Veröffentlicht: 09.12.2021. Rubrik: Satirisches
Die etwas andere Geschichte vom Nikolaus
Am Morgen des 24. Dezember schreckte Nikolaus aus seinen unruhigen Träumen auf. Heute Nacht war Hochkonjunktur - wie jedes Jahr am Heiligen Abend, dachte er ärgerlich. Warum auch hatte er unbedingt ein Heiliger werden wollen? Und dazu noch so ein Bescheuerter, der den Kindern der christlichen Welt innerhalb einer Nacht Geschenke bringen musste? Nur weil er damals in seiner Heimatstadt Myra die Hungersnot mit seinen Getreidegaben gelindert hatte, war er zu dieser alljährlichen Raserei durch das Weltall verdonnert worden.
Da war der Martin viel schlauer gewesen. Der hat einfach seinen Mantel ausgezogen, mit dem Schwert in zwei Teile geteilt und mit der einen Hälfte einen Bettler glücklich gemacht. Das hat die Leute so begeistert, dass sie für ihre Kinder noch heutzutage Laternenumzüge zu Ehren Martins veranstalten. Und Martin muss noch nicht einmal selber mitlatschen, das übernehmen die Mamas, Omas oder Tanten, die ganz entzückt sind, wenn die Kleinen singen: „Sankt Martin, Sankt Martin, Sankt Martin war ein guter Mann ….“. Martin hört dann eine Weile geschmeichelt zu und kann dann weiterpennen.
Und er, der Nikolaus? Der 6. Dezember war schon anstrengend genug. Der 24. aber war die Hölle. Morgens musste der Schlitten mit Geschenken aller Art vollgepackt werden. Das war eine schwierige logistische Aufgabe, denn die Bescherung in dieser einen Nacht war nur zu schaffen, wenn alles griffbereit in der richtigen Reihenfolge gestapelt war.
Doch bevor es losging, gönnte er sich ein erfrischendes Bad in einer Regenwolke. Soviel Zeit muss sein, dachte er grimmig und zog ein paar Schleierwolken als Sichtschutz heran. Einige der kleinen albernen Teenager-Engelchen versuchten schon wieder, einen Blick auf seinen alternden Körper zu werfen.
Er stieg aus der Regenwolke und trocknete sich mit bayerischem Fön ab. Als er gerade seinen roten Mantel überzog, kam Knecht Ruprecht herangeschlurft, sein einziger Gehilfe in dieser stressigen Nacht.
„Es ist so wenig Zeit und so viel zu tun“, sagte er zu Nikolaus, wirkte aber im Vergleich zu diesem völlig unaufgeregt. Ruprecht war noch jung, stark und unverbraucht. Und er war neu in der Branche.
Es war nämlich Ruprecht, der Zweite.
Der erste wurde leider immer vergesslicher und verwechselte vieles. Mit seiner Rute bestrafte er zum Beispiel die braven Kinder und belohnte die kleinen Bösewichte mit Geschenken. Da das immer häufiger passierte, manifestierte sich bei den kleinen Spitzbuben der Gedanke, dass sie sich als Erwachsene alles erlauben könnten und nur Lügen und Betrügen sie weiterbrächte. Manchen gelang mit ihren Machenschaften eine Karriere in der Politik, wie z.B. dem kleinen Donald in New York oder dem Boris in London.
Gott musste handeln, er schickte Ruprecht, den Ersten, zum Teufel.
Inzwischen war der Schlitten voll geladen und Ruprecht, der Zweite, holte Rudolph, das hochnäsige Rentier aus dem Stall. Nikolaus fand es sehr eingebildet, aber er hatte kein anderes. Fast die gesamte christliche Menschheit besang die rote Nase dieses Tiers, die es ursprünglich einem quälenden Fließschnupfen verdankte. Rudolph war damals ganz unglücklich gewesen, bis der Hype um seine rote Nase begann. Immer wenn er Menschen „Rudolph, the red-nosed reindeer…..“ singen hörte, streckte er seine rote Nase noch höher in die Luft und sah umso eingebildeter aus. Inzwischen hörte er im Liedtext lieber den deutschen Begriff Rentier statt reindeer, denn das Wort Rentier konnte man so wunderbar französisch aussprechen und hatte dann eine völlig andere Bedeutung: nämlich jemanden, der reich genug war, um von seinem Vermögen zu leben. Und Rudolph, der Rentier (sprich: ran-tyè), fühlte sich außerdem kompetent genug, anderen Vermögens- oder Rentenberatung anzubieten, wenn er nicht gerade im Weihnachtseinsatz war wie jetzt.
Dann war es so weit: Rudolph raste los, den Schlitten mit all den Gaben sowie den beiden Männern hinter sich herziehend. Seine Nase leuchtete wie eine rote Laterne, was Nikolaus einigermaßen beruhigend fand. Sie legten die geplanten Stopps ein, um Bescherungen für brave Kinder durchzuführen und die bösen zu bestrafen.
Sie hatten schon viele Päckchen verteilt. So war es für Nikolaus und Ruprecht auf dem Schlitten etwas komfortabler geworden. Trotzdem hatte sich Nikolaus‘ schlechte Laune nicht gebessert.
In einer Linkskurve musste Rudolph die Geschwindigkeit reduzieren. Nikolaus sah hinunter auf die Erde und beobachtete - es musste irgendwo in Deutschland sein - wie seine weltlichen Kollegen, die Paketzusteller, die trotz des Heiligen Abends noch Pakete ausgetragen hatten, sich auf der Straße versammelten und für einen Mindestlohn von 12 Euro plädierten. Sein Missmut flammte erneut auf, denn er, der seit Jahrhunderten für ein Vergelt’s Gott arbeitete, hatte für eine solche Aktion überhaupt kein Verständnis. Er fand, dass diese Jüngelchen auf hohem Niveau jammerten. Schließlich durften sie schon mit 67 Jahren in Rente gehen. Und neuerdings gab es eine Grundrente für die, die trotz mindestens 35 Jahre dauernder Erwerbsarbeit nicht genug bekamen.
Vielleicht konnte auch er endlich in den wohlverdienten Ruhestand wechseln. Er war diesen ganzen Weihnachtszirkus so leid. Knecht Ruprecht war schon ersetzt worden, warum nicht auch der Weihnachtsmann? Möglicherweise hatte Ruprecht ja auch keinen Bock, immer nur die Drecksarbeit mit der Rute zu machen und würde sich um den Job als Weihnachtsmann bewerben. Es wäre für ihn eine Beförderung.
So träumte sich Nikolaus in ein glückliches Rentnerdasein. Die Gedichte, die die Kinder in dieser Nacht noch aufsagten, drangen wie durch Watte an sein Ohr. Er hörte gar nicht mehr zu und war froh, als diese Nachtschicht endlich, endlich zu Ende ging.
Total übermüdet schlief er sofort auf seiner Wolke ein. Er schaffte es noch nicht einmal, seinen roten Mantel auszuziehen. Als er erwachte, waren die Weihnachtsfeiertage vorüber.
Er nahm ein erfrischendes Bad in einer Regenwolke und träumte sich in sein glückliches Rentnerdasein zurück. Dann machte er sich auf den Weg zur Rentier-Beratungsstelle. Rudolph saß an seinem Schreibtisch, die rote Nase leuchtete wie eh und je.
Nikolaus interessierte in erster Linie, wie hoch seine Rente sein würde, denn er wusste nicht, wie ein Vergelt’s Gott im Rentenrecht bewertet würde. Rudolph belehrte ihn, etwas von oben herab, dass Vergelt’s Gott keine gültige Währung sei und er deswegen gar nichts ins Rentensystem eingezahlt habe. Nikolaus erschrak und verwies auf seine vielen Arbeitsjahre. Da müsste er doch Anspruch auf eine aufgestockte Grundrente haben.
Rudolph lachte hochnäsig und antwortete: „Wo nichts ist, kann man nichts aufstocken.“ Nikolaus hätte ihm am liebsten vor Wut die rote Nase eingehauen, nur leider hatte Rudolph recht.
So wird Nikolaus auch in den nächsten Jahren schlechtgelaunt auf seinem Schlitten durchs Weltall rasen und Geschenke an die Kinder der christlichen Welt verteilen!