Veröffentlicht: 11.12.2021. Rubrik: Persönliches
Der kaputte Topf
Mein Mann ist Rentner. Er hat einen anstrengenden Beruf gehabt und war froh, sich endlich zur Ruhe setzen zu können. Damals traten diverse Vereinskameraden an ihn heran, die ihn für eine Funktion in ihren ehrenamtlichen Vorständen gewinnen wollten, da er ja demnächst genügend Zeit habe. Doch er wollte nicht. Fast stereotyp begegnete er solchen Anfragen mit seinem Vorhaben, vorläufig nichts tun zu wollen, sondern sich in seinen Schaukelstuhl zu setzen und nach sechs Wochen langsam mit dem Schaukeln anzufangen.
Doch die arbeitsbedingte Erschöpfung hielt nicht lange an. Er wurde wieder unternehmungslustiger und entdeckte darüber hinaus ein neues Hobby: das Kochen. Er kaufte ein Kochbuch mit dem verheißungsvollen Titel „Kochen - von Anfang an richtig". So kochte er von Anfang an richtig, wie er zumindest glaubte. Und mir schien, er wusste plötzlich alles besser.
Standen wir zusammen in der Küche, sparte er weder mit Gewürzen noch mit guten Ratschlägen, wie ich das, was ich gerade tat, besser machen könnte. Ich wusste nicht, ob ich mich über diese Entwicklung freuen oder sie verfluchen sollte.
Ich dachte an die Losung der frauenbewegten Zeit in meiner Jugend: „Wer sich nicht wehrt, landet am Herd." Nun schien für mich das Gegenteil zu gelten: „Wer sich nicht wehrt, ist weg vom Herd." Und als müsste ich die Küche als mein Refugium verteidigen, schrie ich ihn eines Tages an: „Raus hier, das ist meine Küche."
Das war der Augenblick, in dem wir Regeln aufstellten. Wer kochte, hatte von nun an die „Löffelgewalt" und der andere durfte nur Ratschläge erteilen, wenn er darum gebeten wurde. Das funktionierte recht gut.
Die Liebe zum Kochen blieb ungebrochen und führte schließlich zur Anschaffung diverser Küchengeräte. Womit auch ich schon länger geliebäugelt hatte, war eine Kochplatte mit Induktion. Ich hatte eine solche bei verschiedenen Leuten gesehen und war begeistert, wie schnell Induktion auf die jeweils eingestellte Heizstufe reagiert. Was mich bisher vom Kauf abgehalten hatte, waren meine guten Edelstahltöpfe, die nicht für diese Heizart geeignet waren.
Bis das Angebot kam, dem wir beide nicht widerstehen konnten: Eine Induktionskochplatte mit einem geeigneten Topfset als Zugabe. Außerdem besaßen wir einen uralten emaillierten Bratentopf aus Eisen, der ebenfalls auf der neuen Herdplatte funktionierte. Mein Mann probierte ihn aus, indem er ein Gulasch darin zubereitete. Ich ließ ihn schalten und walten, hörte nur hinter der geschlossenen Küchentür ein gewaltiges Zischen, als das Fleisch angebraten wurde. Erst als das Gulasch vor sich hin köchelte, hatte er Zeit, sich um die Beilagen zu kümmern.
Zwei Stunden später glaubte ich, dass das Essen bald fertig sei. Ich hatte Hunger und freute mich auf ein leckeres Gulasch. Mein Mann steckte den Kopf aus der Küche und verkündete: „Wir müssen das Gulasch wegwerfen, der Topf ist kaputt."
„Wie kann ein Topf aus Eisen kaputtgehen?" fragte ich fassungslos, „und wieso müssen wir das Gulasch entsorgen?"
Es dauerte, bis ich kapiert hatte, was geschehen war:
Unerfahren im Umgang mit Induktion hatte mein Mann zum Anbraten des Fleisches den Booster benutzt. Das wäre bei einem neuen Topf nicht schlimm, wenn auch unnötig, gewesen. Doch bei diesem Uralt-Topf hatte es dazu geführt, dass an einigen Stellen die Emaille abgeplatzt war und sich unters Gulasch gemischt hatte. Weil wir nicht wussten, wie viel davon ins Gulasch gelangt war, haben wir schweren Herzens darauf verzichtet, es zu essen.
Am nächsten Tag rief mein Mann bei der für ihre Qualitätstöpfe bekannten Firma an, um zu fragen, wie es sein könne, dass sich die Emaille vom Bratentopf ablöse. Der jungen Dame am Telefon konnte er exakt die Modellbezeichnung nennen, doch die hatte noch nie etwas davon gehört.
Kein Wunder, der Topf wurde ja vor mehr als 30 Jahren produziert.
Nachdem die junge Dame Rücksprache mit ihren Vorgesetzten genommen hatte, wurde uns folgendes Angebot unterbreitet: Wenn wir diesen Topf samt Deckel an die Hersteller-Firma zurückschickten, würden wir einen neuen Bratentopf unserer Wahl zum halben Preis kaufen können. Voraussetzung war aber die Rücksendung des alten Topfes, weil das Labor daran großes Interesse hatte.
Das taten wir und erhielten einen wunderschönen Topf zum halben Preis. Und den korrekten Umgang mit Induktion haben wir inzwischen auch gelernt.