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3xhab ich gern gelesen
geschrieben 2023 von Anna (Annaxx).
Veröffentlicht: 23.09.2023. Rubrik: Persönliches


Voodoo

„Das sind die letzten zwei“.
Zufrieden sieht Stefan auf die beiden mit Beton bekleckerten Formen. „Kommende Woche legen wir los," Diese Aussage lässt keinen Zweifel übrig. Ich teile seine Euphorie nicht, sage aber dennoch mit überzeugendem Ton: „Yes Sir“.
Skeptisch sehe ich auf unsere selbst gegossenen Zaunpfosten. Die Zaunpfosten aus dem Geschäft wirken graziös und schwächlich gegen die plumpen Titanen aus Eigenproduktion.
Aber es gibt seit geraumer Zeit keine Zaunpfosten zu kaufen. Vor einigen Wochen hatten wir den gesamten Pfostenbestand im 80 Kilometer entfernten Eldorado aufgekauft.
Um weitere Pfosten zu ergattern, gab es mehrere Anläufe und ergebnislose Shoppingtouren ins sagenumwobene Eldorado.
Eldorado, hier ist der Name nicht Programm, wurde 1919 gegründet und ist die drittgrößte Stadt der Provinz Misiones. Sie ist das geschäftliche Zentrum der Gegend.
Der Vorteil der einstigen deutschen Kolonie: sie reduziert Sprachbarrieren. Zaunpfosten gibt es deshalb noch lange nicht. Der Typ, der sie herstellt, braucht wohl momentan kein Geld oder es gibt keinen Zement, oder, oder. Für unsere vom Großhandel geprägte Lebensweise mutet hier einiges antiquiert und provinziell an.
Wenn sich jemand einbildet, dass er gut nähen oder backen kann und denkt, dass einer seiner Mitmenschen die genähten Klamotten gern tragen würde oder sich eine breite Anhängerschaft für sein Brot findet. Dann braucht er nur ein Geschäft finden, das seine Meinung teilt. Dabei ist es unerheblich, welche Waren dort vorrangig angeboten werden. Der Ladeninhaber muss von der Ware überzeugt sein, oder er hat einfach ein gutes Herz, vielleicht schuldet er den Produzenten auch nur einen Gefallen.
So bekamen wir auch einen Tipp, wo Vollkornbrot zu erwerben ist. Welches, wie gerade beschrieben, von einer Frau am heimischen Herd gebacken wurde und in einem kleinen Geschäft für Naturprodukte angeboten wird.
Zurück zu den Pfosten.
Es gab keine.
Das habe ich ja bereits erwähnt. Aber ein gelernter DDR-Bürger lässt sich nicht entmutigen und schon gar nicht von seinem Vorhaben abhalten.
Also wurden aus Holz zwei Formen gezimmert und mit Armiereisen und einer kräftigen Zementmischung die neuen Zaunpfosten gegossen.
So wuchtig die Titanen aussahen, so schwer waren sie dann auch.
Es kam Tag X und die Pfosten sollten, in den zuvor ausgehobenen Löcher, einbetoniert werden.
Ein prickelnder Wintertag wartet darauf, dass wir bei 8 Grad und Nieselregen die neuen Pfosten ans andere Ende des Grundstücks wuchten. Etwa 130 Meter durch kniehohes feuchtes Kraut, dazu jede Menge Unebenheiten und graue Wolken die bis auf den Boden reichen.
Und so kam, was kommen musste.
Knack. Verzerrt. Verklemmt.
Irgendwas im Lendenbereich. Ich konnte mich ohne Schmerzen nicht mehr bewegen.
So schleppte ich mich mit Ibuprofen eine reichliche Woche, ohne dass sich der Zustand signifikant änderte, geschweige denn verbesserte.
Mit Schmerzmittel gedopt ging es zum Kirchenfest der Deutschen Gemeinde in Puerto Esperanza.
Das jährliche Fest wollte ich mir keinesfalls entgehen lassen.
Ich fand es ziemlich bemerkenswert, wie dieser Brauch am Leben gehalten wird. Es war ein Stück Heimat. Volksmusik trötete von irgendwoher, es gab Spiele für Kinder und eine Tombola, in der die zuvor eingesammelten Spenden auf die Gewinner warteten. Gehäkelte Püppchen, Topflappen und bestickte Deckchen, also alles was man sich schon immer gewünscht hatte und dringend brauchte.
Das Essen war mittlerweile der hiesigen Speisekarte angepasst. Trotzdem, auf Kartoffelsalat und Grillgut musste niemand verzichten.
Aber das Wichtigste an dem Fest waren die Menschen. Deutsche mit der Freundlichkeit und Gelassenheit der Argentinier.
Als ich von meinem verklemmten Nerv erzähle, erhalte ich sogleich jede Menge gutgemeinte Ratschläge.
In unserem Dorf, also in Puerto Libertad, lebt eine Frau, die bei einer Art Heilerin im Brasilianischen Dschungel gelebt hat und dort das Heilen erlernt hat. Im entferntesten Sinne wohl ein Medizinstudium.
Dies war einer der Vorschläge und er weckte sofort mein Interesse.
Ich dachte mir, gut wenn ich schon mal hier bin, praktisch am Ende der Welt, warum nicht mal was Neues ausprobieren. Am kommenden Tag erkundige ich mich nach dem Weg zu der Frau.
Sie lebt in einem unscheinbaren Holzhäuschen, Hühner rennen durch den kargen Garten, Orangen liegen unbeachtet auf dem Boden. Nichts was das Haus von den Nachbarhäusern unterscheidet.
Die Behandlung soll offenbar unter freiem Himmel erfolgen, denn mir wird ein Stuhl zwischen den Hühnern angeboten.
Die Heilerin ist eine sehr freundliche und sympathische ältere Frau. Ich beschreibe ihr, so wie es mein spanisch halt zulässt, was mich plagt und wie es dazu kam. Danach geht die Frau in ihre bescheidene Hütte. Ich denke, jetzt hackt sie ein paar geheime Kräuter, zerreibt die Rinde eines alten Mammutbaums oder eine Schlangenhaut. Aber sie kommt umgehend zurück.
Mit einem Faden.
Der Faden ist weiß und so dick wie ein starker Zwirn. Sie will meinen Namen wissen und wo ich wohne. Ich habe den Eindruck, dass diese Informationen wichtig sind. Dann nimmt sie den Faden und hält ihn unter meine Fußsohle.
Sie will wohl meinen Fuß vermessen, so scheint es mir jedenfalls. Klar kann auch sein, dass ein paar andere Schuhe keinen verklemmten Nerv verursacht hätten, aber für Prävention ist es ja nun leider zu spät.
In Wirklichkeit ging es dann aber nicht um neue Schuhe. Denn die Frau ging mit dem Faden zurück in ihr Häuschen. 10 Minuten später kam sie ohne besagten Faden zurück. Ich war entlassen, die Behandlung war für heute abgeschlossen. Ich sollte in zwei Tagen wiederkommen.
'Was hat die Frau mit dem Faden gemacht? Und überhaupt, was war das für ein Faden?'
2 Tage spukt der Faden durch meinen Kopf, während mein Rücken nicht bereit ist, den Fadenzauber wirken zu lassen.
'Ob der Faden von einem Voodoo Priester verzaubert wurde? Schließlich leben in Brasilien viele Menschen afrikanischen Ursprungs. Vielleicht auch von einer Schamanin eines tief im Regenwald lebenden Volksstammes? Oder ist das alles Hokuspokus?' Ich bleibe optimistisch und teile meine verrückten Gedanken mit Renate.
Sie ist natürlich auch an der Wundermaßnahme interessiert. Und zum zweiten Termin begleitete sie mich dann zu dem Holzhäuschen mit Hühnern.
Obwohl Renate der Sprache mächtig ist, gibt es auch für sie keine Hintergrundinformationen über die seltsame Heilmethode.
Wieder ein Faden an meiner Fußsohle. Diesmal ein kräftiger schwarzer Zwirnsfaden.
Wie ernüchternd. Offenbar liegt der Zauber nicht in dem Faden.
Also, was passiert dann mit dem Faden in der Hütte dieser Frau?
Letzter Termin in zwei Tagen.
Neue Gedanken und Ideen spuken durch meine Denkzentrale. 'Wahrscheinlich wird der Faden angezündet und der Rauch in Richtung meines Wohnortes gepustet.'...'Ob es dafür wohl auch eine Zauberformel gibt?'
Die zwei Tage vergehen, der Schmerz im Rücken bleibt hartnäckig. langsam keimen Zweifel in mir.
Es ist wohl am Ende doch nur Scharlatanerie.
Als ich mit den gleichen Beschwerden zu meinem letzten Behandlungstermin erscheine, ist die Heilerin sichtlich erstaunt.
Sie geht in ihr Häuschen und bringt sofort Papier und Stift. Ich soll meinen Namen aufschreiben. Sie liest den Namen und murmelt ein: "ohhh".
'Ohh?, wieso oohh? Offenbar ist der Name in meiner Patientenakte nicht korrekt.'
Es folgt die Behandlung mit Faden am Fuß. Wieder der weiße Faden, obwohl es auf Form und Farbe ja wohl nicht ankommt. Die Frau geht wieder in ihr Häuschen.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit soll nun der Faden in Kombination mit meinem richtigen Namen auf irgendeine Art für Schmerzfreiheit sorgen.
Es gab keinen vierten Termin, offenbar galt ich als austherapiert.
Am kommenden Tag ging es mir besser und nach einem weiteren Tag war ich tatsächlich schmerzfrei.

Ob nun die Beschwerden an diesem Tag von selbst verflogen sind oder ob sie wirklich durch den Zauber dieser Heilerin verschwanden, bleibt für immer ein Geheimnis.


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