Veröffentlicht: 21.06.2024. Rubrik: Lustiges
Lügen - nichts als Lügen
Zu dieser Erkenntnis kam ich im zarten Alter von 9 Jahren. Die Einen sagen „schon“, Andere sagen „jetzt erst“ – aber bei mir war es halt das Alter, in dem ich begriffen hatte, dass kein Hase Eier legen kann – auch nicht der Osterhase. Mir war klar geworden, dass der Besucher mit Bart und rotem Mantel nicht der Nikolaus, sondern ein verkleideter Nachbar war. Jahr für Jahr hatten meine Eltern mich damit gequält und sich amüsiert, wenn ich mich vor Angst unter der Küchenbank versteckte. Ich sollte artig sein, sonst würde er mich mit seiner Rute verprügeln. So ein Quatsch. Er würde mich in seinen Sack stecken und mitnehmen. Viel Spaß, der würde schon sehen, was er davon hat.
Also in diesen Punkten hatte ich die Erwachsenen und ihre Lügen durchschaut. Aber wer steckte hinter den Babys ? Der Klapperstorch war es garantiert nicht. „Das krieg ich auch noch raus“, dachte ich für mich.
Tante Frenzi und Onkel Gustav kamen aus Bad Homburg zu Besuch und ich zeigte ihnen ganz stolz unseren Partykeller. Ein idealer Rückzugsort für Geburtstage und andere Feste. Frenzi und Gustav waren begeistert und ich sagte naiv und nichtsahnend: „Hier haben wir schon so manche Nummer geschoben“. Diesen Spruch hatte ich bereits öfters gehört. Er klang gut, aber nie hatte er ein solch schallendes Gelächter ausgelöst, wie jetzt. Irritiert schaute ich in die Runde und fragte, was denn daran so lustig wäre. „Das erfährst Du noch früh genug“, ergriff meine Mutter, für alle Erwachsenen, das Wort. „Ha, ha, ha – wie witzig !“ empörte ich mich und ging beleidigt in mein Zimmer.
Immer wieder hörte ich das Wort „aufgeklärt“ und fragte meine Oma: “Oma, bist Du aufgeklärt ?“ Oma wurde verlegen und sagte in unserem heimischen Dialekt: „Na, Kend. Aich wusst ach nur – Do, wu es ennen kimmt, do muss es ach werrer enaus“. ( Da wo es rein kommt, da muss es auch wieder raus ). Sie sprach in Rätseln, weigerte sich aber, tiefer ins Detail zu gehen. „Na gut, dann halt nicht“.
Die Zeit verging und es kam der Tag, an dem ich den Grund des Gelächters von Frenzi und Gustav erfuhr und was hinter den Worten von Oma steckte. Ich fand die Heiratsurkunde meiner Großeltern, auf der die Eheschließung der 19-jährigen Anna und dem 18-jährigen Karl Guterding am 28. Feb. 1926 bescheinigt wurde und die Geburtsurkunde ihres ersten Kindes Karl, am 05. März desselben Jahres – also nur eine Woche später. Da stand es schwarz auf weiß. Oma hatte wirklich keine Ahnung. Sie dachte anscheinend, dass die Gewichtszunahme ihrem gesunden Appetit geschuldet war. Sie war immer mollig, und auch naiv. Wer hätte da schon an eine Schwangerschaft gedacht. Und als man die wirkliche Ursache ihrer Leibesfülle erkannt hatte, musste alles ganz schnell gehen. Auf den letzten Drücker konnten sich Oma und Opa noch das Jawort geben. Und das ist nicht gelogen.
Irgendwann kommt halt jede Wahrheit ans Tageslicht – notfalls mit Hilfe einer Hebamme.