sprungpunkt und der Eintritt in den Hyperraum verliefen ohne Probleme. Gong hielt sich die meiste Zeit mit ein oder zwei Sicherheitsleuten in seiner Kabine auf, zwei Soldaten bewachten den Laderaum und zwei Weitere patrouillierten den Verbindungsgang des Passagierbereichs.
Einige Tage später grübelte Benjamin auf der Brücke über die Navigation des nächsten Sprungs nach Athana - seiner Geburtswelt, die er vor gefühlten einhundert Jahren verlassen hatte, um der Raumflotte beizutreten. Er konnte sich kaum noch an die kleinen Vororte und der Hauptstadt Capital erinnern und hatte auch kaum Interesse daran. Das war vergangen und fast vergessen.
Berater kam herein, setzte sich auf den Co-Pilotensessel und sagte: »Gute Nachrichten, Benjamin. Pilotin geht es besser. Sie wird sich wohl noch in der Heimat einer Operation unterziehen müssen, aber laut Autodoc kann sie wieder leichten Dienst verrichten und uns auf der Brücke entlasten.« Pilotin hatte sich bei einer Bruchlandung auf Jelohm vor einigen Wochen schwer verletzt.
»Sehr gut.«, sagte Ben etwas geistesabwesend: »Berater, der von Prinz befohlene Kurs mach mir Bauchschmerzen.«
»Inwiefern?«
»Wir fliegen ziemlich dicht an Athana-Alpha vorbei und erreichen den Planeten knapp außerhalb seines Sprungschattens.«
»Das ist doch gut. Prinz will unbedingt die verlorene Zeit einholen.«
»Prinz wird sich daran gewöhnen müssen, dass sich die Umstände etwas geändert haben. Wir werden verfolgt. Wir müssen vorsichtiger sein. Dass wir Athana überhaupt anfliegen müssen, ist schon schlimm genug, aber wir müssen unser Schicksal nicht herausfordern.«
Berater dachte nach: »Was schlagen sie vor?«
»Ich würde die Sonne von der anderen Seite umfliegen. Dort hätten wir auch einen gewissen Ortungsschutz durch den Sonnenwind.«
»Ausgeschlossen!«, sagte Berater entrüstet: »Das wäre ja ein Umweg von mehreren Tagen! Dem würde Prinz niemals zustimmen!«
»Sie sagten selbst, dass der Scoutjäger, der uns auf Jelohm attackierte, sicher nicht alleine operiert und zumindest zu einer kleinen Kampfgruppe gehört - also einigen Scoutjäger und einem Kampfschiff. Wenn ich hinter uns her wäre, würde ich genau da...«, er zeigte mit dem Finger auf der Systemkarte von Athana, »... auf uns warten!«
Berater zog einige Male skeptisch die Nüstern hoch, gab dann aber nach: »Okay, Benjamin. Ich werde es mit Prinz besprechen.«
Ben war durchaus klar, dass ihn jedes kritische Gespräch mit Narro Berater eine Menge Kraft kostet. Er war zwar noch nie dabei gewesen, aber jedes mal schien das Fell von Berater etwas grauer zu werden. Ben tat der alte Vargr leid - Prinz war jemand, den man - jedenfalls mit menschlichen Maßstäben - als arroganten Kotzbrocken bezeichnen würde - Rudelprinz hin oder her. Aber hier ging es um die Sicherheit des Schiffes und vor allem der Besatzung. Prinz war ihm egal, aber seine eigene Haut würde Ben nicht für die Überheblichkeit eines Vargr riskieren.
Die SIEGLINDE materialisierte sich im Athana-System nach einer Woche im Sprungraum - wie geplant weit ab der gleichnamigen Hauptwelt. Sie würden zwar nun einige Tage mehr zum Erreichen ihres Ziels benötigen, durchquerten aber ein Gebiet, wo es kaum Verkehr gab.
36 Stunden später erschien Athana auf den Langstreckensensoren.
»Viel Verkehr hier.«, sinnierte Benjamin mehr zu sich selbst und blickte auf die zahlreichen Blips auf dem Bildschirm.
»Ja.«, meinte Berater: »Das kann ein Vorteil für uns sein.«
Plötzlich schreckte Ben auf und zeigte auf einen Blip: »Da!«
Berater las die Sensoranalyse des Schiffscomputers: »Masse ungefähr 400 Tonnen. Beschleunigung 4g. Laut Energiesignatur ein Imperialer Patrouillenkreuzer. Systemsicherung?«
Ben schüttelte langsam den Kopf, ohne den Blick vom Schirm zu nehmen: »Ich glaube nicht. Sein Kurs führt direkt zu Athana.«
»Sollten wir unseren Kurs ändern?«
Ben überlegte kurz: »Nein. Wenn der auf reguläre Patrouille ist, würden wir uns mit so einem Manöver verdächtig machen. Wir sollten ganz normal weiter fliegen.«
Glücklicherweise verdeckte der Planet ihren Kurs bei der Annäherung vor den Sensoren des Patrouillenkreuzers. So konnten sie unbemerkt in den Orbit eindrehen und in Tiefflug gehen.
Auf der Nachtseite des Planeten senkte sich langsam der Rumpf der SIEGLINDE in Richtung Oberfläche. Die Behörden dieser Welt verfügten nicht über die technischen Möglichkeiten, den Orbit zu überwachen. Gleichwohl war auch hier eine Landung jenseits des offiziellen Raumhafens illegal.
Ob dieses Wissens steuerte das Schiff eine Gegend auf der anderen Seite des Nordkontinents an, wo - laut offiziellen Kartenmaterial - sich nur dichter Dschungel befand.
Benjamin fing das Schiff einige Meter über die dampfenden Baumwipfel ab. »Und nun?«
Handelskommissar Gong stand dicht hinter ihm auf der engen Brücke und antwortete mit einer Gegenfrage: »Sind wir auf Position?«
»Ja. 23635,3 zu 51009,8. Wie gewünscht.«
»Auf 95 Grad gehen. Höhe halten.«
Ben sah zu Berater herüber, der einzige hier an Bord, der ihm Anweisungen erteilen durfte. Der alte Vargr nickte nur. Er war noch immer stinksauer über ihre 'Passagiere', die sich auf so schamlose Weise ihres Schiffes bedienten und ihre eigentliche Mission gefährdeten, mindestens aber verzögerten.
»Wie schnell soll ich fliegen? Wie lange brauchen wir zum Ziel?«
»Fliegen sie 50 Kilometer pro Stunde etwa 30 Minuten.«
Aus den Augenwinkeln sah Ben Berater's Nicken. Er überprüfte ihre Position auf der Planetenkarte. In ihrer Flugrichtung war nur Dschungel verzeichnet - sonst nichts, aber Gong wusste sicherlich, was er tat.
Es war dunkel draußen und eine Weile flog Ben mit Lichtverstärkern. Jetzt ging aber der große Mond des Planeten auf und reflektierte ein schwaches Licht auf die gleichförmige Landschaft vor ihnen. Er schaltete den entsprechenden Monitor ab und flog auf Sicht.
Ben spürte den Sahlemer hinter sich. Dieser Typ war ihm von Anfang an unangenehm gewesen und nach dem Start war es nicht besser geworden. Was seine Sicherheitsleute betraf: Entschlossene Befehlsempfänger ohne eigene Meinung mit den Ruf sadistischer Psychopathen zu sein. Er fragte sich, ob alle Sahlemer so waren, wie ihre 'Gäste'. Aber mit diesem Volk hatte er bislang zuwenig zu tun gehabt, als dass er sich ein Urteil erlauben konnte. Fest stand jedoch, dass die gesellschaftliche Gruppe, zur der Gong und sein Patriarch gehört, auf ihren Planeten das Sagen hatten und es kaum Opposition gab.
»Da ist es. Halten sie.«, sagte Gong mit seiner hellen Stimme und zeigte in die Dunkelheit vor ihnen. Benjamin sah, dass die eintönige Silhouette des Dschungels dort einer flachen Gebäudestruktur wich - einem sechseckigen Stern dessen Ecken stumpf waren und dazwischen halbrund ausgeformt. Laut Karten dürfte hier nur Dschungel sein. Vermutlich handelte es sich um einen vergessenen Militärstützpunkt einer der längst vergessenen Vargr-Invasionen vergangener Jahrhunderte.
Ben reduzierte die Geschwindigkeit langsam auf Null. Die Scannerkonsole zeigte vor ihnen nur schwache Energieemissionen, vermutlich Beleuchtung, kaum zu lokalisieren in dieser heißen und feuchten Atmosphäre.
»Senden sie das Signal, Vargr.«, sagte Gong unhöflich - ein Individuum mit seiner Gattung anzusprechen, wurde in allen Kulturen als unangemessen empfunden – na ja, bei den Sahlemern vielleicht nicht.
Benjamin merkte, dass Berater kurz vor dem Platzen war wegen dieser Behandlung. Aber solange Gong die Bombe und den Zünder kontrollierte, konnten sie nichts weiter tun, als zu gehorchen - ein Zustand, der für einen Vargr sicher noch unerträglicher war als für einen Menschen.
Berater hackte auf der Kommunikationskonsole herum und strahlte das vereinbarte Signal auf den Bereich vor ihnen. Er und Ben wussten nicht, was das sollte. Gong hatte sie bislang in allen Details zu seinem Auftrag im Unklaren gelassen.
Gong wartete. Eine, zwei, fünf Minuten. Dann fragte er Berater: »Empfangen sie etwas?«
»Nein. Kommissar. Gar nichts.«
Gong klimperte mit den Augenliedern: »Nochmal das Signal!«, befahl der Sahlemer. Berater betätigte wieder ein paar Schalter und sagte nach ein paar weitere Minuten: »Wieder nichts.« Obwohl die Sahlemer Kultur sich grundlegend von der menschlichen und erst recht von den Vargr unterschied, spürte Ben Gong's Nervosität und dass er mit sich um einen Entschluss rang.
»Also. Was ist jetzt, Chef.«, drängte Ben salopp und ging recht in der Annahme, dass Gong seinen seichten Spott nicht bemerkte.
Bei diesem Komplex scheint es sich um eine Art Raumhafen zu handeln, mit sechs halbrunden Lande- und Servicebereichen zwischen den Armen. Mittig die Zentrale, in den Armen Lagerhallen und Serviceeinrichtungen. Allerdings scheint diese Anlage bereits längere Zeit nicht mehr verwendet worden zu sein: Die Betonpisten waren zerbrochen und durchwachsen von Pflanzen und sogar Bäumen; die Lagerhallen zum Teil eingestürzt, Beleuchtungs- und Kommunikationstürme durchgerottet und umgeknickt. Insgesamt ein trostloser Anblick!
Gong hatte einen Entschluss gefasst: »Dort landen.« Er zeigte auf die direkt vor uns liegende Landebucht.
Die Sache gefiel Benjamin nicht. Es schien nicht nach Plan zu laufen. Instinktiv landete er so weit außen in einem maximalen Abstand von dem Komplex, insbesondere von den Strahlenden, dessen Türme bedrohlich in die Höhe ragten.
Kommentarlos verließ Gong und der Soldat die Brücke und ging nach unten auf das Ladedeck. Ben und Berater hechteten hinterher. Im Gang vor der Brücke stand Thora bereit, diese in Abwesenheit der Beiden zu übernehmen. Im Vorbeigehen sagte Ben zu ihr: »Thora, lass Scott bitte Geschützturm Eins besetzen. Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Sache.«
»Geht klar.«
Unten angekommen, entfernten Gongs Sicherheitsleute gerade die Transportsicherungen von dem großen Metallcontainer und dem Fahrzeug.
»Sie gehen jetzt da raus?«, fragte Berater etwas erstaunt. Gong zog es vor, diese Frage mit einer Anweisung zu ignorieren: »Kapitän, sie soll den Gabeltransporter klar machen und die Kiste aufladen.« Dabei zeigte er auf Technikerin.
Berater hatte keine Wahl; er gab diese Anweisung an die Vargr weiter.
Kurze Zeit später hatte sie die schwere Kiste auf der Gabel und Gong hatte mit zwei seiner Soldaten das massive Dreiachsfahrzeug bemannt.
»Öffnen sie jetzt die Luke.«, befahl der kleine Handelskommissar barsch. Berater gab es an Thora weiter.
Benjamin flüsterte Berater zu: »Hoffentlich weiß der Typ von den Biestern, die hier überall herumschleichen.« Er spielte auf die zahlreichen, fleischfressenden Spezies an, die Spaziergänge auf Athana außerhalb geschützter Zonen gefährlich machen. Berater nickte nur düster - er hatte die entsprechenden Passagen aus den offiziellen Planetendaten gelesen.
Gelbe Drehlichter gingen an und langsam klappte die mächtige Luke nach unten weg. Ein Schwall feucht-warme Luft flutete den Laderaum.
Gong brüllte ein paar Befehle auf sahlemisch und das Fahrzeug rollte langsam die Rampe herunter. Technikerin folgte mit dem Transporter und den Container hinten auf der Gabel. Ein Soldat hatte sich zu ihr in den Pilotenbereich gedrängt; ein weiterer ging langsam nebenher. Alle Soldaten hatten ihre Waffen in Bereitschaft und blickten unsicher in die dunkle Szenerie vor sich.
Benjamin, Tracy und Berater blieben unten an der Rampe stehen und sahen dem kleinen Konvoi hinterher - die gesamte Geschichte roch förmlich nach Ärger. Ben tastete nach seinem Revolver. Er trug seine normale Bordkombi und wünschte sich, er hätte seinen Karabiner mitgenommen. Tracy hatte sich ihr BAR8-Präzisionsgewehr umgehängt, das fast so lang wie sie groß war. Bekleidet war sie - wie meistens - mit einem ärmellosen Shirt und einer durchgebeulten Hose mit ungefähr 73 Beintaschen - alles mit braun-grünem Tarnmuster - und schweren Kampfstiefeln. Auch Berater trug seine Bordkombi; eine Waffe war aber nicht zu sehen. Ben war sich aber sicher, dass der alte Vargr irgendwo eine Pistole versteckt hatte.
Unten angekommen sahen sie den Fahrzeugen hinterher. In dem Halbrund der Gebäude rührte sich nichts. Einer uralten und fast vergessenen Gewohnheit entsprechend, sah sich Ben konzentriert um - eine Maßnahme, die in Athana's Wäldern überlebenswichtig ist und man ihm seit frühester Kindheit eingetrichtert hatte.
Berater schüttelte den Kopf und sagte dann: »Ich bin auf der Brücke bei Thora.« und ging die Rampe wieder hoch.
Kaum war er weg, da hielten plötzlich die Fahrzeuge an. Einen Anlass hierfür konnte Ben nicht erkennen. Dann knallte es und der Soldat neben Technikerin fiel vom Fahrzeug. Es folgte eine schnelle Folge von Schüssen. An verschiedenen Stellen der angrenzenden Lagerhallen blitzte Mündungsfeuer auf. Ex-Söldnerin Tracy sprang routiniert hinter den nächsten Betonsockel, der mal die Basis eine Beleuchtungsmastes war. Benjamin folgte ihr in Sekundenabstand.
»Leichtes Maschinengewehrfeuer von dort.«, sagte sie und zeigte in Richtung Lagerhallen. Ben spähte knapp über den Sockel und sah, dass sich das Feuer bislang auf den Transporter konzentrierte. Technikerin war abgesprungen und hatte sich zusammen mit einem Soldaten Deckung hinter der Metallkiste gesucht, die immer noch auf der Rückseite des Fahrzeugs auf der Gabel stand. Von mehreren Seiten wurde auf sie eingeschossen.
»Die sind festgenagelt.«, rief Ben Tracy zu. Sie war gerade dabei, in aller Ruhe Feineinstellungen an ihrem Gewehr vorzunehmen: »Ja. Mal sehen, ob wir daran etwas ändern können.« Sie legte das Gewehr auf den Sockel und suchte die Gebäudewände mit ihrem Zielfernrohr ab.
Derweil sprach Ben ins Intercom: »Scott. Kannst du was sehen?«
Die Antwort kam prompt: »Negativ. Kein Sicht- und Schussfeld. Sehe von meiner Position aus nur Dächer.«
'Verdammt!' Dann auf einmal eine Explosion. Ben blickte erneut aus seiner Deckung. Irgendetwas hatte Gongs Fahrzeug getroffen. Es lag auf der Seite und entwickelte starken Rauch.
»Was war das?«, rief Ben zu Tracy.
»Granatwerfer!«, meinte sie trocken. Dann knackte es in Benjamin's Intercom: »Ben, der Transporter steht unter starken Beschuss. Technikerin kann dort nicht weg. Könnt ihr von eurer Position etwas machen?« Es war Beraters Stimme.
Ben blickte zu Tracy. Sie hatte mitgehört und sagte zu Ben: »Wir arbeiten daran.«
Ben sprach ins Mikro: »Geht gleich los.« und dann zu Tracy: »Was hast du vor?«
»Ich kann das Maschinengewehr von hier ausschalten.« Sie deutete mit der Hand in die entsprechende Richtung: »Es wird einen Moment dauern, bis der Gegner meine Stellung erkannt hat und unter Beschuss nimmt. In dieser Zeit musst du den Transporter erreichen und Technikerin dazu bringen, das Fahrzeug herumzudrehen. Dann könntet ihr euch mit optimaler Deckung zur SIEGLINDE zurückziehen.«
Benjamin riss die Augen auf: »Ich soll da raus?«
»Jepp. Oder ich mach das und du schaltest das MG aus und hältst hier die Stellung.« Sie hielt ihm ihr Gewehr hin: »Aber wenn du nicht triffst, reiße ich dir den Arsch auf.«
»Schon gut.« Ben zog seinen Revolver und holte tief Luft: »Sag' Bescheid, wenn es losgehen kann.«
Tracy legte den Gewehrlauf auf den Betonsockel, visierte ihr Ziel an und nahm letzte Einstellungen am Zielfernrohr vor. Dann schoss sie zweimal und rief dann: »Los. Los.«, ohne von ihrem Ziel abzusehen.
Ben rannte los. Hinter ihm knallte es noch einige Male, als Tracy weitere Ziele angriff. Rein akustisch schien der feindliche Beschuss merklich abzunehmen. Ben rannte auf den Transporter zu, sah aber dann neben dem abgeschossenen Dreiachser Gong im Dreck liegen. Vermutlich bewusstlos und nicht tot, weil dann wäre bereits seine verdammte Bombe im Schiff explodiert.
Ohne nachzudenken änderte er seine Laufrichtung und lies sich neben Gong fallen. Ben untersuchte ihn nach Verletzungen, fand aber keine, bis auf eine Schramme am Kopf. Dann fiel ihm erst auf, dass neben ihnen Kugeln einschlugen. Kurzentschlossen packte er den kleinen Kerl (er war schwerer, als er aussah) am Kragen und zog ihn in die relative Sicherheit hinter den Metallcontainer auf dem Transporter.
Ben's Ankunft und der zeitweilig nachlassende Beschuss hob Technikerin's Moral. Als er ihr erklären wollte, was zu tun sei, meldete sich Thora über Intercom: »Da kommen zwei Typen auf euch zu. Vom Schiff aus gesehen rechts.«
'Auch das noch', dachte Ben: »Tracy, siehst du sie?«, rief er ins Mikro.
»Negativ. Kein Schussfeld.«, war die knappe Antwort.
Benjamin schob sich an den Rand des Containers schaute vorsichtig um die Ecke. Tatsächlich! Zwei dunkle Gestallten arbeiteten sich an ihre Stellung heran. Er riss den Revolver hervor und schoss die Trommel in diese Richtung leer. Es war kaum zu erwarten, dass er auf diese Entfernung getroffen hatte. Ihre Angreifer lagen jedoch am Boden, vermutlich aber nur um Deckung bemüht. Dann drehte er sich zu Technikerin und sagte ihr mit Händen und Füßen, dass sie wieder in die Führerkanzel springen und den Transporter samt Container um 180 Grad drehen soll. Währenddessen meldete sich Tracy: »Liege unter Beschuss. Muss demnächst Stellung wechseln. Kann nicht mehr lange Feuerschutz geben.«
Technikerin hatte Benjamin verstanden und lief los, während die beiden Sahlemer Soldaten verzweifelt und mehr oder weniger planlos in die Gebäude vor ihnen schossen. Mit zitternden Händen lud Benjamin seinen Revolver.
Tracy hatte recht gehabt: Das Überraschungsmoment ihres Angriffs war schnell vorbei und das feindliche Feuer nahm wieder an Intensität zu. Gerade rechtzeitig hatte Technikerin das Gefährt drehen können und nun befanden sich alle wieder im Feuerschutz des Containers. Die ehemalige Vorderseite der Box war von vielen Kugeln durchlöchert und eingedellt.
Langsam fuhr sie nun den Transporter zurück zur Rampe der SIEGLINDE. Gong war mittlererweile wieder bei Bewusstsein und konnte mit kurzen Trippelschritten der Bewegung des Fahrzeugs folgen. Der Beschuss steigerte sich noch einmal, jedoch fanden mit größeren Abstand immer weniger Geschosse ihr Ziel.
An der Rampe angekommen, rannte die Sahlemer in den Schutz des Laderaums. Aber es gab ein neues Problem: Als Technikerin auf die Rampe fuhr, drohte der Container durch die schräge Fahrfläche ihr von der Gabel zu rutschen. Sie hätte den Transporter draußen um 180 Grad drehen und die Rampe vorwärts herausfahren müssen, aber das wäre unter den gegebenen Umständen ein zu hohes Risiko gewesen. Technikerin sah zu Benjamin und er gab ihr zu verstehen, dass sie den Container von der Gabel kippen sollte. Als dieser nun vor dem Schiff auf der Seite lag und sie den Transporter die Rampe hoch steuerte, rief Benjamin in das Intercom: »Tracy? Wo bist du?«
»Komme schon.« Einige Sekunden später hechtete sie an dem Container vorbei die Rampe hinauf.
»Brücke. Wir sind alle an Bord. Rampe zu und weg.«
»Alles klar.«, bestätigte Thora Benjamin. Noch während die Rampe sich schloss, hob die SIEGLINDE bereits ab.
»Thora, gehen sie auf zwanzig Meter Höhe und setzen sie um einhundert Meter zurück.« Sie fragte sich, was der alte Vargr vorhatte, als sie das Schiff in die gewünschte Position steuerte.
»Neigen sie den Bug um zehn Grad nach unten.«
Jetzt ging ihr ein Licht auf.
»Scott? Haben sie ein freies Schussfeld?«
»Positiv!«
»Feuerfreigabe auf den Container. Ein Treffer müsste genügen.«
»Aye, Sir. Schon erledigt.«
Berater war etwas verwirrt, denn der Container lag noch immer auf der Betonpiste, durchlöchert, aber ansonsten unbeschadet! Einige dunkle Gestalten bewegten sich darauf zu.
Dann zuckten zwei Laserlanzen und trafen den Container exakt mittig. Es gab eine große Stichflamme. Die extreme Hitze hatte von dem Container und seiner Ladung kaum etwas übrig gelassen.
Für Thora war das nun der Abschluss dieser Aktion. Für Scott war es einfach nur ein großer Spaß, für Berater standen aber operative Beweggründe im Vordergrund, wollte er doch so verhindern, von Gong zu einer wilden Bergungsmission gezwungen zu werden.
Was in dieser Nacht genau geschehen war, würden sie wohl nie erfahren. Anscheinend wurden die Sahlemer von ihren 'Geschäftspartnern' hintergangen. Von Gong bekamen sie jedenfalls keine weiteren Informationen. Er und seine Leute verschwanden in ihre Kabinen, nachdem sie wieder an Bord waren. Nur in einer kurzen Anweisung über Intercom forderte Gong Berater auf, Athana Starport schnellstmöglich anzufliegen, um sie dort abzusetzen. Sie würden dort mit einem staatlichen Transporter wieder zurück nach Sahlem reisen. Das ließ sich der alte Vargr nicht zweimal sagen - umgehend war ein Parabelkurs programmiert.
Der Flug dauerte einige Stunden. Benjamin wählte eine flache Flugbahn und erschwerte damit die Ortung ihres Schiffes vom Orbit aus. Langsam kam das hell erleuchtete Areal des Raumhafens in Sichtweite.
Im Gegensatz zu ihren Untergebenen hatte Emilia Mendez an Bord eines Schiffes der Raumflotte als kommandierender Offizier eines Einsatzkontingents Anspruch auf eine Einzelkabine. Mannschaften und Unteroffiziere mussten sich hingegen den Platz einer Einzelkabine zu zweit oder gar zu dritt teilen. Sie saß missmutig an ihrem kleinen Arbeitstisch und blätterte gelangweilt in den Systemdaten ihres nächsten Zieles: Athana.
Mendez spürte ein vertrautes Vibrieren des Schiffes - es war gerade aus dem Hyperraum gefallen. Das Intercom meldete sich: »Brücke an Captain Mendez. Haben den Hyperraum verlassen. Erreichen Athana in knapp drei Stunden.«
»Mendez, hier. Bereiten sie eine Verbindung zur Verkehrskontrolle vor. Ich möchte ...« »Das ist nicht möglich.«, wurde sie unterbrochen: »Athana Verkehrskontrolle hat keinen Comlink nach hier draußen. Wir müssen warten, bis wir im Orbit sind.«
Wütend unterbrach Mendez die Verbindung. 'Das fängt ja gut an!'
Captain Mendez kommandierte das zwölfköpfige Marinekontingent auf dem Imperialen Patrouillenkreuzer FIREFLY. Das wiederum wurde von Kapitän Kinney von der Raumflotte geführt. Mendez verfolgte seit Wochen verbissen eine Ladung gestohlener Waffen aus Imperialer Produktion und vermutete diese auf einem Vargr-Transportschiff der Princess-Gunnhilde-Klasse. Das Schiff hieß angeblich SIEGLINDE, was aber keine große Hilfe war, denn die Vargr benutzten gewöhnlich für die Beschriftung ihrer Schiffe ihre eigene Schrift.
Kurz vor dem Einschwenken in den Orbit war Mendez auf der Brücke und sah auf die Scanner. Es würde schwer werden, hier ein Schiff zu finden. Der Bildschirm zeigte ein Dutzend Kontakte in unmittelbarer Nähe und weitere weit draußen.
Sie scheuchte den Com-Operator von seinem Platz und übernahm seine Kontrollen: »FIREFLY an Verkehrskontrolle Athana.«
»Verkehrskontrolle Athana. Was kann ich für sie tun?« Ein dicker Mann mit kugelrunden Glatzkopf erschien auf den Bildschirm. Sein gezwirbelter Schnurrbart schien einige Nummern zu groß zu sein.
»Ich bin Captain Mendez, Imperiale Marine, Sektion 'K'.«
Der Schnurrbart zuckte nervös: »Oh. Operator Loganov. Was kann ich für sie tun?«, wiederholte er und versuchte ein unschuldiges Lächeln, wodurch sein Schnurrbart nur noch mehr zuckte.
»Ich suche nach einem Schiff der Princess-Gunnhilde-Klasse. Möglicherweise trägt es den Namen SIEGLINDE. Ich habe keine Transponderkennung.« Außerdem verfügten die meisten Schiffe dieser Klasse über eine identische Lackierung, was die Sache nicht einfacher machte.
»Oh.« Er räusperte sich: »Ja, das kann ein Problem werden. Zur Zeit haben wir ...«, er blickte auf eine Anzeige vor sich außerhalb ihres Sichtfelds und zählte tonlos: »... knapp vierzig Schiffe hier liegen und weitere vierzig sind fahrplanmäßig im An- oder Abflug oder im Orbit.« Er fing an zu schwitzen: »Und etwa ein Drittel davon sind Gunnhildes.« Er versuchte ein beschwichtigendes Lächeln.
Mendez holte tief Luft: »Operator. Schicken sie mir diese Liste.«
Loganov sah sie verständnislos an: »Ja, also. Captain, ich, ähhh ...«
Sie spürte, wie ihr Geduldsfaden anriss: »Operator, wo ist das Problem? Die Liste! Sofort!«
Loganov griff zu einem Gegenstand außerhalb ihres Blickfelds und hielt diesen in die Com-Kamera: »Können sie es lesen?«, sagte er mit zittriger Stimme. Es war ein Klemmbrett mit einer handgeschriebenen Tabelle.
Mendez lief rot an. Kapitän Kinney übernahm schnell von ihrer Kommandokonsole aus die Com-Kontrollen: »Operator Loganov. Können sie uns die Daten in unseren Computer überspielen?«
»Nein. Wie denn?«
»Verfügen sie überhaupt über ein Computersystem?«
Loganov wedelte verzweifelt mit dem Klemmbrett: »Nein. Wir haben nur das hier. Also nicht nur das - auch andere. Und Bücher in denen wir alles eintragen ...«
»Schon gut, Loganov. Ich habe verstanden.« An Mendez gewandt sagte sie: »Captain, ich schlage vor zu landen und es vor Ort zu klären.« Mendez stand wortlos auf und verließ die Brücke. Kinney wertete es als ein 'Ja'.
Alle auf der Brücke grinsten, einschließlich Kinney. Loganov fand es allerdings nicht so lustig.
Athana ist eine technologisch rückständige Welt. Meist verfügten auch Raumhäfen strukturschwacher Planeten über rudimentäre Computersysteme und leistungsfähige Com-Anlagen. So aber nicht hier. Trotzdem kam man bislang mit diesem archaischen Erfassungssystem durchaus klar.
»Wow!«, sagte der Sensormaat am Bord der FIREFLY mit Blick auf die Satellitenansicht des Raumhafens: »Ganz schön was los hier. Hätt' ich nicht gedacht.«
Kapitän Kinney sagte dazu nichts, war aber auch einigermaßen beeindruckt: »Also dann. Augen offen halten.«
»Aye, Kapitän.«
45 Minuten später landete die Jumper, das Beiboot der FIREFLY, mit Captain Mendez und einer Einsatzgruppe auf einer Parkposition des Raumhafens. Den Kreuzer ließ sie in einem tiefen Orbit. Nach Planetenzeit war es gerade kurz nach Mitternacht des 22 Stunden-Tags. Natürlich war die Hafenanlage hell erleuchtet und es herrschte reger Betrieb in den Servicebereichen.
Sie erreichten Athana nur unwesentlich später als die Jumper. Ben landete die SIEGLINDE auf einer freien Landefläche im Servicebereich - das war zwar erheblich teurer - dort waren die Landeplätze aber stark frequentiert und Berater hoffte dadurch in dieser Menge unauffälliger zu sein. Da stand auch das Schiff, dass Gong und seine Leute wieder nach Sahlem zurück bringen sollte.
Die Landung am Athana Starport verlief erfrischend unkompliziert, wie es die Systemdaten bereits vermuten ließen. Zuweisung der Landezone, landen, fertig. Keinerlei Inspektionen, elektronische Kontrollen und ein Minimum an oberflächlicher Datenerfassung.
Gong verließ unmittelbar nach der Landung ohne jedes weitere Wort die SIEGLINDE - mit seiner Triggerbombe, wie Ben erleichtert feststellte. Er und Berater gingen zum Servicebereich des Raumhafens; einmal um - zur Wahrung des Scheins - das Auftanken des Schiffs veranlassen und Transportaufträge und den Ankauf von Spekulationsware zu prüfen.
Auf dem Weg dorthin bemerkten sie allerdings einige Imperiale Marinesoldaten, die auffällig unauffällig nach etwas oder jemanden suchten. Alarmiert brachen sie kurz entschlossen ihr Vorhaben an und gingen zügig zur SIEGLINDE zurück. Noch bevor sie das Schiff betraten, wies Berater Thora auf der Brücke an, den Start vorzubereiten.
»Ich hab' sie.«, zischte Corporal Sabin Coen in ihren Kommunikator. Nach der Landung und nach einem anstrengenden Gespräch mit dem armen Operator Loganov hatte Mendez' Coan und ihre Gruppe auf dem Raumhafen ausschwärmen lassen und nach einer Princess-Gunnhilde mit markantem Backbordschaden zu suchen.
»Da gehen Leute von Bord. Sahlemer. Vier oder fünf.«
»Sahlemer?«, fragte Mendez etwas ungläubig über Funk.
»Positiv. Sie gehen gerade in Richtung Hauptplaza.«
»Und das Schiff?«
»Eindeutig eine Gunnhilde mit Schäden an Backbord. Name kann ich nicht lesen - ist auf vargr.«
Coen blickte wieder zu der Sahlemern, die sich langsam vom Landeplatz entfernten: »Soll ich sie anhalten?«
»Nein. Verfolgen sie diese Leute. Mal sehen, wo die hinwollen. Ich komme ihnen entgegen.«
Coan heftete sich den Sahlemern an die Fersen. Die Verfolgung erwies sich als nicht allzu schwierig - auch zu dieser Nachtzeit wimmelte es hier vor Menschen, Vargr und sogar einigen Aslan, die alle ihren eigenen Geschäften nachgingen.
Auf der Plaza kam ihr Mendez mit zwei Marines und Loganov entgegen. Coan zeigte mit einer auffälligen Kopfbewegung auf die fünf Sahlemer, die einige Meter vor ihnen gingen.
»Gute Arbeit, Corporal. Gehen sie zur Jumper zurück. Ich übernehme jetzt.«
Gong traf auf der Plaza einen weiteren Sahlemer, der mit seiner grau-gehaltenen Gewandung irgendwie wichtig aussah.
»Wer ist das, Loganov? Kennen sie den?«, fragte sie den Operator unwirsch.
»Das ist Kungeen, eine Art inoffizieller Botschafter des Patriarchen von Sahlem hier auf Athana.«
Die Sahlemer unterhielten sich einige Minuten. Dem Anschein nach erhitzte sich das Gespräch und Kungeen ließ Gong stehen und zog - wie es aussah - wütend ab.
»Loganov. Hinterher. Fragen sie den Typen, was da los war.«
»Okay.«
Mendez beobachtete weiterhin die Gruppe um Gong, die sich wieder in Bewegung setzte. Sie ging mit ihren Leuten unauffällig hinterher. Nach einer Minute gesellte sich Operator Loganov atemlos wieder zu ihnen: »Kungeen erzählte ... es handelt sich um eine ... diplomatische ... Delegation.«
»Diplomatische Delegation?«
»Ja... die haben Bericht erstattet ... und sind wieder zum Schiff. Wenn sie mich fragen ...«
»Tue ich nicht!«, unterbrach Mendez den Operator grob. 'Diplomatische Delegation!', dachte sie verärgert, 'Wer es glaubt, wird selig!'
Mendez, Loganov und die Marines verfolgten die Gruppe weiter zu einem Landeplatz, auf den eine Gunnhilde stand. Sie blieben in einigen Abstand zurück, um nicht weiter aufzufallen. Gong und seine Leute stiegen ein. Wenig später liefen die Triebwerke an.
»Sergeant Kloos? Hören sie mich?«, sprach sie in ihren Kommunikator. Der bullige Glatzkopf war auf der Brücke der FIREFLY geblieben, die in einem nahen Orbit stationär über den Raumhafen schwebte: »Laut und deutlich, Captain.«
»Unsere Gunnhilde startet in diesem Moment. Wenn sie den Orbit verlässt, stoppen und entern sie das Schiff Besatzung und Passagiere festnehmen. Ich bin auf den Weg zu ihnen.«
»Aye, Captain. Kloos aus.«
Mendez sah noch einem Moment dem startenden Schiff hinterher, wandte sich dann ab und rannte zur Jumper.
Die Startformalitäten und Prozeduren waren genauso einfach und problemlos wie bei der Landung. Zu Benjamin's Überraschung wartete im Orbit immer noch der Patrouillenkreuzer. Da sie aber nichts anderes tun konnten, flogen sie einfach weiter. Der Kreuzer scannte sie routinemäßig und dann geschah ... nichts.
Sie folgten ihren ursprünglichen Plan und flogen um Aufzutanken den nächstgelegenem (aber weit entfernten) Gasriesen an. Die Anwesenheit des Imperialen Kreuzers mochte ihnen ihre anderen Verfolger vom Hals halten und die hohe Raumschiffsfrequenz gab ihnen zusätzlichen passiven Schutz.
Kurz nachdem die Princess-Gunnhilde, das Schiff, das Gong und seine Leute wieder nach Sahlem bringen sollte, Athana's Orbit verließ, wurde es von der FIREFLY angehalten und von Sergeant Kloos und seinen Leuten vorschriftsmäßig geentert.
Kurzerhand hatte er Gong, seine Soldaten und die Besatzung des Schiffes im Laderaum zusammen getrieben und von schwer bewaffneten Marines bewachen lassen - unter lauten Protest von Gong und dem Kapitän der FRIDERIKE. Währenddessen durchsuchten seine Leute das Schiff, einschließlich seiner Ladung und einer Handvoll Containern.
Als Mendez' Beiboot die FRIDERIKE erreichte, schwante ihr nichts Gutes. An der Backbordseite des Schiffes war kein Schaden zu entdecken. Ein Seitenblick auf Coan zeigte, dass auch sie sich das nicht erklären konnte. Kurz vor dem Anlegen rief sie die Brücke der FIREFLY. Sollte der Idiot Kloos das falsche Schiff gestoppt haben?: »Mendez an FIREFLY. Ist es das richtige Schiff?«
»Hier FIREFLY.« Mendez erkannte Kinneys Stimme: »Es ist DAS Schiff, welches uns IHR Sergeant als Operationsziel angewiesen hat.«
Die FIREFLY hatte an der Steuerbordseite der FRIDERIKE angelegt. Das Beiboot dockte an und Mendez betrat über den Kreuzer die Gunnhilde. Als sie das betretene Gesicht ihres Sergeants sah, wusste sie, dass etwas schief gelaufen war.
Die anschließende Untersuchung und Befragung ihrer Crew erhärtete nicht Mendez' Verdacht, dass Coan oder Kloos Mist gebaut hatten. Es schälte sich allerdings bald heraus, dass die Sahlemer mit EINER Princess-Gunnhilde angekommen, aber mit einer ANDEREN wieder abgeflogen waren. Der Fehler war also Mendez' unglückliche Übernahme der Observierung und ihr abwartendes Verhalten. Kein Marine sprach es aber offen aus! Nur bei der Raumflotten-Crew der FIREFLY machte es zur allgemeinen Erheiterung die Runde.
Der angerichtete diplomatische Flurschaden war jedoch hoch. Die Sahlemer wollten einen scharfen Protest bei der Subsektorregierung ob dieser Behandlung - erst recht mit Blick auf ihren diplomatischen Status - einlegen. Mendez hatte nicht das Recht zu dieser Untersuchung auf ihrer Seite, aber bei den Marines heiligt der Zweck die Mittel. Nur hatte sie aber leider nichts gefunden, was sich irgendwie für ihre Mission verwenden ließ. Sie war sich 100% sicher, dass die Sahlemer auf die eine oder andere Art ihre Finger mit im Spiel hatten, aber nach der ruppigen Durchsuchung des Schiffes war die Kooperationsbereitschaft der Sahlemer deutlich im Minusbereich.
Von Loganov erhielten sie anschließend einige wenige Auskünfte über ein Schiff, dass kurz vor der Frederike den Raumhafen verlassen hatte: Lande- und Startzeit, keine Beanspruchung von Serviceleistungen. Das Schiff hieß angeblich 'SIEGLINDE'. Skipper und Eigentümer waren Vargr mit Namen, die sie noch nie gehört hatte. Allerdings waren alle Namen mit Vorsicht zu genießen, denn eine Identifikation durch die Behörden fand - wie üblich auf Athana - nicht statt. Auch gab es keinerlei Aufzeichnungen wie Flugpläne oder gar Transponderprotokolle oder Videomaterial. Mendez war in ihrer Mission kaum ein Schritt voran gekommen.
Als die FRIDERIKE ihren Sprungpunkt nach Sahlem erreichte, hatte sich Aufregung und Ärger noch nicht gelegt. Gong saß alleine in seiner Kabine und grübelte über sein Versagen auf Athana und seiner Zukunft auf Sahlem. Er hatte vor, es irgendwie der Crew der SIEGLINDE in die Schuhe zu schieben. Diese hätten dann ein mächtiges Problem, denn der Patriarch von Sahlem hatte subsektorweit viele Kontakte.
Als der Countdown zum Sprung in den Hyperraum lief, fiel ihm siedend heiß etwas ein.
Nach dem überstürzten Start verlief an Bord der SIEGLINDE alles planmäßig. Natürlich war Prinz nicht sehr davon angetan, weitere Tage durch das Anfliegen eines Gasriesen zum Auftanken zu verlieren. Aber auch Berater erschien es als zu riskant, auf einem Raumhafen herumzulaufen, wo Imperiale Marines herumlungerten.
Benjamin und Berater saßen auf der Brücke und berieten sich über den Kurs zu ihrer Tankstelle. Da fiel Ben etwas ein. Er zog theatralisch einen kleinen Gegenstand aus seiner Tasche.
»Ist das nicht Gongs Fernbedienung für seine Bombe?«, fragte Berater.
»Yeah. Ich habe sie ihm aus der Tasche gezogen, als er bewusstlos auf dem Landefeld lag.«
Berater zog die Leffzen hoch: »Sagte Gong nicht, dass die Bombe aktiviert wird, wenn der Sender sich zu weit von ihr entfernt?«
»Japp.«, sagte Ben und grinste gehässig.
Gong tastete seine Taschen ab und schrie dann ins Intercom: »Sprung abbrechen. Sofort.« Da fühlte er schon das Vibrieren des Sprungantriebs.
Die Bombe an sich hatte nicht genügend Sprengkraft, um das Schiff vollständig zerstören zu können. Im laufenden Betrieb des Sprungtriebwerks führen die so entstandenen Schäden allerdings zwangsläufig zu einer Destabilisierung der Warpblase und das geht nie gut!
Autor: Matthias Stilke
Geschrieben: März 2025

