Veröffentlicht: 23.08.2022. Rubrik: Menschliches
Meine liebe Mutter
Meine liebe Mutter,
ich bin gut in der neuen Welt angekommen. Meine Reise war weniger beschwerlich als von dir vorhergesagt wenngleich nicht völlig von Ruckschlägen befreit. Mein Gepäck ging mir beim Transit in Irland verloren und so erreichte ich New York bloß mit dem Inhalt meiner Hosentaschen und des Handgepäcks. Die zuständigen bei der Airline sagten es könne ein paar Wochen dauern bevor ich es, wenn überhaupt, wieder erhalte. Ich bin in einem kleinen, spartanisch eingerichteten Hotel untergebracht. Meinen Standards genügt es alle mal. Bitte erzähl Vater nichts von meinen Rückschlägen. Er hatte ja, sehr häufig, meine Reise als sinnlos erachtet und wollte das ich bei dir bleibe damit ich mich um das Geschäft kümmere und die Kunst seines Handwerks erlerne für das ich mich weder groß zu interessieren versuche noch ein nennenswertes Talent besitze. Ich hoffe euch geht es auch gut. Ich hatte bereits die Möglichkeit meinen Kontakt kennenzulernen, der mich in die Hautevolee des Big Apple einführen wird, um potenzielle Geldgeber für mein Projekt zu finden. Ich weiß ich sagte bei meiner Abreise, dass dies bereits in trockenen Tüchern sei und dass ich nach meiner Ankunft sofort mit der Arbeit bzw. mit dem Aufbau meines Unternehmens beginnen könne, aber hättet ihr mich gehen lassen, wenn ich euch diesbezüglich nicht angelogen hätte? Hätte es euch nicht krank gemacht nicht zu wissen, ob euer geliebter Sohn es zu etwas bringen und eines Tages sieg und erfolgreich nach Hause zurückkehren wird? Ich musste lügen, um mir den Weg zum Erfolg zu pflastern den ihr mir mit euren Vorstellungen über ein erfülltes Leben versucht habt zu versperren. Es tut mir so leid. Es tut mir leid, euren elterlichen Befehl missachtet zu haben und mich eurer Vorstellung für mein Leben entzogen zu haben. Nicht weil ich glaube das es das beste für mich gewesen wäre. Das wäre es nicht. Sondern weil ich sehr wohl weiß das alle eure Ratschläge mich nie in die Irre führen sollten sondern immer mit guter Intention gegeben wurden. Leider stammten sie aus eurer Zeit. Es sind die Ratschläge eurer Mütter und Väter und die deren Mütter und Väter. Und wenn ich auch glaube, dass sie euch geholfen haben ein erfülltes Leben zu finden glaube ich nicht, dass sie ohne weiters auf mich übertragbar sind. Im Gegenteil. Sie stünden mir im Weg. Ich weiß ich erscheine undankbar. Undankbar für die Liebe, die ihr mir gegenüber erbracht habt und der Anstrengungen, die meine Erziehung und Aufzucht mit sich zog. Der Entbehrungen, die ihr hinnehmen musstet, da ihr mich ernähren und behüten musstet. Diese Undankbarkeit erfüllt mich mit Scham. Und ich werde nie die richtigen Worte finden, um mich dieser Scham zu entledigen. Aber ich werde erfolgreich und erfüllt zurückkehren. Oder ich werde hierbleiben.