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geschrieben von Bernhard Montua.
Veröffentlicht: 29.12.2022. Rubrik: Unsortiert


Weihnachten in der Ukraine

Weihnachten in der Ukraine.
von
Bernhard Montua

Sascha kam aus einem kleinen Dorf nahe der Stadt Ulan Ude in Russland. Das ist nicht weit vom majestätischen Baikalsee. Er hatte vor drei Monaten seinen achtzehnten Geburtstag gefeiert, und er war wie sein Vater und seine zwei älteren Brüder, freiwillig zum Militär gegangen. Einmal aus stolzer Familientradition, sein Vater war Hauptmann in der roten Armee gewesen, und zweitens war es wegen der zwar geringen, aber sicheren Besoldung bei der Armee. Außerdem war es die einzige Möglichkeit gewesen, der Enge der kleinen Wohnung zu entkommen. Er lebte mit sieben Geschwistern, auf sechzig Quadratmetern. An ein eigenes Zimmer oder gar eine eigene Wohnung war nicht zu denken. Sascha hatte seit kurzem eine Freundin, sie hieß Sofia. Sascha war über beide abstehenden, roten Ohren verliebt in sie. Er machte Pläne für eine gemeinsame Zukunft, wenn er das Militär verlassen würde. An einen Krieg hatte niemand gedacht. Nur der alte Opa Igor hatte vor dem grauen des Krieges erzählt. Er hatte in Stalingrad gekämpft und gelitten. Der Großvater war in Deutsche Gefangenschaft geraten und hatte auf einem Vernichtungsmarsch, sein linkes Bein verloren. Es war erfroren. Sascha kannte die alten Kriegsgeschichten auswendig, er hatte sie immer ein wenig belächelt.
Sascha hatte seine Ausbildung, die sehr hart gewesen war, grade erfolgreich beendet, als er auf eine Militärübung an die Grenze zur Ukraine geschickt wurde. Dass waren ca. 5800 Km von zu Hause und von seiner geliebten Sofia entfernt. Eine unglaubliche Entfernung.
Der Panzergrenadier Sascha Iwanow erwachte im Keller eines Hauses. Es lag in einem in Schutt und Asche zerbombten Dorfs, in der nähe von Charkiv, einer Großstadt in der Ukraine. Er lag auf einer alten Matratze, die stark nach Urin und Fäulnis roch. Sascha hatte Schmerzen in seinen Beinen, die dick verbunden waren. Er starrte an die niedrige schmutzige Betondecke und überlegte, was geschehen war. In Bruchstücken kamen die grauenhaften Bilder in seinen Kopf zurück. Er und vier seiner Kameraden waren langsam in das vollkommen durch Raketen und Artilleriebeschuss zerstörte Dorf einmarschiert. Geduckt hinter einem gepanzerten Mannschaftstransporter, drangen sie durch Trümmerberge vorbei an Ruinen, in die Ortsmitte vor. Nur der Frost glotze sie aus zerborstenen Fensterhöhlen an.
Sie hatten mit keinem großen Widerstand gerechnet. Der Schnee knirschte unter ihren Stiefeln, ansonsten herrschte gespenstische Stille um sie herum. Der Angriff kam wie aus heitern Himmel. Der gepanzerte Wagen wurde durch eine Panzerabwehrrakete zerstört, die umherfliegenden Trümmer, töteten zwei seiner Kameraden. Zwei weitere wurden durch das einsetzende Maschinengewehr Feuer getötet. Sascha wurde an den Beinen verletzt und fiel in Ohnmacht. Er erwachte in dem Keller, wo er nun verwundet lag. Er fiel wieder in einen ohnmächtigen Schlaf. Als er die Augen ein weiteres Mal öffnete, sah er vier Militärstiefel neben der Matratze stehen. Die Stiefel gehörten zu zwei ukrainischen Soldaten. Sie musterten ihn voller Hass und spuckten auf ihn. Einer von Ihnen knurrte:
«Du russisches Schwein, wenn heute nicht Heiligabend wäre und unsere Mutter dich nicht von der Straße aufgelesen hätte, würde ich dich sofort erschießen.« »Hoch jetzt mit dir«, er wurde unter den Armen gepackt und auf die verletzten Beine gestellt. Gestützt von den zwei Soldaten, die in seinem Alter waren, wurde er in einen Raum geführt, der für eine orthodoxe Weihnachtsfeier geschmückt war.
Sascha sah, dass der Boden mit Heu aus dem Stall bedeckt war, und auf dem improvisierten Weihnachtstisch waren die zwölf Fastenspeisen aufgereiht. An den Tischecken lag der Knoblauch und die Nüsse, die, die Zusammengehörigkeit, in der Familie symbolisieren sollten,
«Wie zuhause, bei mir«, kam es leise über seine Lippen.
Eine kleine, runzelige Hand griff nach der seinen und zog ihn an den Tisch, der aus zwei heraus gesprengten Türen bestand, die man auf zwei Holzböcke gelegt hatte, eine ältliche, weibliche Stimme sagte:
«Setz die mein Sohn, und teile die Fastenspeisen mit uns, es ist eine neue Freude gekommen«,» die es nie davor gab,« vollende Sascha den Satz aus dem alten Weihnachtslied. Die Augen der alten Frau sahen ihn strahlend an. Er setzte sich auf eine umgedrehte Holzkiste und schaute in die Runde. Wo waren die Nazis und Banderas Regimenter, einem Volksheld in der Ukraine, der Tausende von Russen auf dem Gewissen hatte, und die russische Heimat bedrohten, von denen die Presse und seine Vorgesetzten immer gesprochen hatten? Und wieso hatten die Priester in seiner Heimat ihre Waffen gesegnet, genau so wie die Priester in der Ukraine, sie gehörten doch der gleichen Glaubensgemeinschaft an? Die Bibel aller Christen sagt doch,
«Du sollst nicht töten!
In der schrecklichen Realität, der so genannten spezial Operation, musste Sascha erkennen, dass seine stolze Armee, Dörfer und Städte in Trümmer gelegt hatte und tausende von Soldaten und Zivilisten getötet hatten. Sascha der junge Mann aus dem Dorf, nahe dem großen Baikalsee, konnte diese Wahrheit nicht ertragen. Er war getäuscht worden, von seinen Vorgesetzten und von seiner Kirche! Sein Weltbild explodierte vor seinen Augen, an diesem Weihnachtstisch. Sascha schämte sich und er war verwirrt, er suchte verzweifelt nach einer starken Schulter, an der er sich anlehnen konnte und die ihm Halt und Trost geben konnte. Zu Hause war es Onkel Wanja gewesen, zu dem er immer gegangen war, wenn er Kummer oder Schmerzen hatte, aber der Onkel war weit weg. Sascha sehnte sich nach den weichen Armen von Sofia, bei deren Umarmung er so viel Glück empfunden hatte. Er weinte still vor sich hin, Rotz und Tränen liefen über sein dreckiges Gesicht und hinterließen dunkle Flecken auf seiner verschmutzten und zerrissenen Uniform. Sascha fühlte wie sich ein dünner Arm um seine Schultern legte und er hörte die Stimme der Frau, die ihn gerettet hatte, sagen:
«Komm Söhnchen, trink das,«
sie stellte ein großes Glas mit selbst gebrannten, bräunlichen Wodka vor ihn hin. Er kippte den Wodka herunter, das Getränk brannte in seiner Kehle. Es breitet sich ein Wohliges, warmes Gefühl in seinem Körper aus. Kaum hatte er sein Glas abgestellt, wurde es wieder gefüllt. Auch dieses Glas kippte er in seine Kehle. Da bemerkte er, das die beiden jungen Soldaten ihm zögerlich zu prosteten. Sascha prostete zurück. Es folgten noch viele Gläser an diesem Abend. Der morgen graute schon, als sie am Tisch einschliefen. Im Keller hallte das tiefe Schnarchen an den Betonwänden wieder.
Krachend wurde die Tür aufgestoßen, und ein Trupp russischer Soldaten stürmte in den Raum. Sascha und die zwei ukrainischen Kämpfer schreckten aus den Wodka träumen auf, die Soldaten griffen zu ihren Waffen. Einen Sekundenbruchteil später zerfetzten Gewehrkugeln ihre Körper. Die alte Frau bekam einen Kopfschuss und verstarb in ihrem wackligen Ohrensessel, Sascha wurde vom Tisch gezerrt und erhielt einen Genickschuss. Die verdiente Strafe für einen Überläufer.
Im Bericht an den diensthabenden Offizier hieß es später, zwei Kämpfer getötet,eine Zivilperson erschossen, (Kollateralschaden) und der Gefreite Sascha Iwanow, wurde als Überläufer, hingerichtet.
- Ende -
Euch allen eine Weihnacht, ohne die Leiden und den Wahnsinn des Krieges.

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Kommentare zu dieser Kurzgeschichte

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geschrieben von Gari Helwer am 31.12.2022:

Ganz schön bitter, aber hätte durchaus so sein können... LG




geschrieben von ehemaliges Mitglied am 03.01.2023:

Hallo Bernhard Montua, besser geht es kaum, um den Wahnsinn eines Krieges zu beschreiben. LG Jürgen

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