Veröffentlicht: 22.01.2022. Rubrik: Persönliches
Auf Augenhöhe
Vor Jahren lernte ich sie kennen. Kerzengerade, aufrechte Figur ging sie ihrer Wege.
Sie wohnt und lebt wie ich in der Freien und Hansestadt Hamburg. Als Erstes überfiel sie mich mit der Frage, in welchem Stadtviertel ich denn wohne. Danach urteilen konservative Hamburger gerne. Sage mir in welchem Stadtviertel du wohnst, dann weiß ich dich sofort einzuschätzen. Es ist schon ein Unterschied, ob jemand in Blankenese, Sülldorf, Billstedt oder Harburg wohnt.
Sie war nicht mehr jung. Vor älteren Personen habe ich Respekt. So nahm ich leider mit der Zeit viel zu viel ungerechtfertigt von ihr hin. Ich ging ihr nach Möglichkeit aus dem Weg. Eines Tages erfuhr ich, dass sie einen Schlaganfall erlitten hatte. Lange Zeit verschwand sie von der Bildfläche. Mittlerweile mischt sie wieder wie ich meine giftig und aggressiv überall mit.
Nun hat es sich doch ergeben, dass ich ihr in angemessener Form meine Meinung sagte. Jetzt ging es los. Mails hin und her. Nebenbei erfuhr ich, dass sie aktuell 91 Jahre ist, schwerkrank und in einem Pflegeheim lebt. Das wusste ich nicht. Ich hätte sie für jünger gehalten.
Jetzt schrieb ich ihr, dass ich aufgrund der näheren Umstände (gedacht hatte ich an ihr Alter und ihre Krankheit) kein weiteres Interesse an einer Auseinandersetzung hätte.
Das gefiel ihr offensichtlich nicht. Sie meinte, ich solle erstmal ihre Augenhöhe erreichen, um mit ihr diskutieren zu können.
Auf Augenhöhe sein, diskutieren, ist ein Spruch, der nicht mein Wohlgefallen findet. Was bedeutet denn, auf Augenhöhe sein? Ich respektiere jemanden, halte ihn für ebenbürtig. Meine Menschenfreundlichkeit hält sich in Grenzen. Entweder ist mir jemand auf Anhieb sympathisch oder nicht. Das kann sich im Laufe der Zeit ändern.
Nein, ich begegne nicht jedermann sofort mit Entgegenkommen.