Veröffentlicht: 10.02.2019. Rubrik: Fantastisches
Das Bild im Gen
"Das Gehirn speichert Bilder. Der Bauplan des Gehirns wird von Generation zu Generation weiter gegeben. Aber unsere Arbeitsgruppe konnte nachweisen, dass nicht nur der Bauplan weiter gegeben wird, sondern auch eine Grundausstattung an Bildern.“ Er schaute in die Runde. Sah in die Gesichter vom 6 Männern, die sich freiwillig für dieses Experiment gemeldet hatten und von seinem kleinen Team ausgewählt worden waren. Die Männer hatten in den Vorversuchen starke Emotionsschwankungen gezeigt und versprachen gute Ergebnisse zu seiner Forschung beizutragen. „Ich danke Ihnen, dass Sie sich als Probenden zur Verfügung gestellt haben. Paul wird Sie nun in das Labor begleiten, Ihnen die VR-Brillen geben und die Elektroden anlegen. Anschließend werden wir Ihre Reaktionen auf verschiedene Bilder der Erbmasse testen. Ihre eigene wird ebenfalls hierunter sein."
Die männliche Probanden hatten sich dann auch für den Test zur Verfügung gestellt. Sie hatten ihr Sperma am Tag zuvor zur Verfügung gestellt. Er hatte dann die DNA isoliert und die Sequenz der Basenpaare an den 3. Mitarbeiter im Team weitergeben.
„Tom, kann ich dich kurz sprechen?“ Max zog ihn zur Seite. Er war schon fast 2 Jahre in der Gruppe und es war seine Leidenschaft, die Decodierung der vorhandenen Erbmassen vorangetrieben hatte. Im Gegensatz zum Professor war er Single und nutzte seine Zeit fast ausschließlich für die Forschung. Der Professor hatte sich für dieses Experiment auch eine Auszeit von seiner Frau genommen, um sich vollkommen auf die Forschung konzentrieren zu können. Sie hatte Verständnis gehabt. Es war ein sehr schöner Abend gewesen bevor er zur Universität fuhr.
"Wir haben die Sequenz decodieren können und die Bilder der Erbanlagen werden gerade berechnet." hörte er Max reden. "Ihr habt noch nicht gesichtet?" "Nein, zur Berechnung benötigen wir noch etwa eine halbe Stunde. Sollen wir das Experiment verschieben?" Der Professor dachte kurz nach. Welches Risiko konnte es schon geben. „Zeig zuerst die Bilder, die wir von mir decodiert haben. Damit überbrücken wir die Zeit und wir können schon mal die Reaktionen testen.“
Die kleine Gruppe erreichte den Raum. Sie hatten für jede Testperson eine VR-Brille und Elektroden vorbereitet. Alle 6 Plätze waren mit dem Arbeitsplatz des Professors verbunden. So konnte er die Hirnströme und Augenbewegungen zeitgleich zu den gezeigten Bildern sehen und speichern.
"Sie sehen nun als erstes Bilder, welche aus meinem Erbgut decodiert wurden. Dazu habe ich die letzten 24 Stunden vor der Spermaentnahme eine Kamera und Elektroden getragen. Die Bilder der Kamera, welche während den intensivsten Körperreaktionen gefilmt wurden, haben wir in dem gleichen Coding gespeichert, den wir aus der Genanalyse extrahieren konnten. Spermien,welche die größte Übereinstimmung mit den Bildern der Kamera besaßen, haben wir dann zur weiteren Decodierung verwendet. Hierdurch können wir das Ende der Gensequenz ermitteln. Den Anfang ermittelten wir dann über die Urängste des Menschen, die in fast allem menschlichen Erbgut vorhanden ist - die Angst vor Spinnen und Feuer. Die Bildsequenzen im Gen geben tatsächlich die chronologisch korrekte Reihenfolge wieder" erklärte er. "Je nach dem wie intensiv das Erlebnis war, desto besser ist es in der Filmsequenz zu erkennen. Insgesamt haben wir etwa 5 MB für Bilder in unserem Erbgut. Die Qualität der Bilder reicht also noch eben aus, um damit die unterschiedlichen Emotionen zu verbinden. Setzen Sie sich nun und lassen Sie uns nach einer kurzen Vorbereitung mit der Vorführung beginnen."
Paul reichte jedem Probanden die Brille und klebte die Elektroden auf. Zum Schluss erhielten die Probanden noch Kopfhörer, damit sie nicht durch Geräusche von den Bildern abgelenkt wurden. Max startete das Programm und die ersten Bilder erschienen.
Es begann verschwommen, nur schwarz und weiß. Eine Spinne lies sich tatsächlich aus diesem Bild erkennen. Acht lange Beine aus einem schwarzen Körper. Und es war zu sehen, dass es bei allen Zuschauern eine Reaktion auslöste. Die Ausschläge der Elektroden waren deutlich, die Weitung der Pupillen war nicht zu übersehen. Ohne Zweifel hatten alle Probenden ebenfalls diese Bilder in ihrem Bauplan enthalten. Es amüsierte ihn, diese Reaktionen zu betrachten.
Das nächste Bild erschien. Dieses mal in Farbe ein roter Rinnsal aus einer kleinen Öffnung war auf einem einzigen Bild zu erkennen. Trotzdem blieb die Wirkung nicht unverfehlt. Auch jetzt reagierte die Männer reflexartig und instinktiv. Probend Nummer 5 war der Ohnmacht nahe. Die angeborene Angst vor Blut und Blutverlust.
Nun wurde schon eine kleine Sequenz von 3 Bildern gezeigt - Feuer. Wieder war die Reaktion bei allen Männern signifikant.
Es folgten mehrere Bilder von Schlangen. Bei den Schlangen waren die Reaktionen geteilt. Wahrscheinlich gab es schon Menschen im Publikum, die diese Bilder nicht mehr in dieser Weise gespeichert hatten. Bis zur genetischen Eva müssten alle Menschen die gleichen Bilder gespeichert haben. Erst danach kommen unterschiedliche Bilder hinzu.
Es warn nun Pyramiden zu erkennen. Verständlich, dass dieser Anblick so starke Emotionen hervor ruft.
Ins Bild kam eine Person mit einem Gegenstand. Es war nun ein Hüne mit einer Streitaxt. Er schlug auf eine andere Person ein - alles war rot. Er kannte diese Bilder schon: Todesangst, phantastisch. Die Angst bringt die klarsten Bilder hervor. Es scheint sich hier um eine Schlacht im Mittelalter zu handeln und die Bilder sind in einer einzigen Zelle gespeichert. Es ist unfassbar. Natürlich können nur solche Erlebnisse weiter gegeben werden, die vor der Zeugung des genetischen Nachfahren erlebt wurden. Die Bilder seines eigenen Erbgutes hatten die größte Wirkung auf ihn. Dies war einleuchtend. Es war ja der Sinn des Erbgutes aus diesen Erfahrungen zu lernen um zu überleben. Würde er jemals in eine solche Schlacht geraten, würde er weit weg laufen. Die Bilder kannte er schon von früheren Decodierungen. Er hatte sich dann diese Axt anfertigen lassen. Sie zierte nun den Versuchsraum. Er musste lächeln - ob die Probanden die Axt erkennen würden?
Die nächsten Bilder waren wieder etwas klarer. Menschen in Uniformen. Diese hoben Gewehre in den Anschlag. Feuer glitt aus den Mündungen und Rauch verdunkelte die Sequenz. Es war sein Großvater. Er hatte immer von diesem Erschießungskommando berichtet. Dass er für tot gehalten und einfach mit Erde überschüttet wurde. Oma hatte ihn gerettet.
Seine Euphorie wich nun in Nachdenklichkeit. Das Verfahren hätte enorme Bedeutung für die Aufklärung von Verbrechen. Gewalttaten, die vor Generationen begangen wurden, können auf diese Weise aufgeklärt werden. Es musste nur möglich sein, die Gesichter noch etwas besser herauszuarbeiten.
Die Bilder jetzt waren klar zu erkennen. Es waren die Bilder, an Hand welcher sie das Ende der Sequenz ermittelten – vorgestern. Sie zeigten das Gesicht einer jungen Frau. Es war seine Frau. Lachend - Glück, dies war seine starke Emotion auch in diesem Moment, da er die Bilder wieder sah. Verdammt, warum konnte er sie nur nicht erreichen.
Die Elektroden vom Proband 2 fielen aus. Kurz zuvor hatten sie noch eine ungewöhnlich starke Reaktion angezeigt. Aber Paul stand ja bei den Probanden und würde das Problem gleich beheben.
Max war aufgesprungen. Er musste etwas Wichtiges in den decodierten Bildern gesehen haben. Nun wirkte er panisch. Der Professor drehte sich zum Monitor des Assistenten.
Die Bilder waren klar zu erkennen. Es waren die Bilder, an Hand welcher sie das Ende der Sequenz des Probanden 2 ermittelten – gestern. Sie zeigten das Gesicht einer jungen Frau. Es war seine Frau. Schmerzverzerrt – Todesangst.
Ein krachendes Geräusch ließ ihn herum fahren. Probend 2 hatte die Axt von der Wand gerissen. Es war nun ein Hüne mit einer Streitaxt. Er schlug auf Paul ein - alles war rot.
Er sah den Mann mit der Axt auf sich zukommen, doch laufen konnte er nicht, die Bilder in seinem Kopf waren zu stark. Ein roter Rinnsal war das letzte, was er sah.