Der Otter und die roten Polyester-Schlüpfer

Der Otter ist ein feministisches, antikapitalistisches Kampftier. Und der Otter hat ADHS. Das sind zwei Dinge, die dazu führen, dass für den Otter ein normales Einkaufserlebnis, wie wir es kennen, nicht möglich ist. Denn nicht nur empfindet der Otter viele Preise als völlig aus der Luft gegriffen und massiv überteuert. Auch langweilt sich so ein Kampf-Otter ziemlich schnell, wenn nicht alle fünf Minuten Adrenalin und Dopamin ausgeschüttet werden.

Ich weiß noch, wie ich das erste Mal mit dem Otter unterwegs war, als es passierte:
Wir waren in einer Filiale einer großen Drogeriemarkt-Kette gewesen und gerade einmal 10 Meter vom Eingang entfernt, als der Otter neben mir mit einem verschlagenen Grinsen einen Stift aus dem Ärmel seiner Jacke zog und ihn mir anbot. “Willste haben? Hab ich rabattiert.”

“Du hast was?”

“Na, rabattiert. Hast du mal gesehen, was die für ein paar Vitamin B12 Tabletten haben wollen? Das ist Otter-Ausbeutung. Ich muss die scheiß Dinger nehmen, wenn ich vegan essen will. Und dementsprechend sollten die viel günstiger sein. Wenn ich einkaufe und ich finde einen Preis für etwas, was ich nun mal brauche, zu teuer, nehme ich was anderes, was ich schön finde und gebrauchen kann, umsonst mit. So gleicht es sich aus.”

Ich mochte die Otter-Philosophie, auch wenn sie mir persönlich unglaublich stressig vorkam, in der heutigen Zeit. Allen Kameras, Securitys und aufmerksamen Kassierer*innen zum Trotz ließ sich der Otter nie erwischen. Vielleicht auch, weil er immer etwas kaufte, wenn er rabattierte. Er wirkte schlicht nicht wie ein Ladendieb.

Doch neulich erreichte der Rabattier-Wahn selbst für Otter-Verhältnisse neue Dimensionen. Als der Otter aus der Stadt zurückkam, hörte ich in seiner Stimme bereits, dass etwas passiert sein musste.
“Schau mal, was ich schönes gekauft habe.” begann der Otter und präsentierte mir ein paar schwarze Höschen mit Spitze. Ich wartete still ab. Im Normalfall rückte der Otter von selbst mit der Sprache heraus. Und so war es auch dieses Mal. Der Otter grinste, wieder das verschlagene Rabattier-Grinsen. Ich ahnte, was jetzt kam. Der Otter zog ein schwarzes Top aus dem Rucksack und schnurrte: “Und das wurde rabattiert.”
Ich bewunderte ausgiebig die Beute und wartete ab. Siehe da, nur wenige Sekunden später zog der Otter außerdem noch 2 rote Spitzenschlüpfer aus Polyester aus dem Rucksack und wurde rot.
“Ja, also diese hier….” Der Otter war doch tatsächlich verlegen. Ich rätselte noch, ob der minderen Qualität oder der Geschichte dahinter, wie sie in den Besitz des Otters gelangt waren, als er mir schon die Auflösung lieferte. “Diese hier wurden unabsichtlich rabattiert. Nicht, dass du denkst, ich trage sowas.”
Meine Neugier war geweckt. Wie hatte der Otter es geschafft, unabsichtlich etwas mitgehen zu lassen?
Immer noch leicht errötet gestand selbiger: “Also, ich hab natürlich gecheckt, ob an dem Top eins von diesen Sicherheitsteilen ist oder nicht. War nicht, also hab ich es eingesteckt. Als ich dann raus bin, hat es aber angefangen zu piepen. Ich hab mich noch umgedreht, aber keine Reaktion vom Personal. Also bin ich raus und zum Supermarkt.”
Der Otter machte eine Kunstpause. Ich wartete geduldig ab und machte brav einen neugierigen Gesichtsausdruck. Gnädig präsentierte der Otter daraufhin den finalen Teil der Geschichte. “Tja, als ich meinen Rucksack in den Einkaufswagen geschmissen habe, hab ich gesehen, dass diese hässlichen Teile dran hängen. Sogar mit Bügel, kannste das glauben? Und keiner hat was gesagt.”

Weitere Kurzgeschichten: