Veröffentlicht: 20.08.2018. Rubrik: Menschliches
Das Zimmermädchen
Die Räder des Wäschewagens quietschten, als Elvira ihn mit einem Ruck vor Zimmer 118 abstellte.
Sie klopfte an die Zimmertür, wartete ab, ob jemand Antwort gab und als keine erfolgte, öffnete sie mit ihrem Generalschlüssel die Tür. Sie musterte widerwillig das zerwühlte Doppelbett - natürlich, hier hatte sich mal wieder ein Pärchen gehen lassen - und streifte dann mit flüchtigem Blick die Kommode. Ihr Blick fiel auf eine handgeschriebene Karte. "Danke für die schöne Zeit mit dir" las sie, dann wandte sie sich ab und beschloss, sich zuerst dem Badezimmer zuzuwenden. Auch wenn die Karte nicht das Geringste mit ihr zu tun hatte, die Worte und das zerwühlte Bett versetzten ihr einen Stich. Es war gerade mal zwei Wochen her, dass die Beziehung mit Adrian zu Ende gegangen war und sie war nach dieser kurzen Zeit längst nicht darüber hinweg. Keine Sommerabende mehr, die sie mit Adrian verbringen konnte, im Licht der untergehenden Sonne am Strand oder vor ihrer Mietwohnung im Hof, keine Nächte mehr, in denen sie sich an ihn schmiegen konnte, mit der unbestimmten Sehnsucht im Herzen, dass es für immer so bleiben würde.
Einige Bekannte hatten ihr erzählt, dass sie Adrian des Öfteren schon mit einer anderen Frau gesehen hätten - älter als Elvira - und vor allen Dingen - reicher. Elvira wollte nicht glauben, dass das Geld der Grund gewesen war. War Adrian wirklich so einer, der ihre Liebe verriet, weil eine andere reicher war? Und was war das für ein Mann, der sich von einer Frau aushalten ließ? Kannte sie ihn so wenig?
"Wahrscheinlich macht Liebe wirklich blind", dachte sie, ärgerlich auf sich selbst und pfefferte den Putzlappen, als sie im Badezimmer fertig war, wütend in den Eimer, so heftig, dass er aufklatschte, das Wasser an die Kacheln spritzte und sie wohl oder übel noch einmal mit dem Lappen über die Kacheln wischen musste.
"Wie kann man nur so blöd sein", schimpfte sie leise vor sich hin, dann fing sie an, im Schlafzimmer Staub zu wischen - und stutzte. Beim Blick auf die Kommode war ihr vorhin schon etwas irritierend aufgefallen, neben der Karte, und tatsächlich: Auf der Kommode lag eine Brieftasche. "So ein Dämlack" dachte Elvira. "Wie kann man so blöd sein, seine Brieftasche zu vergessen? Na, das wird er wohl merken." Sie fing an, die Betten zu machen, doch ihr Blick fiel immer wieder auf die Brieftasche. Wieviel Geld der Typ wohl so mit sich herumtrug? Das Hotel, in dem Elvira schon seit vier Jahren arbeitete, war eines der gehobenen Preisklasse und sehr vornehm. Wer hier logierte, hatte Geld, das war sicher.
Schließlich konnte sie der Versuchung nicht mehr widerstehen. Sie öffnete die Brieftasche und traute ihren Augen nicht. Fünf 100-Euro-Scheine in bar befanden sich darin. Sie ließ die Brieftasche wieder sinken und kämpfte mit sich. Würde der Typ es überhaupt merken, wenn ein einziger Schein davon fehlte? Und schließlich hatte er alles - Liebe, Geld, Urlaub - sie, Elvira, hatte nichts. Eine Arbeit, bei der man nicht reich werden konnte und die Leute auch beim Trinkgeld mehr als sparsam waren. Wenn sie überhaupt welches gaben. Außerdem hatte Adrian sie verlassen - auch wegen Geld. Nur weil eine andere mehr hatte. Gerecht war das alles nicht. Mit 100 Euro konnte sie Adrian zu einem feudalen Essen einladen. Er würde sicher annehmen und vielleicht zu ihr zurück kommen.
Elvira rang mit sich. Wenn das herauskommen würde, wäre sie ihre Stelle los. Aber es musste ja nicht herauskommen und sie würde es auch nur ein einziges Mal tun. Der Reiche, dem die Brieftasche gehörte, würde es sicher noch nicht einmal merken. Ohne noch länger zu überlegen, nahm sie einen 100-Euro-Schein aus der Brieftasche und legte sie dann wieder an ihren Platz. Den Rest des Tages arbeitete sie vergnügt vor sich hin.
Abends rief sie Adrian an und wartete mit klopfendem Herzen darauf, dass er sich meldete.
"Ich bin es, Elvira", sagte sie dann. "Wie geht es dir?"
"Gut", sagte Adrian. "Was gibt es?" Es klang nicht gerade freundlich.
"Nichts Besonderes. Aber du sagtest doch, wir können Freunde bleiben. Da darf ich dich doch anrufen!"
Adrian schwieg ein paar Minuten lang, in denen Elvira ängstlich das Telefon umklammerte. "Bitte, bitte, leg nicht auf", dachte sie.
"Schon", hörte sie Adrian dann sagen. "Was ist denn los?"
"Ich wollte dich zum Essen einladen. Ins" Miramare". Das "Miramare" war ein teures Restaurant im Stadtzentrum.
Sie hörte Adrian lachen. "Hast du im Lotto gewonnen?"
"Das nicht. Aber auch ich kann mir mal was leisten."
"So? Wäre ja mal was Neues, so knauserig, wie du sonst warst."
"Kommst du mit oder nicht?"
"Im Moment habe ich keine Zeit." Elvira hörte eine Frauenstimme im Hintergrund.
"Tschau, nett, dass du angerufen hast. Bis dann." Adrian legte auf.
Elvira ließ sich auf ihr Bett sinken. Das war also alles, was dabei heraus gekommen war. Adrian war nicht mehr an ihr interessiert, selbst wenn sie ihn einladen wollte. Und dafür hatte sie ihre Stelle riskiert und jemanden bestohlen, der weder an ihrer Liebesmisere schuld war noch daran, dass sie mit dem Geld immer knapp war. Sie beschloss, den 100-Euro-Schein am nächsten Tag zurück zu geben.
Als sie am nächsten Tag zur Arbeit kam und auf den Plan schaute, sah sie, dass die Leute aus Zimmer 118 abgereist waren. Das Zimmer sollte für die nächsten Gäste hergerichtet werden. Damit hatte sie nicht gerechnet. Wie sollte sie nun das Geld zurück geben, ohne dass es jemand merkte? Sie ging an ihre Arbeit und überlegte den ganzen Vormittag. Dann glaubte sie, eine Lösung gefunden zu haben und suchte nach der Arbeit ihren Chef auf.
"Die Leute in Zimmer 118 haben was vergessen, Chef."
"So, was denn?" Ihr Chef war mit seinen Büchern beschäftigt und schaute kaum auf.
"Das hier." Elvira hielt ihm den Geldschein hin. 'Ist aus der Bettwäsche gefallen, als ich sie ausgeschüttelt habe."
"100 Euro? Ach, da sind sie hingekommen. Der hat hier vielleicht ein Theater gemacht gestern Abend. Man hätte ihn bestohlen und er würde nie wieder bei uns absteigen. Ich wollte nachher sowieso mal rumfragen bei euch, ob euch was aufgefallen ist."
Er nahm den Geldschein und nickte Elvira zu.
" Danke, Elvira. Schön, dass du so ehrlich bist.
Nana, brauchst doch deswegen nicht rot zu werden."