Veröffentlicht: 17.04.2021. Rubrik: Persönliches
Kurzgeschichte – Fantasie: Einbruch
„Ist der Platz frei? Darf ich mich setzen?“ fragst du mich mit winkender Gestik, als du zu mir in den Zug gestiegen bist. Ich hätte dich vermutlich durch meine laute Musik, die über meine Kopfhörer läuft, nicht wahrgenommen. „Ehm, ja klar. Setzen Sie sich!“ reagiere ich etwas verzögert, peinlich berührt und dennoch höflich und zurückhaltend. Ziemlich ungeschickt habe ich mir, beim Versuch schnellstmöglich zu reagieren, einen meiner Kopfhörer in meinen Haaren verwirrt. Im Hinterkopf, was du wohl nun über mich denken musst, spiele ich an meinen Haaren um den Kopfhörer von meiner Mähne zu befreien. Gerade als ich es geschafft habe und mich wieder auf meine Gedanken und Musik konzentrieren möchte, sprichst du mich erneut an: „Ziemlich langes Haar. Macht viel Arbeit und ist auch ein bisschen unpraktisch, oder?“ Dein freches Schmunzeln auf den Lippen, während du deine Feststellung provokant äußerst, schafft es mich zu verunsichern. Ehe ich mich verteidigen konnte, ergänzt du leiser: „Aber all die Komplimente, die du für deine schönen, langen Haare bekommen musst, machen den Ärger wieder wett. Immerhin haben die Leute, die so etwas zu dir sagen, Recht. Du siehst wirklich sehr schön aus mit dieser Pracht an Haaren, das weißt du hoffentlich.“ Ich lache verlegen und trau mich fast gar nicht dir in die Augen zu schauen. Nach all den Leuten, die mir ebenfalls Komplimente gemacht haben, habe ich es immer noch nicht gelernt mit diesen vernünftig umzugehen. Mehr als mit einem aufrichtigen Danke und einem Lächeln schaffe ich es nicht zu reagieren. Das scheint dich aber nicht zu stören. Du merkst, dass hinter dem schüchternen Mädchen eine zurückhaltende, junge Dame steckt, die zwar mehr aus sich machen könnte, aber mit diesem Auftreten sich selbst am treusten ist. Weiter verwickelst du mich in ein Gespräch. Wir reden über einen längeren Zeitraum als wären wir schon Ewigkeiten miteinander vertraut. Während der Zug weiterfährt, meine Musik nur sehr leise, durch die Kopfhörer auf meinem Schoß, wahrnehmbar ist und all die anderen Personen nebensächlich wurden, vergessen wir die Zeit. Ich realisiere fast zu spät, dass ich aussteigen muss, doch dadurch, dass du die Türen blockiert hast, hatten wir noch genug Zeit um unseren Handynummern auszutauschen. Völlig von meinen Gefühlen der letzten Minuten überwältigt laufe ich glücklich in Richtung meiner Wohnung. Ich will es mir zwar nicht eingestehen, aber deine Ausstrahlung hat bei mir einen deutlichen Eindruck und leichte Sehnsucht hinterlassen.
Lange musste ich auf die erste Nachricht von dir nicht warten. Dir ist bewusst was für eine Wirkung du auf mich hattest. Dass ich dir sehr schnell geantwortet habe, wundert dich daher eher weniger. Meine Nervosität amüsiert dich. Aufgeregt laufe ich im Zimmer auf und ab. Du kannst deutlich erkennen, wie mein Schatten an der Wand von rechts nach links wandert und wieder zurück. Es spielt dir in die Karten, dass meine Wohnung nicht all zu hoch liegt. Du hast den perfekten Blick in mein Schlafzimmer, obwohl du auf der anderen Straßenseite stehst. Meine Verlegenheit vergnügt dich. Dadurch, dass ich am Bahngleis nicht mehr in deine Richtung zurückgeschaut habe, habe ich nicht gemerkt, dass du ebenfalls an meiner Haltestelle ausgestiegen bist. Du bist mir gefolgt. Meine Aufregung hat mich die verfolgenden Schritte ausblenden lassen. Meine Naivität erregt dich. Deine aufgestellte Falle hat funktioniert. Ich bin ohne groß zu zögern reingetappt. Das perfekte Opfer für dein geplantes Vorhaben.
Immer wieder kommst du zu meiner Wohnung zurück. Nicht viel Zeit verging, doch genug um allmählich meine Gewohnheiten zu kennen. Da ich dir auch noch freudig übers Telefon erzähle, wann und wo ich unterwegs bin, hast du ein sicheres Zeitfenster um in meine Wohnung einzusteigen. Dies kommt dir ganz gelegen, denn es schüttet heute wie aus Eimern. Leicht klamm betrittst du meine Wohnung und verschaffst dir einen Überblick. Die Aufteilung der Zimmer, die vorhandenen Fenster und den Ausblick aus diesen. Nach all den Vorbereitungen hast du Zeit durch meine persönlichen Gegenstände zu stöbern. Interessiert durchsuchst du meine Schubladen, betrachtest meine Fotos an den Wänden und meine Kuscheltiere auf dem Bett. Fast schon klischeehaft wie mädchenhaft dieses Zimmer gestaltet ist. Angekommen im Bad vermerkst du die große Eingangstüre im Treppenhaus. Ich sollte eigentlich erst in ein paar Minuten kommen, doch du kannst nicht vorsichtig genug sein. Durch den Regen bin ich den Weg vom Bahnhof aus nach Hause gelaufen und habe ein bisschen Zeit gewonnen. Durchnässt und durchgefroren betrete ich die Wohnung und merke nicht, dass ich nicht allein bin. Ich befreie mich aus meinen Schuhen und gehe in Richtung Badezimmer. Gut, dass du dich für einen anderen Raum entschieden hast, ansonsten hätte das ganz anders ausgehen können. Ich trockne meine nassen Haare mit einem Handtuch und versuche die triefenden und dadurch engen Klamotten loszuwerden. Du musst schmunzeln, als du meinen Schatten stolpernd durch die Wohnung laufen siehst. Auf einem Bein ziehe ich mir die Hose aus, die sich ohnehin auch schon trocken schlecht ausziehen lässt. Leicht bekleidet öffne ich die Türe zu meinem Schlafzimmer, um Wechselklamotten rauszusuchen. Ich bemerke, dass die Bilder, die du zuvor voller Neugier betrachtet hast, nicht mehr an der Wand hängen, sondern gestapelt auf dem Tisch liegen. Ich brauche einen Moment um dies vollkommen zu realisieren und zu verstehen: der perfekte Moment für dich um mich von hinten zu packen.
Ich spüre dich. Du umschlingst mich von hinten und drückst mir deine warme Hand auf meinen Mund, damit ich nicht weglaufen und nicht schreien kann. Ich rieche dich. Der Duft kommt mir bekannt vor, doch ich bin mir unsicher mit wem ich diesen in Verbindung bringen soll. Es bringt mich zum Nachdenken, sofern ich dazu in der Lage bin. Ich sehe dich. Plötzlich realisiere ich die Spiegelung im Schlafzimmerfenster. Es dämmert mittlerweile, weshalb ich deine Silhouette schwach erkennen kann. Dein Spiegelbild schaut mir direkt in die Augen. Ich erstarre als ich begreife wer hinter mir steht. Du musst grinsen, als du die Furcht in mir aufsteigen siehst.
„Wenn du dich nicht wehrst, könnte es für uns beide schön werden“, flüsterst du in mein Ohr. Immer noch mit dem Blick Richtung des Fensters in meine Augen. Ich spanne meine Muskeln an und versuche mich loszureißen. Vergeblich. Dein fester Griff von hinten hat mich fixiert. Dir ist bewusst, dass ich nicht so leicht aufgeben werde. Ich merke wie eine gewisse Wut über mich selbst in mir aufsteigt. Wie konnte ich nur so naiv gewesen sein? Ich schaue mich im Zimmer nach Gegenständen um, die mir hilfreich sein könnten. Vergeblich. Du hast zuvor ganze Arbeit geleistet und alles beiseite geräumt, was für dich gefährlich werden könnte. Weiter versuche ich mich zu drehen und mein Blickwinkel zu erweitern. Das wird dir scheinbar zu unangenehm und du führst mich vorsichtig weiter ins Zimmer rein. Hinter dir schließt du die Tür. Mir wird bewusst, dass es für mich schwerer wird, dir zu entkommen. Du lässt von mir ab. Ich stehe steif im Raum und muss meine Gedanken sortieren. Die beste Möglichkeit irgendetwas zu packen und mich zu wehren, nur was? Das Klicken reißt mich aus meinen Gedanken und ich drehe mich rasch um. Hast du die Tür abgeschlossen? Aber ich könnte immer noch schreien! Als könntest du meine Gedanken lesen schaust du mich finster an und schüttelst den Kopf. „Wag es dich nur einmal und ich bin nicht mehr so rücksichtsvoll zu dir“, sagst du mit sanfter Stimme, gelassen, während du mich von oben bis unten musterst. Ich hätte fast vergessen, dass ich nur halb angezogen vor dir stehe. Vor Schamgefühl versuche ich meine Arme vor meinen Brüsten zu verschränken. Dies entlockt dir ein Lachen. Je mehr Schritte du auf mich zugehst, desto stärker versuche ich mich zu verstecken. Da ist sie wieder. Diese schüchterne und verlegene Seite, die mich daran hindert, dich anzuschauen. Du packst mich an meinem Kinn und drehst meinen Kopf, so dass ich gezwungen bin dir in die Augen zu schauen. Mein Blick wandert Richtung Boden. „Guck mich gefälligst an“, zischt du in meine Richtung. Daraufhin schließe ich erst für kurze Zeit meine Augen und blicke danach langsam nach oben in dein Gesicht. Du erkennst plötzliche Patzigkeit in meinen Augen und erwartest eine möglicherweise ausfallende Reaktion. Ich sammle all meinen Mut zusammen und zische nur „Denkst du, dass ich mir von dir etwas sagen oder gefallen lasse?“ entgegen, in der Hoffnung, dass mein Auftreten Eindruck hinterlässt und du deswegen von mir ablassen würdest. Du zögerst mit einer Reaktion, was in mir Hoffnung erweckt, dass mein Plan funktioniert hat. Innerlich triumphierend und selbstsicher versuche ich den Schlüssel an mich zu reißen und der Situation zu entkommen. Du reagierst noch bevor ich in die Nähe des Schlüssels gelange, du packst mich forsch am Arm, drehst mir diesen auf den Rücken und drückst mich gegen die Wand. Mein Gesicht wird förmlich zwischen Wand und deinem Körper zerquetscht. Ich spüre meinen beschleunigten Puls und nehme nur gedämpft war, dass du in ruhigem Ton „Ich habe dich gewarnt“ sagst.