Veröffentlicht: 09.09.2023. Rubrik: Satirisches
Diätberaterin Ricarda
Eine Satire
Meine Frau und ich haben Probleme. Unser BMI entspricht nicht den wissenschaftlichen Empfehlungen für einen gesunden Körper. Obwohl, ich fühle mich gut. Ich verzichte auf nichts, esse das, worauf ich Appetit habe. Ich bewege mich jeden Tag. Sportliche Höchstleistungen vollbringe ich nicht. Warum sollte ich auch Rekorden nachjagen? Doch meine Frau drängte unseren BMI zu verbessern. Ein längeres Leben sei uns garantiert, meinte sie. Pflege im Alter wird immer teurer. Gesund alt werden, lautet die Devise. Wer kann sich im Alter noch die Pflege leisten? Wenn schon sterben, dann gesund. Die Augen zu und ab in die Kiste.
Meine Frau bekam sehr schnell einen Termin für einen Kurs bei der Diätberaterin Ricarda. Lang ist es her, ich erinnere mich noch schwach, dass meine Frau schon einmal auf einen solchen Gedanken gekommen war. Damals verwarf sie den Gedanken einer gemeinsamen Diät schon im Ansatz, als sie mein Gesicht sah. Sie versuchte es allein.
Gérard war damals der Diät-Guru. Er versprach bei seiner roten Diätkur eine schnelle Gewichtsreduzierung. Einen Monat lang nur rotes Gemüse essen, war dann auch für meine Frau zu viel. Nach 14 Tagen brach sie diese Kur ab und behielt ihr Gewicht.
Heute bin ich reifer und älter geworden. Ich verstehe nun die Sorgen meiner Frau eher und habe gelernt, dafür ein offenes Ohr zu haben. Ihren Vorschlag, einen Diät-Kurs bei der Beraterin Ricarda zu belegen, stimmte ich deshalb zu.
Dieser Kurs ist ein Intensivkurs und dauert einen Monat. Täglich mussten wir bei Ricarda erscheinen. Sie gab vor, was wir am kommenden Tag essen durften und wertete den vergangenen Tag aus. Ricardas Konzept bestand darin, mit der Einnahme von grünem Gemüse unsere Pfunde purzeln zu lassen. Grünes Frühstück, grünes Mittagessen, grünes Abendbrot. Gelegentliche bunte Farbtupfer waren erlaubt: Maiskörner, Möhren, Weißkohl, Sauerkraut. Ihre Forderung, täglich einen Joint zu rauchen, lehnte ich kategorisch ab. Als Nichtraucher werde ich mir die Gegenwart nicht schön kiffen. Auch dann nicht, wenn ein Medizinprofessor das Kiffen vehement empfiehlt und es gesetzlich legalisieren lässt.
Nach vier Wochen war dieser Kurs vorbei. Ricarda verlangte von uns, dass wir uns nun täglich daranhalten. Mir hatten diese vier Wochen völlig gereicht. Ich fühlte mich unwohl in meinem Körper. Mir fehlte doch etwas. Ich hatte Appetit auf eine schöne Schweinehaxe, eine Rinderroulade oder auch ein deftiges Gulasch. Dazu eine Maß Bier. Mein Körper lechzte regelrecht danach. Als meine Frau eines Abends zu ihrer Freundin ging, um einen Erfahrungsaustausch über diese Kur zu machen, packte ich die Gelegenheit beim Schopf und ging ins Wirtshaus.
Der „Dorfkrug“ bietet in unserem Ort die beste bürgerliche Küche.
Im separaten Hinterzimmer weilte Gérard, der ehemalige Diät-Guru. Er hatte ein Getränk vor sich, einen Whisky oder einen Cognac. Dazu eine Havanna im Mund. Obwohl schon stark gealtert, sah er immer noch hässlich aus.
In der Gaststube saß unsere Diätberaterin Ricarda, halb versteckt, an einem Seitentisch. Eine große Schweinshaxe auf ihrem Teller, dazu eine Maß Bier. Sie schaute mich an und ohne dass ich ein Wort sagte, wischte sie sich mit einer Serviette das Fett von den Lippen und sagte, dass sie sehr wohl ihr Berufsleben von ihrem Privatleben zu trennen weiß.