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3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2017 von Anna Rösing (Anna Rösing).
Veröffentlicht: 15.01.2018. Rubrik: Menschliches


Claras Fehler

Claras Fehler

Kapitel 1: Nachsitzen
Mit gemischten Gefühlen warte ich auf das lang ersehnte Läuten der Schulglocke. Doch so wie ich meinen Lehrer kenne stehen die Chancen auf einen entspannten Ausritt eins zu einer Billion. Grund dafür ist eine Pausenhofprügelei. Denn wenn ich eins nicht ausstehen kann, dann ist es Ungerechtigkeit. Daher haben Marcel und ich uns schon dreimal geprügelt. Marcels Hobby ist es nämlich, andere Leute zu schikanieren und zu verpetzen. Wenig später bittet uns der Lehrer länger zu bleiben. „Clara, Clara, Clara! Das ist jetzt schon das dritte Mal dieses Halbjahr!“ Schuldbewusst starre ich den Tisch an. Auch sonst bin keine Musterschülerin, ehrlich gesagt bin ich sehr faul! Letztes Jahr habe ich sogar mal die Unterschrift meiner Mutter gefälscht! Immerhin hatte ich eine 6 in der Arbeit.
Mist, nun hat uns der Lehrer schon wieder zum Nachsitzen verdonnert. Jetzt komme ich wieder erst so spät in den Reitstall.


Kapitel 2: Geschockt
Geschockt starre ich das völlig abgemagerte und dreckverklebte Pferd vor mir an. Dieser Anblick löst in mir ein beinahe unerträgliches Mitgefühl aus. Wie kann man sein Pferd nur so behandeln? Auch meine Freundin Melanie sieht nicht minder entsetzt aus. „Lass uns gehen! Ich kann das nicht mit ansehen!“ „Ich gehe auf gar keinen Fall!“ keife ich. Das ist mal wieder typisch Melanie, sie ist manchmal einfach zu feige. Und in diesem Fall bringt uns ihre zurückhaltende Art nicht zum Erfolg. Wie durch ein Wunder taucht plötzlich der Besitzer des Pferdes auf. Wutentbrannt laufe ich auf ihn zu und stelle mich ihm selbstsicher in den Weg. „Aus dem Weg, du Göre!“, schrei er mich an. „Wie wäre es mit Bitte?“ schreie ich. „Außerdem sollten Sie ihr Pferd putzen und füttern! Denn andernfalls rufe ich den Tierschutz!“ Ohne ein weiteres Wort drehe ich mich um, dieser Mann macht mich einfach fuchs Teufels wild! Doch andererseits überkommt mich ein Gefühl der Zufriedenheit. Es ist einfach ein tolles Gefühl, gegen Ungerechtigkeit vorzugehen.
Doch viel Zeit bleibt mir nun nicht mehr zum Reiten, denn heute Abend habe ich das erste Date meines Lebens.


Kapitel 3: Das Date
Mit kritischem Blick begutachte ich mich im Spiegel. Der blaue Rock harmoniert jedenfalls mit der weißen Bluse und meinen neuen Schuhen. Beim Kauf der Schuhe hat mich meine beste Freundin Isabella beraten. Da wir uns schon seit dem Kindergarten kennen, vertraue ich ihr auch die Beratung in Sachen Mode an. „Wie sehe ich aus?“ „Mega nice“, entgegnet sie. „Ehrlich?“ „Wenn ich sage Mega nice, meine ich das auch!“, entgegnet sie genervt und verabschiedet sich. „OK. Danke für deine Hilfe, bis später dann.“
Allmählich bin ich doch etwas nervös, obwohl ich normalerweise ein selbstbewusster Mensch bin. Da klingelt es an der Haustür, voller Vorfreude öffne ich. Vor mir steht der attraktivste Junge, der mir je begegnet ist! Sein Haar ist kastanienbraun und gelockt, seine Augen erinnern an einen strahlend blauen wolkenlosen Himmel. Trotz allem ist er bodenständig und charmant. „Hallo Clara, schön dich zu sehen.“ „Hallo Jonas“, entgegne ich möglich neutral. Leider stehen so einige Mädchen auf diesen Mister Perfect. Da er aber auch ein ambitionierter Reiter ist, stehen meine Chancen auf eine angeregte Unterhaltung jedoch gut.
Allerdings wäre es von Vorteil, ihn nicht permanent anzustarren. „Clara, hörst du mich?“ „Äh, was?“ Zu meinem Entsetzen starre ich ihn immer noch an. „Gehen wir Eis essen?“ „Ja, super! Hast du ein eigenes Pferd?“, frage ich Jonas. „Ja, ich habe einen Westfalen. Wir nehmen an Leistungsprüfungen der Klasse M teil.“ „Wow, das ist ja super!“ erwidere ich sichtlich beeindruckt. „Wir können uns ja mal zum Ausreiten treffen.“ „Sehr gerne“, sage ich. Ob Jonas auf mich steht, steht jedoch in den Sternen. Er ist aber definitiv mein Traummann. Ich kann ja mal mit Isabella reden, sie kennt sich in solchen Dingen sehr viel besser aus als ich.


Kapitel 4: Ein Unfall mit Folgen
Mit geschlossenen Augen genieße ich die wohlige Wärme der Maisonne. Doch trotzdem bin ich nicht glücklich, denn Jonas hat mich versetzt! Vielleicht will er mich ja nie wiedersehen, denke ich resigniert. Zum Glück reißt mich meine Freundin Melanie aus meinen deprimierenden Gedanken. „Wollen wir ein Stück galoppieren?“, fragt sie mich. Ich bin wirklich froh, dass meine Freundinnen Isabella, Melanie und Katie mit mir ausreiten, andernfalls wäre ich in Selbstmitleid versunken.
„Ich bin die Erste!“, rufe ich. Ohne ein weiteres Wort galoppiere ich los. Wie immer fühle ich mich dabei frei und unbeschwert, dann gibt es nur noch meine Stute und mich. Mit geschlossenen Augen gebe ich mich ganz der Bewegung des Pferdes hin und genieße das berauschende Gefühl des Glücks. Doch plötzlich höre ich die ungewohnt resolute Stimme meiner Freundin: „Es gibt ein Gewitter!“ Ohne Umschweife parierte ich zum Halten durch. „Du bist eine Memme, Melanie! Oh, ich hab ja solche Angst, ich fang gleich an zu heulen!“, höhnt Katie. „Hör auf dich über Melanie lustig zu machen.“, fahre ich sie an. Außerdem spricht ein Blick in den Himmel Bände. „Los, mir nach!“, kommandiere ich.
Plötzlich kommt heftiger Wind auf, und es beginnt wie aus Eimern zu schütten. Schon nach kürzester Zeit sind wir bis auf die Knochen durchnässt. „So ein Scheißwetter!“, flucht Katie. So viel zum Thema Memme. Doch zu meinem Schrecken beginnt es jetzt auch noch zu blitzen. Noch während Melanie kreischt, galoppieren die Pferde wie von der Tarantel gestochen los! Mich überkommt ein tiefes Gefühl der Reue! Wie konnte ich nur herkommen? Wieso konnte ich nicht einmal auf meinen Verstand hören? Manchmal ziehe ich Ärger geradezu magisch an. Da geschieht plötzlich etwas, das man nie, niemals erleben möchte. Ein Blitz schlägt in einen Baum unmittelbar vor mir ein und mein Pferd bäumt sich in wilder Panik auf! Mit einem ängstlichen Laut rutsche ich aus dem Sattel. Das letzte, was ich realisiere, sind die ängstlichen Schreie meiner Freundinnen.


Kapitel 5: Im Krankenhaus
Als ich wieder zu Bewusstsein komme, verspüre ich starke Kopfschmerzen. Außerdem riecht es penetrant nach Desinfektionsmittel. Schlagartig wird mir bewusst, dass ich mich in einem Krankenhaus befinde. Da höre ich die beinahe hysterische Stimme meiner Mutter: „Wie geht es Clara?“. „Ihr geht es schon wieder besser!“, entgegnet eine mir fremde Stimme.
Erst jetzt bemerkt mich meine Mutter. „Ich habe mir solche Sorgen gemacht!“ Nur mit Mühe kann sie die Tränen zurückhalten. „Melanie hat gesagt, dass du vom Blitz getroffen wurdest!“, schluchzt sie. „Es tut mir leid, dass ich ausgeritten bin.“, entgegne ich reuevoll. „Ich habe dir jemanden mitgebracht.“, sagt meine Mutter.
Erwartungsvoll setze ich mich auf. Mein Herz beginnt wie wild zu klopfen, denn vor mir steht Jonas. „Wie geht es dir?“, fragt er mitfühlend. „Jetzt, wo du da bist, gut.“ Jetzt habe ich doch allen Ernstes ausgesprochen, was ich soeben gedacht habe. Die Worte sind einfach rausgerutscht. Nun kann ich unmöglich abstreiten, dass ich etwas für ihn empfinde. Doch eigentlich wünsche ich mir kaum etwas sehnlicher, als mit ihm zusammen zu sein. Doch vielleicht bin ich für ihn nur eine von Hunderten! Vielleicht sollte ich auch dankbar sein, dass ausgerechnet jetzt sein Handy klingelt. In genau dem Moment, in dem ich endlich erfahren könnte, was er für mich empfindet. So ein verdammter Mist! „Ja, hallo Nike!“ sagt Jonas zu der Person am Handy. Am liebsten hätte ich ihm das Handy aus der Hand gerissen und der blöden Kuh am Ende der Leitung mal gehörig die Meinung gegeigt! Da hatte ich endlich den Jungen gefunden und dann geschieht so etwas! Ich sollte wirklich lernen meine Gefühle besser zu kontrollieren! Ich glaube ich bin so eine Art Magnetfeld für Ärger!
„Ja, ich bin schon so gut wie da!“, sagt Jonas und verabschiedet sich von wem auch immer. „Wer war das denn?“, frage ich etwas giftig. „Das war bloß meine Schwester Nike, die auf mich wartet.“, entgegnet er entschuldigend. „Klar, kein Problem“, erwidere ich so gleichgültig wie nur möglich. Bevor er geht, lächelt er mich wieder so extrem charmant an. Dieser Typ ist so was von mein Fall, denke ich nicht ohne eine gewisse Enttäuschung.


Kapitel 6: Der Verlust
Mit einem Anflug von Heißhunger folge ich dem verführerischen Duft eines Schokoladenkuchens. Endlich wieder zu Hause, denke ich und öffne die Küchentür. Vor dem Backofen steht meine Mutter und sieht gedankenversunken aus dem Fenster. Wahrscheinlich werde ich ihren entsetzten Blick nicht so schnell wieder vergessen! Doch nach wenigen Augenblicken fängt sie sich wieder und lächelt mich an. „Wieso hast du gebacken?“, frage ich sie verwundert. Denn für gewöhnlich hat Mama ein „Ich-verbrenn-die-Kuchen-Talent“. Unter diesem Aspekt ist es durchaus verständlich, dass sie dieser Tätigkeit nur selten nachgeht. Meiner Mutter ist sichtlich unbehaglich zumute. „Nur so“, sagt sie ausweichend und spielt voller Unbehagen an ihrem Ehering herum. „Das ist doch nicht wahr! Du bist total komisch in letzter Zeit.“, entgegne ich verärgert.
Endlich rückt sie mit der Sprache heraus: „Die Sache mit deinem Unfall hat mich so fertiggemacht, dass ich deine Stute verkauft habe! Ich hatte solche Angst um dich. Aber deine Reitlehrerin wird sich gut um sie kümmern. Und ich werde dir eine Reitbeteiligung organisieren.“
„Das ist doch ein Witz, oder?“ Doch ihr Gesicht ist ein einziges Schuldbekenntnis. Seit ich sieben Jahre alt bin, wünsche ich mir nichts sehnlicher als ein eigenes Pferd und die damit verbundenen Privilegien. Und nun nimmt sie mir das, was mir am wichtigsten ist! Ich hasse dich! Ich hasse euch!“, schreie ich, laufe zur Wohnzimmertür und knalle sie zu. Im Flur angekommen fällt mein Blick auf die Wand, wo ein gerahmtes Foto von mir als 6 jähriges I-Dötzchen mit Zahnlücke und strahlendem Lächeln auf Auroras Rücken hängt. Plötzlich ist es um meine Selbstbeherrschung geschehen und ich fange an zu schluchzen. Dabei ist Weinen eigentlich nicht meine Art, ich bin schon immer hart im Nehmen gewesen. Voller Wut schmeiße ich das Foto auf die Fliesen, wo es mit einem Klirren zerspringt. Schlagartig bereue ich, was ich getan habe. Doch nach nur wenigen Sekunden kommt mir ein unmöglicher und egoistischer Gedanke und ich mache mich auf den Weg in den Stall.


Kapitel 7: Der Fehler
Voller Unbehagen kauere ich in Auroras Box. Je näher die Schritte kommen, desto größer wird mein Unbehagen. Was um alles in der Welt ist nur in mich gefahren? Ich bin kurz davor ein Pferd zu stehlen! Wenn jemand hereinkommt, muss ich mir in Sekundenschnelle eine plausible Erklärung einfallen lassen, worum ich um diese Zeit im Stall bin. Doch zu meiner Erleichterung entfernen sich die Schritte schon bald wieder. Ich beschließe vorsichtshalber noch ein paar Minuten zu warten. Soll ich es wirklich wagen? Doch wenn ich es nicht tue, werde ich Aurora nie wiedersehen. Ich trense sie also so schnell wie möglich auf, schwinge mich ohne zu zögern auf ihren Rücken und galoppiere hinaus in die Dunkelheit. Als ich mich gerade in Sicherheit wiege, vernehme ich eine verärgerte Männerstimme. Ohne darauf zu reagieren, treibe ich mein Pferd zu einem gestreckten Galopp an und pariere erst nach einer gefühlten Ewigkeit zum Halten durch. Doch zu meinem Entsetzen habe ich nun keinen blassen Schimmer mehr, wo ich mich befinde. Plötzlich bin ich so verzweifelt, dass ich anfange zu schluchzen, zu groß sind die Reue und die Verzweiflung! Warum hatte ich mich nur darauf eingelassen? Zweifellos wird noch eine Menge Ärger auf mich zukommen! Auf einmal bin ich einfach nur noch müde. Ich sitze also ab und lege mich auf eine bemooste Fläche am Waldrand.


Kapitel 8: Verzweiflung im Nirgendwo
Ich bin so verzweifelt, dass ich kurz vor einem Nervenzusammenbruch stehe. Mein Pferd ist krank und ich sitze im Nirgendwo fest! Was soll ich denn nur tun? Meine Gefühle spielen völlig verrückt. Doch das aller Schlimmste ist die Tatsache, dass Aurora so extrem schnell atmet. Ich habe noch nie ein Pferd gesehen, das derart schnell atmet. Doch was ist, wenn das alles nur ein Traum ist und gleich liege ich in meinem warmen gemütlichen Bett? Doch tief in mir drin weiß ich, dass dies die Realität ist. So bitter es auch ist, ich muss mich meiner Schuld stellen. Ich bin ja so was von naiv und dumm gewesen! Was ich jetzt tun werde, wird mich all meine Überwindung kosten. Mit klopfendem Herzen wähle ich die Nummer des Tierarztes! „Hallo, hier ist Clara Baumgart! Meine Stute Aurora atmet so schnell, ich weiß nicht, was ihr fehlt. Doch ich sitze im Nirgendwo im Wald fest und weiß nicht, was ich machen soll!“, schluchze ich. „Ich werde dich schon finden, Clara. Sag mir, in welche Richtung du geritten bist“, sagt der Tierarzt beschwichtigend. Ich sage ihm das Wenige, was ich weiß und lege auf. Jetzt, wo ich weiß, dass Hilfe unterwegs ist, fällt mir ein großer Stein vom Herzen und für einen Augenblick verdränge ich all die Unannehmlichkeiten und bevorstehenden Konsequenzen. Wahrscheinlich liegt das an der Tatsache, dass es wohl kaum noch schlimmer werden kann als jetzt!


Kapitel 9: Die Konsequenz
Früh am nächsten Morgen sind Aurora und ich endlich wieder zurück auf dem Hof, der Tierarzt hat uns in seinem Transporter zurückgebracht. Kaum angekommen stürmt meine Reitlehrerin wutentbrannt auf mich zu! Und glaubt mir, mit so was kenne ich mich aus, sie sieht so aus wie ich, wenn ich ausraste. Mit anderen Worten, ich kann mich warm anziehen. Ohne Vorwarnung verpasst sie mir eine heftige Ohrfeige. Nur mit Mühe unterdrücke ich ein „Au, was soll das?“ Doch meine Reitlehrerin brauchte ja nur 1 und 1 zusammen zu zählen um zu wissen, was ich getan habe. „Das ist das Dickfälligste, was ich je erlebt habe!“, schreit sie. „Ruf mich nie wieder an oder bitte mich um Hilfe!“ Ohne ein weiteres Wort dreht sie sich um und will gehen.
„Du hast sie einfach gekauft! Du hast alles ruiniert!“, schreie ich ihr hinterher. Plötzlich bin einfach nur noch sauer. Sauer auf mich, sauer auf sie und sauer auf meine Mutter! Meine Reitlehrerin bleibt stehen und sieht mich plötzlich mitfühlend an. „Das tut mir leid, Clara. Ich wusste doch nicht, dass deine Mutter dir nicht Bescheid gesagt hat, dass sie mir Aurora verkauft. Ich dachte wirklich, sie hat mit dir darüber gesprochen“, sagt sie schuldbewusst. „Trotzdem hättest du nicht einfach mit Aurora abhauen dürfen, das ist doch Wahnsinn.“
Ihr Blick verfinstert sich wieder, und ich frage mich, ob unser Verhältnis je wieder so wird wie es einmal war. Seit acht Jahren ist sie nun schon meine Reitlehrerin und sogar so eine Art Freundin. Sie war es, die mich das Reiten lehrte, sie war es, die ich oft anrief, wenn ich einen Rat für meine Stute brauchte, und sie ist die beste Freundin meiner Mutter. Schon oft war sie daher bei uns zu Hause oder wir besuchten sie in ihrer Wohnung und spielten Karten. Sie weiß wahrscheinlich mehr über mich als fast alle meine Freundinnen. Denn meine Mutter erzählt gerne ausgiebig von ihren Kindern. Jedenfalls habe ich Jana noch nie so verärgert gesehen. Sie ist eigentlich ein netter und Pferde verrückter Mensch, der seinen Beruf zu schätzen weiß. Und sie ist eine tolle und recht strenge Reitlehrerin, doch angeschrien hat sie uns nie. Ich bewundere ihr reiterliches Geschick und die Tatsache, dass sie selbst mit dem wildesten Pferd reibungslos kommunizieren kann. Sie ist einfach eine Pferdeflüsterin, die sich trotz allem anderen gegenüber nie arrogant oder besserwisserisch verhält. Mit anderen Worten, sie ist mein Idol! Voller Unbehagen folge ich ihr zu Aurora und dem Tierarzt. „Was fehlt ihr?“, fragt meine Reitlehrerin besorgt. „Sie hat eine leichte Gaskolik.“, sagt der Tierarzt. „Ich habe ihr eben ein Schmerzmittel gegeben. Wenn das in etwa sechs Stunden draußen ist und es ihr einigermaßen gut geht, kann sie wieder Mash bekommen. Außerdem muss sie alle zwei Stunden im Trab oder Galopp bewegt werden. Wenn es ihr besser geht, kann sie morgen wieder normal fressen.“ „Hoffen wir es“, sagt Jana und sieht mich vorwurfsvoll an.
Als wir uns vom Tierarzt verabschiedet haben, bittet mich Jana länger zu bleiben. Eine Weile sieht sie mich nachdenklich an. „Ich will dir Aurora nicht wegnehmen und aus diesem Grund kannst du sie als Reitbeteiligung haben. Ich hätte wissen müssen, das du sie niemals freiwillig hergibst. Das war sehr egoistisch von mir.“, sagt sie schuldbewusst. „Es tut mir wirklich leid. Deine Mutter hat behauptet, du hättest dem Kauf zugestimmt.“

Einige Tage später galoppiere ich mit wehenden Haaren über die Wiese. Dieser Ritt ist der schönste meines Lebens, denn endlich kann ich wieder Zeit mit Jonas verbringen. Nach einer Weile parieren wir zum Halten durch. „Hast du Aurora jetzt als Reitbeteiligung?“ fragt Jonas unvermittelt. „Ja, ich habe sie jetzt viermal die Woche in meiner Obhut.“, entgegne ich. Zu meiner Verwunderung sieht Jonas abwesend in die Ferne. Dann beugt er sich unvermittelt zu mir rüber und küsst mich. Glücklich erwidere ich seinen Kuss.
Es ist womöglich das Schönste, was ich je getan habe! Endlich ist es so weit, endlich habe ich das Gefühl, dass ich ihm etwas bedeute, das Gefühl, das wieder alles im Lot ist. „Du bist das mutigste Mädchen, das ich kenne.“, sagt er lächelnd, nachdem ich ihm die ganze Geschichte erzählt habe. „Ich möchte gerne noch viel Zeit gemeinsam mit dir verbringen.“
Am liebsten wäre ich vor Freude in die Luft gesprungen! Aurora und Jonas, kann das Leben schöner sein?

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Christine Todsen am 15.01.2018:

Schön und packend geschrieben!




geschrieben von Svenson am 30.01.2018:

Dein Text geht über eine Kurzgeschichte hinaus. Ich las ihn wie die Zusammenfassung eines Buches. Das kannst du ausbauen, gut.

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