Veröffentlicht: 17.02.2019. Rubrik: Nachdenkliches
Hommage an den Egoismus
Ich bin der Egoismus, und ich bin nicht sehr beliebt. Viele Menschen meinen, ich wäre eine schlechte Eigenschaft, aber das stimmt so nicht. Grundsätzlich beschütze ich die Menschen davor, sich ausbeuten oder ausnutzen zu lassen. Meine Absichten sind immer die besten. Aber auch bei mir ist es wie bei so vielem – die Dosis macht das Gift. Zu viel von mir kann durchaus unangenehm für das Umfeld werden, dann sind Menschen mitunter sehr selbstverliebt und rücksichtslos – wenn es sein muss, gehen sie sogar über Leichen. Aber das ist nicht meine Schuld. Wie und in welchem Ausmaß die Menschen mich einsetzen, entscheiden sie immer selbst.
Eine gesunde Portion von mir, richtig eingesetzt, kann den Menschen ein sehr viel schöneres Leben ermöglichen, indem sie sich abgrenzen und auch mal Nein sagen können. Ich helfe Menschen dabei, sich um ihre Bedürfnisse zu kümmern und sich nicht immer selbst zurückzustellen, und ich bringe sie dazu, auch mal Pause zu machen, anstatt immer nur zu funktionieren wie eine Maschine. Viele Menschen, die lernen, mich zu nutzen, entwickeln sehr viel mehr Selbstbewusstsein, als sie es vorher hatten und lernen, zu sich selbst zu stehen. Sie erkennen, dass sie auch für sich selbst da sein müssen und nicht immer nach der Pfeife anderer Menschen tanzen müssen.
Wenn man geschickt mit mir zusammenarbeitet, kann ich die Lebensqualität der Menschen um ein Vielfaches erhöhen. Ich bin eine globalisierende Eigenschaft, aber die meisten Menschen tendieren dazu, mich per sé als negativ zu betrachten. Fakt ist jedoch, dass zu viel von mir genauso wenig zielführend ist wie zu wenig. Indem ein Mensch lernt, mich in einem gesunden Mittelmaß zu verwenden, kann er sich weiterentwickeln und seine Persönlichkeit entfalten.
Wenn jemand nicht genug von mir bekommen kann und sogar eigene Unzulänglichkeiten mit mir kompensieren möchte, werde ich im schlimmsten Fall zum pathologischen Narzissmus. Dann bin ich tatsächlich eine weniger schöne Eigenschaft, und es gefällt mir gar nicht, auf diese Art und Weise benutzt zu werden. Wer ist schon gern eine pathologische Persönlichkeitsstörung?
Ich wäre am liebsten auf alle Menschen in einem gesunden Ausmaß gleich verteilt, das würde das Zusammenleben vielleicht oft erleichtern. Aber das liegt nicht in meiner Hand. Manche holen sich mehr von mir, andere weniger, darauf habe ich leider keinen Einfluss. Mich aber von Vornherein als unerwünschte Eigenschaft anzusehen, finde ich nicht fair. Ich kann sehr viel Gutes für die Menschen tun und das ist auch immer mein Hauptanliegen.