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geschrieben von Mara.
Veröffentlicht: 18.01.2024. Rubrik: Nachdenkliches


Der Mann im Spiegel

Jeden Tag schauten sich Menschen im Spiegel an, meist unbewusst beim Zähne putzen, Gesicht reinigen oder bei der Rasur. Was sahen die meisten in dem Spiegel? Sahen sie jede noch so kleine Veränderung im Gesicht? Einen neuen Pickel oder unreine Haut? Oder schauten sie noch genauer hin und sahen das Runzeln auf der Stirn, die Besorgnis in den Augen und die Zornesröte auf den Wangen.

Es gibt so viele Emotionen, die man nur allein im Gesicht ablesen konnte, aber nahm das überhaupt jemand wahr, was das eigene Gesicht zu einem sagte?
Robin sah sich nicht gerne im Spiegel an, er ertrug seinen Anblick nicht und wenn er es doch mal tat, fragte er wie selbstverständlich. ,,Wer bin ich eigentlich?''

Er schaute in die leeren Augen und erkannte sich gar nicht selbst. ,,Sehe ich wirklich so aus''? murmelte er und trat etwas näher ran und legte eine Hand auf den Spiegel. Es war kalt, viel kälter als er gedacht hatte. Von der eigenen Körperwärme war nichts zu spüren und er schloss kurz die Augen.
Er hatte schon als Kind angefangen Spiegel regelrecht zu hassen und erinnerte sich noch daran, dass seine Familie immer Spaß daran hatte durch das alljährliche Spiegellabyrinth auf dem Hoffest zu laufen und sich darin zu verlieren. Natürlich meinten sie es nicht böse und dachten damit könnten sie ihm ein wenig die Angst nehmen, wenn er sah das nichts passierte, aber am Ende hatte es seine Ängste nur verschlimmert.

Ihn erdrückten die Spiegel jedes Mal aufs Neue, als würde die Person im Spiegel eine ganz andere sein als er selbst und wenn er näher herantrat und genau hinschaute, konnte er schon fast eine Fratze erkennen, die ihn auslachte. Er hatte es nie allein durch das Labyrinth geschafft, die Panik und Angst waren immer größer gewesen und es endete immer damit, dass er sich hinhockte und abwartete das ihn jemand abholte. Mit angezogenem Knieen machte er sich dann immer klein und schaukelte sich zur Beruhigung noch ein wenig hin und her. Letzten Endes musste seine Mutter ihn dann an die Hand nehmen und ihn herausführen. Für Robin war es immer sehr peinlich gewesen, wenn andere Menschen an ihm vorbei wanderten und ihn anstarrten, er wollte gar nicht wissen was sie in diesem Moment gedacht hatten. Lachten sie ihn innerlich aus oder bemitleideten sie ihn sogar? Er wünschte solche Ängste einfach niemanden

Immer wenn seine Mutter ihn zum Ausgang manövriert hatte und er draußen endlich wieder die Augen öffnen konnte, war er so erleichtert das er in Tränen ausbrach. Seine Familie versuchte es noch einige Male, weil sie dachten eine Konfrontation wäre die beste Therapie. Leider lagen sie damit völlig falsch und die Ängste wurden eher schlimmer als besser. Am Ende konnte er für eine Gewisse Zeit keinen Raum mehr betreten, in dem auch nur eine kleinste Spiegelung zu erkennen war.

Er öffnete langsam wieder die Augen, atmete einmal tief durch und legte seine Stirn an die kühle Scheibe.
Wer bin ich eigentlich? Diese Frage stellte er sich mittlerweile fast täglich und immer dann, wenn er sich im Spiegel betrachtete. Er wusste nicht genau, warum er das tat. Vielleicht hoffte er der Mann, der ihm im Spiegel begegnete, würde ihm eine Antwort darauf geben und er würde es endlich wissen. Manchmal fragte er sich, ob er das je in Erfahrung bringen konnte. Wie fand man sowas überhaupt raus? Woher wussten andere Menschen wer sie eigentlich waren?

Er verstand es nicht egal wie lange er darüber nachdachte und egal wie lange er die Person anstarrte, die ihm im Spiegel begegnete.
Zumindest hatte er heutzutage keine Angst mehr vor der Scheibe zu stehen und sich anzustarren, auch wenn er sich selbst nicht erkannte. Er hatte angefangen die Person zu akzeptieren, die ihm da entgegenschaute und sich irgendwann nicht mehr dagegen gesträubt reinzuschauen.

Es klopfte plötzlich an seiner Tür und er schaute kurz auf die Wanduhr, dessen ticken er schon eine ganze Weile nicht mehr wahrgenommen hatte. Ohne eine Antwort abzuwarten, stürmte ein Mann mit einem weißen Kittel herein, in der Hand ein Tablett mit kleinen weißen Kügelchen, die wie in Zeitlupe hin und her rollten.
Robin schielte noch einmal kurz in den Spiegel, bevor er sagte ,,Hallo Bernd, du bist heute aber früh dran.‘‘
,,Ach was, ich bin nur 5 Minuten früher da als sonst.'' entgegnete dieser und stellte das Tablett auf dem kleinen Beistelltisch ab.
,,Wenn du deine Tabletten nimmst bin ich auch gleich wieder weg'', fuhr Bernd fort und blickte kurz zum Spiegel. Daraufhin nahm Robin seine Wasserflasche, die er wie selbstverständlich neben seinem Bett platziert hatte, um die Tabletten runterzuschlucken.
Bernd nickte kurz und fragte nebenbei ,,Ist dein Freund wieder da Robin?''
Er wusste das sie ihn nicht verstanden, sie dachten er würde sich das alles nur einbilden und vielleicht war es sogar der Fall nur für ihn war es mehr als real. Er würde nicht ehrlich sein können mit dem Pfleger, denn mittlerweile hatte er seinen Freund kennen und lieben gelernt, was ihm letztendlich auch die Angst genommen hatte. Sie waren sich zwar nicht immer einig und manchmal nervte er ihn auch, wenn er ohne Punkt und Komma drauf los redete und einfach nicht mehr aufhören wollte. Vor allem nachts ging ihn das auf die Nerven und egal welche Tabletten er bis jetzt ausprobiert hatte, sein Freund blieb immer bei ihm.

,,Nein'' murmelte Robin nur auf die Frage und nahm eines seiner Bücher, um darin rumzublättern, damit seine Nervosität und sein leichtes zittern nicht auffielen.
Der Pfleger runzelte kurz die Stirn, verließ, aber ohne ein weiteres Wort das Zimmer.

,,Verdammt du kannst echt nicht gut Schauspielern, ich wette die bringen dir morgen wieder ganz andere Tabletten die du schlucken musst. Ich hoffe echt die lassen mich hier stehen und stellen mich nicht wieder weg.'' Diese Worte drangen aus dem Spiegel, doch Robin ignorierte sie diesmal.
Ja er hatte immer Angst gehabt vor Spiegeln und das nur, weil die Person, die ihm im Spiegel begegnete, wirklich nicht er selbst war. Auch wenn er immer gewusst hatte, dass er wahrscheinlich der einzige Mensch auf Erden war, der dies sehen konnte, fand er das nicht mehr so schlimm wie damals als Kind im Spiegellabyrinth, denn so viele verschieden Perspektiven von seinem Freund hatten ihn einfach überfordert.

,,Wer bin ich eigentlich wirklich, wenn der Mann im Spiegel nicht ich bin?‘‘

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