Veröffentlicht: 01.11.2023. Rubrik: Aktionen
*Intrigenspiel im Märchenland {November-Aktion}
Nach einer wahren Begebenheit.
Es waren einmal zwei alte Hexen, die sich sehr verbunden waren. Eine von ihnen bemutterte die sieben Zwerge hinter den sieben Bergen. Die zweite zog Brüderchen und Schwesterchen groß und stellte ihre magischen Kräfte bei jeder 'Mensch-ärgere-dich-nicht'-Runde unter Beweis, indem sie: „Sechserl, Sechserl“ rief und die Vollpunktzahl auch regelmäßig erwürfelte. Es gab auch noch eine dritte im Bunde, die jedoch als harmlosere Wetterhexe einzustufen war und die vier kunstreichen Brüder umsorgte.
Als all ihre Zöglinge heranwuchsen, fragten sich die zwei boshaften Hexen, wer wohl der Gescheiteste im Lande sei. Die sieben Zwerge, die bislang einträchtig ihrem Tagwerk nachgingen, wurden zuerst unter die Lupe genommen. Da gab es die ältesten Zwei, die schon immer eine gewisse Verantwortung tragen mussten. Sie verstanden sich erfreulich gut miteinander, saßen gerne beisammen in der großen Runde, und allen war es recht. Doch ihre Mutter, die Schwarzkünstlerin, streute Zwietracht. Sie hetzte die anderen Zwerglein auf, dass die beiden Ältesten sich etwas einbilden würden auf ihre Gescheitheit, dass sie meinten etwas Besseres zu sein. Insbesonders die anmutige, grazile Zwergin hatte sie im Visier, weil sie sich mit einem gebildeten Edelmann verheiratet hatte, dem sie in die Stadt gefolgt war. Vor lauter Neid hetzte sie auf den Drittältesten ein: „Warum setzt du dich nicht mal zu den Gescheiten, zu deiner Schwester?“ - „Weil die gescheiter daherreden als ich.“ - „Setz dich doch einfach mal dazu, dann bist halt auch gescheit?“ - „Ach, die reden gar nicht mit mir“, soll er vermutet haben. Ob er dies nun geäußert hat, oder nicht, so oder so war es eine bloße Unterstellung. Auf den Versuch hat er es ja nie ankommen lassen. Doch der Keim für die Intrige war geboren.
Ihre Blutsschwester im Bunde, die hinterlistige Spielerin, deren weiblicher Zögling immerhin guten schulischen Fleiß und eine offensichtliche Freude am Lesen und Denken an den Tag legte, erwiderte zu diesem Vorwurf: „Stell dir mal vor, wie es dann erst dem Brüderchen ergehen muss! Wie sehr es den Buam plagt, so eine gescheite Schwester zu haben. Was meinst du, wie er sich fühlt neben ihr?“ Heimtückisch fügte sie hinzu:“Er ist viel zu gutmütig, um etwas zu sagen. Aber ich sehe es ihm an den Augen an, wie sehr es ihn im Herzen trifft. Bis ins Herz hinein tut ihm das weh.“ So ihr intrigantes Spiel. Zum Schwesterchen äußerte natürlich keiner ein Wort. Ohne sein Wissen verbreitete sich das Gerücht in der Verwandtschaft, die üble Nachrede vergiftete das Umfeld.
Jahrzehnte später begab es sich, dass die dritte im Bunde verstarb. So trafen sie sich wieder, all die angehörigen Märchenfiguren, setzten sich an Tischen zusammen beim Leichenschmaus. Schwesterchen, inzwischen eine reife Frau, nahm neben ihrem Cousin und seiner Familie Platz, schließlich waren sie von jeher gut miteinander bekannt. Kaum hatte sie sich hingesetzt, mahnte ihr Vetter jedoch empört:“Warum sitzt du nicht bei deinem Bruder?“ Sie kam gar nicht mit, begriff seine Entrüstung überhaupt nicht, verstand nicht, warum sie sich zur Rede stellen lassen musste, dass sie nicht mit ihrem Geschwisterteil rede. Sah sie ihn ja zwei-, dreimal in der Woche, war mit ihm zur Beerdigung kutschiert. Der Cousin glaubte ihr.
Als zwei Jahre darauf ihre Matrone verschied, die Schwarzzauberin, musste sie dasselbe Szenario noch einmal erleben. Diesmal war es der jüngste Zwerg, der sie bezüglich ihres Bruders zur Rede stellte. Auch dieses Mal gelang es ihr, einzulenken. Aber die wiederholt an sie gestellte Frage hatte sie tief getroffen und verletzt. Hatte sie sich doch nie überheblich gezeigt, weder gegenüber ihres Bruders, noch ihrer Verwandten. Ihr schlechter Ruf ging einzig auf die Falschaussage der beiden bösen Hexen zurück, die ihr nichts vergönnten und kein gutes Haar an ihr ließen. Deren Intrige war indes aufgegangen.
Ob die Ränke wohl heute noch im Märchenland brodelt? Wer weiß, denn wenn nicht alle gestorben sind, lebt sie womöglich noch heute.