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geschrieben von Bad Letters.
Veröffentlicht: 20.04.2024. Rubrik: Abenteuerliches


Wir kannten keine Gnade

Wir trafen uns, wie fast jeden Nachmittag, auf der wilden Wiese, und übten uns im Abhärten und Ausführen von Nasendrehern, Backenkneifern sowie Ohrenziehern. Alles andere war nicht erlaubt, aber schon schmerzhaft genug. Wollten wir siegen, mussten wir trainiert und schmerzunempfindlich werden, um dem Gegner standzuhalten. Immerhin konnte die Hälfte unserer Truppe noch kaum über die Esstischplatte gucken, wenn wir dem Konkurrenten auch zahlenmäßig überlegen waren.

Bloß nicht in einen Nahkampf verwickeln lassen, predigte unser Boss gebetsmühlenartig allen Mitstreitern, und um das zu untermauern, bestand dreiviertel der Kampfübungen, aus dem gezielten Werfen von großen Beeren und dem Blasrohrschießen mit Erbsen.

Dieses Jahr mussten wir es der Lessingstraße endlich mal wieder zeigen, wer das sagen im Wohnviertel hat. Die letzten beiden Jahre konnten wir unsere zahlenmäßige Überlegenheit nicht ausspielen, da der körperliche Unterschied einfach zu groß war. Aber einige der Jungs hatten inzwischen kräftig zugelegt, während das Wachstum bei den Gegnern gerade stagnierte. Dementsprechend wurde in den anderen Straßenzügen schon fleißig gewettet, wer diesmal als unangefochtener Sieger den Schauplatz verlassen würde.

Wir hatten nicht mehr viel Zeit, und so mussten wir unsere Übungen intensivieren. Direkt nach den Hausaufgaben ging es los. Alle wurden aufgefordert, zur Wiese im Dauerlauf zu laufen, um sich aufzuwärmen. Dabei sollte schon versucht werden, die zahlreichen Straßenlaternen, auf dem Weg dorthin, mit dem Blasrohr zu treffen. An der Wiese angekommen watschten wir uns erst einmal locker ab, bevor ernsthaft gedreht, gezogen und gekniffen wurde.

Nachdem sich dann später alle nach dem ausgestandenen Martyrium ausgeweint hatten, schlenderten wir eine Runde über die Wiese, sammelten die Munition vom Vortag wieder auf und naschten hier und da von dem, was die Natur uns anbot. Erst danach suchte jeder sein Versteck auf, und wir begannen uns gegenseitig aus der Deckung heraus zu beschießen und abzuwerfen, bis alle Geschosse verbraucht waren. Auf Kommando stürmten wir in einer zweiten Übungsrunde aufeinander los und rangen, kniffen, drehten und zogen am Trainingspartner, bis die Zehren uns erneut über die Wangen liefen und wir uns vollkommen erschöpft auf der wilden Wiese niederließen.

Der Tag der Abrechnung zeigte sich von seiner besten Seite und der Sieg winkte uns bereits am Horizont, aber das Schicksal belehrte uns eines Besseren. Abgerechnet wird erst am Ende des Tages und es gewinnt meist derjenige, der den größeren Willen und die Raffinesse geschickt aufs Schlachtfeld führt. Das war uns nicht vergönnt und so wurden wir erneut von der Lessingstraße geschlagen. Es brauchte lange, bis unsere Tränen getrocknet und die Schmach verdaut war.

Das alles war bereits beim gemeinsamen Eisessen schon wieder vergessen und es schmerzte nur noch die Leere in unseren Hosentaschen, weil wir, als geschlagene, die Runde Naschwerk ausgeben mussten.

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