Veröffentlicht: 21.06.2022. Rubrik: Unsortiert
Die kleinen Literaten, Teil 4
Tja, dann passierte erst einmal etwas ganz anderes:
Die kleine, feine "Schreibe-Plattform" hatte mächtig Zuwachs bekommen, man schrieb und las, kommentierte und las und allen Aktiven machte es großen Spaß dabei zu sein. Es dauerte nicht lange, dann kannte man sich schon ein wenig, denn der Schreibstil und -inhalt ließen ja Rückschlüsse auf die jeweilige Persönlichkeit zu. (Wobei man da natürlich auch völlig schief liegen konnte...)
Bemerkenswert war indes, es herrschte eine große Übereinstimmung bei verschiedenen Diskussionen anhand geschriebener Geschichten, die sich mit Tierhaltung und Lebensmittelproduktion befassten! Besonders Hühnerhaltung und Eierproduktion wurden unter den Schreiberlingen thematisiert. Man machte sich Gedanken und Sorgen um das arme Federvieh - ja manch einer verzichtete bereits auf sein Frühstücksei!
Nun schauten sich die Literaturverbundenen auch Dokumentationen über das erbärmliche Leben der angeblich glücklichen Hühner an. Sie empfanden Abscheu und Mitleid bei den zu sehenden Bildern der armen, eingekerkerten und fast nackten Legehennen! Ausschlaggebend war dann die Information eines Insiders, der verlautbaren ließ, dass aus den armen Hühnern, wenn sie keine nennenswerte Legeleistung mehr erbrachten, rigoros und brutal Brühwürfel gemacht werden!
Das schlug dem Suppentopf den Boden aus!!!
Man beschloss, sich in der Realität zu treffen (nicht nur virtuell) und heckte einen Plan aus, bei dem jeder mitmachen konnte, wie er denn wollte...
Schon bald gab es die ersten Schlagzeilen in der Zeitung: Mysteriöser Einbruch in einem Legebetrieb für Hühnereier! Diebe kamen bei Nacht! 150 ausgesonderte Legehennen, die heute abtransportiert werden sollten zu einer Fabrik für Instant-Suppen u. dergl. , gestohlen! Kaum verwertbare Spuren lassen Polizei ratlos! Zu diesen zählen ein Kugelschreiber, die Fingerabdrücke gehören keiner Datenbank an, nützen den Ermittlern also nicht. Ebenso wenig wie eine einzelne Wörrishofener Damensandale der Größe 39, mit Hühnerdreck unter der Sohle oder ein zerfledderter Schreibblock, Din-A-5, kleinkariert.
Bereits in der darauffolgenden Woche wurden sogar 250 Hennen aus einem anderen Betrieb befreit und verschwanden spurlos. Am Tatort gab es so viele Fuß- und Reifenspuren, dass man von einer großen Anzahl der Täter ausgehen musste. Zudem fand man eine halb geleerte Flasche mit einer roten Flüssigkeit. Diese roch wie Kirschlikör, die Beamten verzichteten jedoch auf eine Verkostung!
Die Polizei tappte weiterhin im Dunklen. In den kommenden Wochen, ja Monaten, kam es deutschlandweit immer wieder zu ähnlichen Aktionen. In der letzten Zeit war der Tatort, bzw. das Tor zu der jeweiligen Legebatterie, regelmäßig in roter Farbe mit den Buchstaben "SWDW" besprüht. Niemand konnte sich erklären, welche Organisation dahinter steckt!
In einem idyllischen kleinen Dorf unweit des Sauerlandes riefen die Damen des Hausfrauenbundes derweil einen Wettbewerb im Stricken und Häkeln von Hühnerleibchen aus. Ein neugieriger Reporter der Lokalnachrichten verfolgte dies Tun mit Interesse. Hierbei wurde er gewahr, das ein ansässiger Kleinbauer auf seinem Hof auffällig viele nackte, dürre Hühner hielt - fürwahr, ein schrecklicher Anblick! Als er das nächste Mal heimlich durch die Hecke in den Hühnerhof schielte, glaubte er seinen Augen nicht zu trauen: Ein buntes Gewusel von Hühnern in einfarbigen oder gemusterten Pullöverchen pickte gackernd nach Körnern und Gräsern!
"Was machst du denn hier?", fragte ihn plötzlich eine Kinderstimme. Erschrocken wandte sich der Reporter um. "Ich frage mich, was das zu bedeuten hat?", sagte er zu dem kleinen Mädchen, welches hinter ihm stand - ein mickriges Hühnchen auf dem Arm - und deutete auf die bunt gekleideten dürren Hennen. "Na das sind doch die geretteten alten Hühner aus den Legebatterien, die zu Brühwürfeln gemacht werden sollten, alle, die noch nicht von Leuten in ein neues Zuhause geholt wurden. Solange pflegt mein Papa sie gesund - und ich auch!"
Dann erzählte das Mädchen dem Reporter die ganze Geschichte - obwohl es eigentlich ja ein Geheimnis bleiben sollte. Von der Schreiberling - Gemeinschaft, von deren Entsetzen über das wahre Leben der "glücklichen" Hühner, von der Rettungsaktion, an der alle teilgenommen hatten, so wie sie wollten und von der Bedeutung des roten Schriftzuges "SWDW" !
Die Story wurde der Knaller! Und das nicht nur im Lokalblättchen sondern bald in ganz Deutschland! Überall löste die Geschichte der mutigen kleinen Literaten Bewunderung aus. Bald gab es Interviews in den Nachrichtensendern und Einladungen in Talkshows. Besonders der Gründer der Schreibe-Plattform, METTI, wie er sich bescheiden nannte, erfuhr großes Lob für die geniale Idee, welche solch verschiedenen Menschen zu gleichem Tun vereinte!
Letztlich erhielt er einen Preis vom bundesweiten Dachverband der Organisation zum Schutze des ausgebeuteten Huhns! Die damit verbundene Geldsumme spendete er Bauer Emsig und seiner Familie für den Unterhalt der geretteten Hühner. Dank der immens großen Zahl an Schreiberlingen, die sich solidarisch zeigten, konnte die Klage der Legebetriebe auf Schadenersatz gemeinsam bedient werden ohne den Einzelnen nennenswert zu belasten. Die Mitgliederzahl der Plattform "SWDW" , der kleinen Literaten also wuchs und wuchs und erfreute sich immer größerer Beliebtheit. -
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann schreiben sie alle noch heute!