geschrieben 2020 von Robert Poster (Robert Poster).
Veröffentlicht: 30.04.2020. Rubrik: Unsortiert
Der Corona Streit
Der Corona Streit
»Wo willst du denn hin?«
Meine Mutter war zu neugierig! Ständig wollte sie wissen, was ich mache oder wo ich hingehe. Dabei bin ich letzten Monat 17 Jahre alt geworden. Noch ein Jahr bis zur Volljährigkeit, dann bestimme ich selbst über mein Leben. Das waren in etwa meine Gedanken, als meine Mutter mich ansah.
»Ach, nur ein paar Kumpels treffen. Nüscht weiter!«
»Nur ein paar Kumpels treffen? Junge. Der Virus. Denk an die Seuche. Damit ist nicht zu spaßen.«, warnte meine Mutter.
»Ach, det is doch keine Seuche. Det ist ne Pandemie. Haben se doch in den Nachrichten gesagt.«
»Es ist trotzdem gefährlich da draußen.«
Wortlos sah ich meine Mutter an. Sie trat auf mich zu und richtete mein Pullover. Ich senkte meinen Kopf beschämt zu Boden. Ich hasste es, wenn sie sowas tut und das wusste sie auch. Aus dem Wohnzimmer konnte ich das Brüllen meines Stiefvaters hören.
»Nicht so gefährlich, wie zu Hause.«, warf ich ein, konnte meinen Blick aber nicht vom Boden lösen.
»Wie meinst du das denn?«, wollte Mutter wissen.
»Weßt de doch!«, kommentierte ich trotzig.
»Nein weiß ich nicht.«
Obwohl die Stimme meiner Mutter mich eigentlich beruhigen sollte, wühlte sie mich innerlich nur noch mehr auf. Ich fühlte die Wut aufkommen. Ignorierte Mutter mit Absicht, was zu Hause geschah? Aus dem Wohnzimmer schrie mein Stiefvater nun noch lauter. Jemand solle ihm gefälligst sein Bier bringen. Das übliche Verhalten halt.
»Warum lässt de dir dat gefallen?«
»Er hat eine schwierige Phase. Das ist nicht dein Problem, Junge.«, erklärte Mutter mir. Sie war 37. Ich fand sie eigentlich ganz hübsch. Manchmal, da stellte ich mir abends vor ... ich meine ... wenn sie kleidungslos aus der Dusche kam. Sie schien sich in meiner Gegenwart nicht zu schämen, wenn ich sie nackt sehen konnte. Und dann kamen mir diese Gedanken. Einfach so. Ich weiß, es ist nicht richtig, aber was konnte ich dagegen schon machen?
»Er hat doch immer eine schwierige Phase. Sonst würde er dich nicht ständig schickanieren, wenn du ihn kein Schnaps bringst.«
Ich pöbelte meine Mutter aufgebracht an. Sie gab mir eine Ohrfeige, ich wendete meinen Blick von ihr ab und hielt mir die Wange. Normalerweise würde ich meinen Blick jetzt nicht nur abwenden, sondern einfach gehen. Und am Abend für mein Verhalten vielleicht eine weitere Ohrfeige kassieren. Von ihm.
»Du sagst in letzter Zeit, ick soll mir ansehen, was Corona aus der Welt macht. Und weußt de wat, Mama? Det ist nicht Corona. Det Problem gabs schon immer in unserer Familie. Er trinkt. Du guckst zu. Er weiß nicht, was er machen soll. Du versuchst das Problem zu ignorieren.«
Ich sah, wie meine Mutter erneut zum Schlag ausholen wollte, doch sie stoppte in der Bewegung. Ihre Gesichtszüge waren starr wie Stein in diesen Moment. Ich konnte eine Träne in ihren Augen sehen. Aus einer Träne wurden mehr, bis sie ihr schließlich über die Wange lief.
»Macht er wieder Ärger?«, hörte ich plötzlich die Stimme meines Stiefvaters, der mittlerweile in die Küche kam. Seine rechte Hand stellte die leere Bierflasche ab, während seine linke Hand langsam zum Gürtel wanderte. »Ich kann das für dich regeln, Emma. Söhne brauchen eine strenge Erziehung. Das weißt du!«
Mir stockte der Atem, als ich sah, wie mein Stiefvater den Gürtel lockerte. Er würde jeden Moment einen Ausraster bekommen und ich würde Schmerzen erleiden, die ich so schnell nicht vergessen würde.
»Nein.«, antwortete Mutter. »Die Corona Krise macht uns alle fertig, Stefan. Er ist nervlich am Ende. Das sehe ich jetzt ein.«
»Wie? Nervlich am Ende? Seit die Schule zu ist, hängt der Bursche doch nur noch zu Hause rum. Spielt den ganzen Tag Computer, sieht Fernsehen und lädt sich Pornos auf sein Smartphone runter.«
»Das war ich nicht!«, rief ich entsetzt und bekam die nächste Klatsche. Dieses Mal warf mich die Ohrfeige zu Boden und ich fühlte, wie meine Wange anschwoll. Mein Körper zitterte, ich bewegte mich langsam auf die Küchentür zu.
»Tue das nicht, Steffan!«, die Stimme meiner Mutter klang jetzt warnend.
»Sonst was?«, wollte Stefan wissen.
»Wir müssen einen Weg finden.«, flehte meine Mutter ihn an. »Sonst verlieren wir alles, was wir haben: unsere Familie. Der Junge hat vielleicht recht. Wir haben Probleme und wir dürfen sie nicht länger verdrängen.«
Ich wagte es nicht, auch nur einen Blick zu riskieren, bis ich die Küchentür erreichte und mich langsam auf die Beine brachte.
»Daran ist nur der Corvid-Virus schuld! Ich verliere vielleicht meinen Job. Was soll ich denn machen?«, herrschte Stefan meine Mutter an.
»Wir sollten reden und gemeinsam eine Lösung finden. Meinen Sohn verprügeln ist jedenfalls keine Lösung. Das siehst du doch ein?«
Ich drehte meinen Kopf kurz um. Stefan sass jetzt am Küchentisch, die Hände ins Gesicht geschlagen. Weinte er etwa? Ich habe ihn noch nie weinen sehen. Stefan wirkte bislang immer so männlich.
»Du kannst gehen.«, flüsterte mir Mutter zu. »Nimm wenigstens ein Halstuch mit und benutze es auch anständig, ja?«
Ich wusste nicht, ob ich sie alleine lassen sollte. Stefan war betrunken und wirkte sehr emotional. Was, wenn er wieder handgreiflich wird?
»Ich regel das mit Stefan schon.«, flüsterte Mutter erneut. Die Tränen liefen ihr jetzt die Wange herunter, wie ein Fluss. »Das ist etwas, was ich mit Stefan regeln muss. Allein.«
Als ich die Küche verließ und mich auf dem Treppenhaus befand, wurde mir plötzlich klar, dass meine Mutter in diesen Moment vor der größten Herausforderung ihres Lebens stand.