Veröffentlicht: 21.07.2019. Rubrik: Nachdenkliches
Der Mörder und der Kommissar
Der Schein der Tischlampe durchdringt die Dunkelheit und zeichnet die Silhouetten zweier Männer. Der aufrecht sitzende Kommissar schaut auf die gekrümmte Gestalt, die ihm gegenüber sitzt und fragt mit monotoner Stimme: »Wieso haben Sie ihn getötet?« Der Angesprochene, Jack H., hebt zögernd den Kopf und erwidert mit zitternden Lippen: »Wie oft soll ich es Ihnen noch sagen! Ich habe niemanden getötet.«
»Oh doch, das haben Sie, nur das Warum fehlt uns noch ... Das Motiv.«
»Es gibt keins … es kann gar keins geben und auch keine Zeugin, so wie Sie behaupten, denn es ist nie passiert!«
»Kommen Sie Jack, Sie wissen ganz genau, dass Ihre Frau Sie mit der Waffe in der Hand gefunden hat. Es war ein Kopfschuss und Sie selbst waren blutverschmiert. Zudem wurden Schmauchspuren an Ihrer Hand entdeckt und die Pistole ist auf Ihren Namen registriert.«
»Ich bestreite ja auch nicht, dass es meine ist.«
»Okay, lassen wir das fürs erste. Ist es richtig, dass Sie einen Hass auf das Opfer hatten, einen Hass, der Sie schon fast Ihr ganzes Leben begleitet?“
»Dazu will ich nichts sagen. Nein, nein«, schüttelt er energisch den Kopf, »lassen Sie mich doch endlich in Ruhe.« Jack H. hält sich die Ohren zu und schließt die Augen. Durch die Nase zieht er Luft, tief in sein Innerstes hinein und presst diese in einem kurzen Stoß wieder raus. Auf einmal nimmt er einen dumpfen Schuss war. Er reißt die Augen auf. »Ich bin nicht verantwortlich für diesen Tod!«, brüllt er und schlägt mit der Faust auf den Tisch, »nein, niemals war ich das!«
»Aber Sie haben es getan«, versichert der Kommissar und schaut Jack H. eindringlich an. Dieser wendet sich ab, konzentriert sich auf einen Punkt und auf einmal erscheinen Bilder in der Dunkelheit, erst verschwommen, dann immer schärfer werdend. Bilder, die zu einem Film werden. Eine Hand, die eine Pistole aus einer Schublade nimmt. Die zweite ergreift das Magazin und schiebt es in die Waffe, packt den Schlitten und zieht diesen zurück – ritsch – lässt ihn wieder los und dieser schnellt nach vorne – ratsch – , spannt den Hahn – klick – hebt die Waffe an und hält die Mündung an die Schläfe des Opfers … drückt ab. Er spürt den Rückstoß im Arm. Der Mann bricht nahezu in Zeitlupentempo zusammen. Aus dem Einschussloch an der rechten Schädelseite fließt Blut heraus.
»Es ist also wahr, ich habe geschossen … Sie hatten recht … alle hatten recht«, Jack H. dreht sich, nachdem er seine Vision gedeutet hat, zurück zu dem Kommissar, »mein ganzes Leben bestand nur aus Problemen mit denen ich nicht fertig wurde. Ich rutschte von einer Angst in die nächste, von einer Verzweiflung in die andere, kam mit nichts richtig klar, konnte nichts … war nichts … bin nichts.«
»Sie hatten eine Sie liebende Frau.«
»Ich war nur eine Last für sie. So viel Therapien und keine Erfolge. Ohne mich ist sie besser dran.«
»Und Sie meinen, dadurch, dass Sie sich das Leben genommen haben, ist Ihre Frau jetzt glücklicher?« Jack H. schüttelte den Kopf, Tränen bahnten sich ihren Weg nach draußen und benässten die Wangen.
»Der Tod ist keine Lösung für die Probleme beziehungsweise die Aufgaben, die das Leben einem abverlangt. Es gibt immer einen anderen Weg, man muss ihn nur finden.«
»Ich habe ihn all die Jahre nicht gefunden.«
»Das ist leider offensichtlich. Ständig haben wir Leute hier sitzen, die immer nur Irrwege genommen haben. Solange, bis sie an dem endgültigen Punkt in einer Sackgasse angelangt sind, an dem sie für ihre Tat Rechenschaft ablegen müssen. Diese Zeit ist nun für Sie gekommen, Jack, und da Sie ihren Mord sich gegenüber nun gestanden haben, können Sie gehen.«
Der Kommissar steht auf und begibt sich auf die gegenüberliegende Seite des Tisches, wo Jack H. erneut in sich zusammengesunken war. »Kommen Sie Jack, es wird Zeit«, fordert der Kommissar und hilft dem Selbstmörder hoch, »das ist der Weg, den Sie jetzt nehmen sollten«, erklärte er und zeigt in eine Richtung. Langsam, mit schlurfenden Schritten bewegt sich Jack H. in das Dunkel hinein, wo er von diesem aufgenommen wird, für das, was danach kommen mag.
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