Veröffentlicht: 10.07.2023. Rubrik: Menschliches
Ein Gespräch unter Freunden / Die Stimmen
Daher erkenne ich, dass ich nicht nur ein rationales Wesen bin, auch dann nicht, wenn ich das Gefühl habe, dass der rationale Teil in mir dominanter als der emotionale sei. Und gleichzeitig verstehe ich somit, dass ich nicht wissen kann, wer ich wirklich bin. Eine Stimme in mir, will das Fleischessen rechtfertigen, eine andere Stimme, verurteilt das Fleischessen und nochmal eine andere Stimme, versucht zu relativieren, die letzte Stimme, lügt sich selbst an und gaukelt sich vor, dass es einen klaren und eindeutigen Konsens unter diesen verschiedenen Stimmen geben würde. Aber das stimmt nicht. Und nichtsdestotrotz ergibt sich in diesem Chaos eine Entscheidung, die zu einer bestimmten Handlung führt. Aber wer ist schlussendlich die Stimme, die über die Handlung entscheidet? Verhandeln meine Stimmen miteinander? Gibt es eine Hierarchie unter meinen Stimmen? Habe ich überhaupt die Möglichkeit bzw. die Fähigkeit, die eine monokausale Stimme, falls es sie wirklich gibt, die die Aktion auslöst, zu identifizieren? Die Wirkung einer Aktion ist und bleibt etwas, das in sich, das ganze Spektrum der Beurteilung in sich trägt, von Negativ bis Positiv. Und die Beurteilung hängt von der Perspektive des Beurteilers bzw. der inneren Stimme ab. Es muss also in mir eine demokratische Abstimmung meiner inneren Stimmen geben. Oder ist es eine diktatorische Stimme, die über alle meinen Stimmen entscheidet? Sind denn diese Stimmen überhaupt meine Stimmen? Manchmal wird in mir über ein bestimmtes Thema gesprochen, es wird in seine einzelnen Bestandteile zerlegt und von verschiedenen Seiten beleuchtet, bis mein imaginäres ich zu einer einleuchtenden Erkenntnis gelangt.
Beifahrer:
Oh mein Gott, leidest du nicht an Schizophrenie?Kannst du mir ein konkretes Beispiel eines deiner inneren Diskurse erläutern?
Fahrer:
Ok, nehmen wir ein populäres Thema, wie zum Beispiel Greta Thunberg, die dazumal minderjährige Umweltaktivistin. Eine meiner Stimmen sagt, wie Recht sie hat, indem sie ihren Emotionen freien Lauf lässt und den mächtigen Menschen der Welt ihre Meinung geigt. Die nächste Stimme meldet sich mit der Aussage, verwöhntes kleines Mädchen aus reicher Familie, das von einer bestimmten meinungsbildenden Weltelite wie ein Werkzeug benützt wird, was weisst du schon über das echte Leben und wofür dich diese Leute ausnutzen. Eine dritte Stimme drängt sich empört auf und erläutert, wie unverantwortlich die Eltern dieses minderjährigen Mädchens sind. Nochmals ein anderes Ich sagt, bleib mit offenem Geist und versuche Gretas Meinung ohne Vorurteil anzunehmen. Die zweitletzte Stimme findet den Effekt, dass es nun weltweit zu öffentlichen Diskussionen über die Klimaerwärmung geführt hat, gut. Und die letzte Stimme sagt, warum nicht Menschen so viel Aufmerksamkeit geniessen können, die Tag für Tag an echten Lösungen arbeiten und nicht im Rampenlicht stehen. Nennt man diesen Geisteszustand nicht kognitive Dissonanz? Egal, eine Begrifflichkeit ändert nichts daran, dass es so ist, wie es ist.